In der Badener Zeitung vom 12. Juni 1918 erschien ein interessanter Artikel über einen Vortrag Erwin Hansliks, 1915 Gründer des Wiener "Instituts für Kulturforschung":
"In dem Salon der Frau Isabella von Kühnelt-Leddihn sprach kürzlich Professor Dr. Erwin Hanslik, Vorstand des Institutes für Kulturforschung in Wien, an der Hand von Kulturkarten der Erde über das neue Oesterreich und Mitteleuropa. Mitteleuropa muß auch von Oesterreich-Ungarn aus gewollt und aufgebaut werden. Oesterreich-Ungarn ist der Ostflügel von Mitteleuropa. Es gibt dieser Staatenvereinigung den Charakter eines natürlichen Völkerbundes. Die Nord- und Ostseeküste, die adriatische Küste, die Nordküste des Aegäischen Meeres, die Westküste des Schwarzen Meeres geben den Meerring, der dem Staaten- und Völkerblock der Mitte gemeinsam ist, ihn für immer verbindet und ihm die Wege in die Welt hinaus ermöglicht. Deutschland und Oesterreich-Ungarn wurden in ihrer Bedeutung für Mitteleuropa im einzelnen analysiert. Der Vortrag, dem eine lebhafte Wechselrede folgte, soll in Anbetracht seiner großen Aktualität öffentlich wiederholt werden."
Erwin Hanslik war ein österreichisch-polnischer Geograph, Publizist und Kulturhistoriker. Eines seiner zentralen Anliegen war es "Kulturgrenzen" in Europa nachzuweisen und aufzuzeigen, dass zwischen verschiedenen Regionen kulturelle Unterschiede bestanden, ein harmonisches Zusammenleben aber problemlos möglich wäre.
Trotz des sich abzeichnenden Zerfalls der Habsburgermonarchie träumte Hanslik von einem sich nach Norden und Süden erweiternden Habsburgerreichs. Dieses erweiterte "Österreich" würde unterschiedliche Kulturstufen aufweisen, einen "reifen" Kern (Österreich, Böhmen), einen "werdenden" (Ungarn, Bosnien) und einen "unverbundenen" (Bulgarien, Rumänien, Serbien) Teil umfassen. Hanslik war außerdem der Meinung, dass Österreich eine besondere Rolle in Europa einnehmen würde, da Österreich ein Garant für eine völkerverbindende staatliche Ordnung in Europa wäre, und "westliche" sowie "östliche" Kultur verbinden könne.
Hanslik stand seinen deutschen Kollegen, die die deutsche Kultur erhöhten und mit dieser Osteuropa "kultivieren" wollten, feindlich gegenüber. Mit Fortschreiten des Krieges verfestigte sich diese Ablehnung, da Hanslik in Zeiten zunehmender Nationalisierung seine Vorarbeiten für einen europäischen Staatenbund weiter vertiefte.
Link:
Das neue Oesterreich und Mitteleuropa (Badener Zeitung vom 12. Juni 1918)