Die Website zum Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 wird nicht mehr aktualisiert, steht aber bis auf weiteres als Nachlese zur Verfügung.
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1968 – Die 68er-Bewegung

Das Phänomen der Internationalisierung

Die 1960er Jahre wurden international vor allem in den USA, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland von Auseinandersetzungen zwischen der vom Wiederaufbau geprägten Nachkriegsgeneration und ihren Protesten gegen die "Herrschenden" und das "Establishment" geprägt: Das betraf den "Prager Frühling" in der kommunistischen Tschechoslowakei ebenso wie die Anti-Vietnamkriegs-, Bürgerrechts- und Frauenbewegung in der Zeit des Kalten Krieges. Die teilweise von heftigen Straßenschlachten und zahlreichen Demonstrationen dominierten Proteste wurden vor allem von Studierenden getragen, die die autoritären Strukturen in der ökonomisch boomenden Nachkriegszeit in Frage stellten und nach neuen Modellen der aktiven Politikgestaltung suchten. Brutale Polizeieinsätze heizten die Stimmung noch weiter an.

1968 ist ein Phänomen der Internationalisierung, die durch Vernetzung und Transfers zwischen Industriegesellschaften in den Bereichen Kultur, Wissen, Politik, Wirtschaft geprägt wurde. Hier spielte in Westeuropa vor allem die Entwicklung in den USA eine wichtige Rolle; aber auch der kommunistische Block war geprägt von Transfers aus der Sowjetunion, die mit allen Mitteln versuchte, ein Übergreifen dieser nach außen hin propagandistisch unterstützten linken Studentenproteste mit allen Mitteln in Moskau oder in osteuropäischen Großstädten mit internationalen Studierenden zu verhindern. Nur in Prag gelang dies nicht, der "Prager Frühling", der ursprünglich vor allem von Reformkommunisten an der Spitze der Politik getragen wurde, sollte in der Folge mit Waffengewalt und Militärintervention zerschlagen werden.

Der Prager Frühling

Für Österreich stellte der Einmarsch des Warschauer Paktes in die damalige Tschechoslowakei im August 1968 daher eine wesentliche Bedrohung der staatlichen Integrität dar. Sie war das wohl prägendste Ereignis in diesem Jahr und Österreich fungierte als Asyl-Land für tschechoslowakische Flüchtlinge. Rund 200.000 Menschen flüchteten nach Österreich, aber nur 2.000 bis 3.000 blieben, die übrigen wanderten in andere Länder weiter, wenige gingen in ihre Heimat zurück.

Das österreichische "Mai-Lüfterl"

Der Historiker Fritz Keller bezeichnete die 68er-Revolution in Österreich zu Recht als "Mai-Lüfterl". Wohl gab es vereinzelte Aktivisten-Zirkel und Diskussionen wie im Jänner 1968 im ORF mit dem Fazit: "Universität: Wie im Mittelalter! Deutsche Professoren sind über Verhältnisse an Österreichs Hochschulen entsetzt. Erschütternder Eindruck von dem reaktionären Geist, von der Missachtung der demokratischen Grundprinzipien." Selbst Demonstrationen bei einem Vortrag eines Diplomaten des autoritären griechischen Regimes lassen sich mit dem Bonmot eines Pedells gegenüber dem damaligen Rektor Fritz Schwind zusammenfassen: "Magnifizenz, im Audi Max is' a Wirbel" (12. März 1968). Und eine Störung des Aufmarschs zum 1. Mai 1968 vor dem Wiener Rathaus irritierte vor allem Parteifunktionäre. Die nach deutschen Vorbildern operierende "Kommune Wien" konnte weder durch Regelverletzungen noch durch "Love ins" oder durch Sitzstreiks gegen die Abschiebung des linken Aktivisten Günter Maschke wirklich den öffentlichen Raum erreichen. Temporäre mediale Aufregung und sehr rigide Gerichtsprozesse folgten hingegen der "Aktion Kunst und Kultur" von Otto Mühl, Günther Brus, Oswald Wiener und anderen am 6. Mai 1968 im Hörsaal I des Neuen Institutsgebäudes (NIG) der Universität Wien, die von der Massenpresse als "NIG-Ferkelei" denunziert wurde. Die Aktionisten hatten damit den politischen Aktivisten eindeutig die Show gestohlen und aus deren Blickwinkel endgültig die 1968er Revolution begraben.

Der gesellschaftliche Reformdruck

Aber auch in Österreich gab es einen massiven gesellschaftlichen Reformdruck, der ganz stark aus den Bundesländern kam und sich sowohl in klaren Wahlergebnissen und einer absoluten Mehrheit für die als moderne Reformpartei angetretene ÖVP-Regierung unter Bundeskanzler Josef Klaus manifestierte und dann ab 1970/1971 bis 1983 zu Mehrheiten für die SPÖ-Regierungen unter Bundeskanzler Bruno Kreisky führte. Hier spielten Frauen- und Jugend- sowie Demokratiethemen, aber auch Fragen der Sozialstaatlichkeit und der Strafrechtsreformen eine zentrale Rolle.

Teilweise hatten die Debatten und öffentlichen Auseinandersetzungen bereits früher begonnen – vor allem 1962 mit einem Gerichtsverfahren, das von Taras Borodajkewycz, einem in Vorlesungen antisemitisch und antidemokratisch agitierenden Geschichtsprofessor an der Wiener Hochschule für Welthandel, gegen den jungen Parlamentssekretär Heinz Fischer angestrengt wurde. Die nachfolgenden Demonstrationen endeten am 2. April 1965 tragisch mit dem ersten politischen Toten der Zweiten Republik, Ernst Kirchweger. Hier hatten sich die Auseinandersetzungen über den Umgang mit dem Nationalsozialismus kurz entladen, ohne aber zu nachhaltigen Einstellungsänderungen zu führen.

Typisch für die andere 68er-Bewegung in Österreich ist, dass sie nicht nur von "Linken", sondern auch von ÖVP-nahen Studenten und Studentinnen und jungen Nachwuchspolitikern aus dem Österreichischen Cartellverband (ÖCV) getragen wurde, und dass kleinere Universitäten wie in Graz oder Salzburg eine wichtige Rolle bei Strukturänderungsdebatten spielten.

Der lange Schatten der 68er-Bewegung

Ebenfalls typisch für die Entwicklung in Österreich waren die verspätete Auseinandersetzung mit und der lange Schatten der 68er-Bewegung. Dies dokumentiert die Arena-Besetzung im Juni 1976 gegen die Schließung eines autonomen Kulturzentrums auf dem Gelände des ehemaligen Auslandsschlachthofes in Wien – St. Marx.

Die großen Reformprojekte an den Universitäten, in der Justiz und im Sozialbereich im Laufe der 1970er Jahre nahmen letztlich den gesellschaftlichen Druck und verhinderten eine mögliche militante Radikalisierung der 68er-Bewegung wie sie etwa in der Bundesrepublik Deutschland (RAF) oder in Italien (Rote Brigaden) passierte. Trotzdem blieben aber viele damals aufgeworfene Themen lange Zeit unreflektiert – wie etwa extreme Gewalt und Zwang gegen Jugendliche in Kinderheimen, die erst nach 2010 politisch wirklich ernsthaft institutionell diskutiert wurden und mittlerweile zu finanziellen Entschädigungen führten.