Vor hundert Jahren ereignete sich ein brutaler Raubmord in der Wiener Favoritenstraße 37, der durch das noch junge Fingerabdruckverfahren gelöst werden konnte: "Dieselben Hände, mit denen er die würgende Schnur um den Hals seines Ofers geschlungen, waren an ihm auch zu Verrätern geworden."
Ladislaus Prazan hatte sich Zugang zu der Wohnung der Familie Petr, verschafft und dabei die Scheiben der Glastür zum Schlafzimmer eingeschlagen. Nachdem er Schmuck und mehrere Pelze an sich gebracht hatte wollte er das Haus verlassen. Dabei überraschte er Aloisia Sliwa, die zu fliehen versuchte. Prazan sah den Tod Sliwas als einzigen Ausweg nicht erkannt zu werden, zerrte sie in die Wohnung, ergriff eine Schnur und erdrosselte die Unglückliche. Der Verdacht der Polizei fiel rasch auf Prazan, der die Tat leugnete. Die Polizei hatte allerdings neuartige Beweise gegen ihn: seine Fingerabdrücke.
"Wie wir schon gestern berichteten, hat dann die daktyloskopische Untersuchung der Fingerabdrücke bei dem Pfeilerkasten in der Wohnung des Kürschnermeisters Petr und an den zerbrochenen Splittern der Glastür mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit ergeben, daß nur der Kürschnergehilfe Ladislaus Prazan die Tat begangen haben kann. Besonders deutliche Fingerspuren wies der Pfeilerkasten auf. Mit großer Kraftaufwendung muß Prazan, der ja augenscheinlich keinerlei Einbruchswerkzeug zu Hilfe nahm, die eine Hand gegen diesen Kasten gestemmt haben, während er mit der anderen an dem Handgriff des Türchens so lange zog und riß bis die Messingschräubchen am Schloß sich loslösten und dieses nachgab. So hat der Täter – allerdings nur für den Kundigen lesbar – gewissermaßen seine Visitkarte am Schauplatz des Verbrechens zurückgelassen. An vier Fingerabdrücken wurde alsbald im Erkennungsamt festgestellt, daß sie von der rechten Hand Prazans herrühren, daß er also den Einbruch und mithin auch den Mord an Fräulein Aloisia Sliwa verübt hat." Ladislaus Prazan erkannte seine ausweglose Situation und gestand seine Tat.
Am 8. Oktober wurde Prazan in Wien zum Tode durch den Strang verurteilt. Nach der Ausrufung der Republik wurde die Todesstrafe allerdings abgeschafft und Prazan von (Bundes-)Präsident Karl Seitz nach einer Empfehlung des Staatsamtes für Justiz zu 15 Jahren Kerkerhaft begnadigt. Tatsächlich fungierte der Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung Karl Seitz von 5. März 1919 bis zur Angelobung des ersten Bundespräsidenten Michael Hainisch am 9. Dezember 1920 als verfassungsmäßiges Staatsoberhaupt.
Erste Versuche mit Daktyloskopie wurden bereits 1877 unternommen. In Österreich wurden Fingerabdrücke ab 1902 als Identifikationsmethode herangezogen, wobei der Wiener Polizeiagent Rudolf Schneider Pionierarbeit leistete, indem er 1909 eine "Folie zur Abnahme und Fixierung von Fingerabdruckspuren" entwickelte.
Links:
Der Raubmord am Telephon (Illustrierte Kronen Zeitung vom 11. April 1918)
Weiterlesen: Die "Wiener Folie"
Weiterlesen: Wenn dich der Fingerabdruck verrät (Die Presse)