Mit Kriegsbeginn 1914 wurden zahlreiche öffentlich Bedienstete, darunter auch Schaffner und Briefträger, in die Armee eingezogen. In Innsbruck, wo schon 1915 erstmals weibliches Fahrpersonal auf der Straßenbahn eingesetzt wurde, führte der Personalmangel sogar zur vorübergehenden Stilllegung des Betriebs. Schaffnerinnen und Briefträgerinnen prägten im Ersten Weltkrieg bald das Straßenbild der größeren Städte. Sie waren als Symbole weiblicher Erwerbsarbeit und selbstbewusstem Auftreten auch häufig Thema des Lokalteils vieler Tageszeitungen.
Die Arbeiter-Zeitung berichtete in diesem Zusammenhang am 11. Jänner 1918 über eine Ehrenbeleidigungsklage, die ein Hauptmann der Armee gegen eine Wiener Straßenbahnschaffnerin eingebracht hatte. Diese habe ihm, dem in Zivilkleidung auf der hintere Plattform Stehenden, zugerufen: "Daß Sie den Platz nicht verlassen, zeigt, daß Sie ein Mann von sehr geringer Bildung sind!" Der Hauptmann behauptete, dass sie ihn aufgrund seiner Zivilkleidung für einen Drückeberger gehalten hatte, was die Schaffnerin zurückwies. Dieser Gedanke sei ihr gar nicht gekommen, sie sei zudem Witwe und für ihre Höflichkeit bekannt. Die Frage des Bezirksrichters, ob der Hauptmann die Klage nicht gütlich auszugleichen wünsche, verneinte dieser, denn er habe den "militärischen Befehl zur Einbringung der Klage" und "könne auch von einer Bestrafung der Beklagten nicht Abstand nehmen". Trotz widersprüchlicher Aussagen verurteilte der Richter die Schaffnerin zu einer Geldstrafe von zehn Kronen (das wären heute etwa 55 Euro).
"Darüber, ob die Schaffnerin auch verurteilt worden wäre, wenn der Kläger kein Offizier wäre, macht sich wohl jeder selber seine Gedanken" schließt der Artikel der Arbeiter-Zeitung.
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Der Hauptmann und die Schaffnerin (Arbeiter-Zeitung vom 11. Jänner 1918)
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