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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

1. Jänner 1919

Männer in Frauenkleidung: Erzherzog Ludwig Viktor, genannt "Luzivuzi", mit Freunden, vor 1919
Männer in Frauenkleidung: Erzherzog Ludwig Viktor, genannt "Luzivuzi" (ganz rechts), mit Freunden, vor 1919; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

In der Silvesternacht auf den 1. Jänner 1919 fand in einem kleinen, nicht konzessionierten Kelleretablissement in der Wiener Sechsschimmelgasse auf Einladung der beiden "Damenimitatoren" Karl Peham, der auch als 'Die Karoline' bekannt war, und Jakob Eigner, das 'Nadelmadel', ein Silvesterfest statt, an dem etwa 100 Herren teilnahmen. Da Homosexualität damals unter Strafe stand kam es zum Einschreiten der Polizei:

"Vor kurzer Zeit gelangte das Sicherheitsbureau zur Kenntnis, daß im Café Hager, Alsergrund, Sechsschimmelgasse 23, an mehreren Tagen der Woche gesellige Veranstaltungen Homosexueller veranstaltet werden, bei denen einzelne Teilnehmer in Damenkostümen obszöne Lieder zum Vortrage brächten und bei denen auch sonstiger Unfug getrieben werde [...] Das Sicherheitsbureau ließ all diese vertraulichen Mitteilungen überprüfen, ehe es sich zum Einschreiten entschloß. Die Erhebungen bestätigen die Mitteilungen vollinhaltlich und in der Silvesternacht, in der im betreffenden Kaffeehause eine 'große Silvesterfeier' angekündigt war, entschloß man sich zum Handeln [...] Das Erscheinen der behördlichen Organe löste einen ziemlichen Tumult aus. Viele wandten sich zur Flucht. Im ganzen soll es nur neun Personen gelungen sein, zu entkommen. Die ganze übrige Gesellschaft, etwa hundert Personen, durchaus Männer mit alleiniger Ausnahme eines Mädchens, wurde stellig gemacht. Zehn der Besucher waren in eleganten Damenkostümen erschienen. Ein Teil der angehaltenen Burschen steht als homosexuell veranlagt in der Evidenz der Polizeibehörde. Das einzige Mädchen, das anwesend war, hatte die Uniform eines Gefreiten angelegt."

Der Prozess gegen die Silvestergesellschaft fand im April 1919 statt und endete mit einem Freispruch für alle Angeklagten, da das Fest einen "streng geschlossenen Charakter hatte" und nur geladenen Gästen Zutritt gewährt worden war. Homosexualität zwischen Erwachsenen wurde in Österreich erst 1971 im Rahmen der "Kleinen Strafrechtsreform" unter Bundeskanzler Bruno Kreisky und dessen Justizminister Christian Broda entkriminalisiert.

Links:
Eine "verrückte" Silvesterfeier (Die Neue Zeitung vom 2. Jänner 1919)
"Karoline" und "Nadelmadel". Die Sylvesterfeier der Homosexuellen (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 30. April 1919)
Weiterlesen: Familien- und Strafrechtsreform der 1970er Jahre (Österreichische Mediathek, Text- und Tondokumente)

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