Vor siebzig Jahren
Erinnerung an den 13. März 1848
Ihr braven Barrikadenschwärmer,
Ihr Schatten eines Ideals!
Die Welt ist heute leer und ärmer
Und seufzt im Hauch des Feuerstrahls,
Der den geschmähten Himmel rötet
Und unbarmherzig sengt und tötet.
Die Freiheit liegt in einem Winkel
Wie alter, dicht verstaubter Tand.
Macht herrscht und blut'ger Eigendünkel
Und, was die Geister bindet, schwand
Im gasdurchstunk'nen Grabenschlamme
Und vor der Minen Todesflamme.
So stehen wir an Euren Grüften
Und schämen uns ins tiefste Herz.
Was blieb von jenen Frühlingslüften,
Vom blütenreichen Freiheitsmärz?
Das Menschenrecht ist eitle Lehre,
Erledigt durch Maschinengewehre.
Das Erbe wurde schlecht behütet,
Bald war der Frühlingstraum vorbei.
Wo Rasse gegen Rasse wütet,
Ringt sich die Menschheit nicht mehr frei
Und sinkt durch sinnberaubte Schlachtung
In Herzensarmut und Umnachtung.
(Richard Guttmann, 13. März 1918)
Am 13. März 1848 kam es zum Ausbruch der Revolution in Wien, die zum Sturz des Staatskanzlers Metternich, zu Pressefreiheit, zur Proklamation einer Verfassung und zum ersten modernen Parlament führte (in den Räumen der heutigen Wiener Reitschule in der Hofburg).
Die Märzrevolution von 1848 war überkonfessionell und republikanisch geprägt. Auch in diesem Sinne ist Richard Guttmanns Beitrag, der im Der Morgen des 13. März 1918 erschien, zu lesen. Der 1884 geborene Guttmann war jüdischer Herkunft und musste wohl unter dem Verrat leiden, den die ursprünglich liberalen und toleranten studentischen Träger der Revolution von 1848 wenige Jahrzehnte später an ihren Idealen verübten.
Richard Guttmann war Herausgeber der "Österreichischen Reisezeitung" und schrieb für verschiedene Zeitungen Feuilletons und Gedichte ("Der Morgen", "Neue Freie Presse", "Neues Wiener Tagblatt", "Die Muskete").
Guttmann, der als Einzelgänger galt, starb 1923. Der Morgen widmete ihm am 12. Februar 1923 einen traurigen Nachruf:
"Vorige Woche haben wir ihn begraben müssen, den stillen, treuen Mitarbeiter, der mit so viel Fleiß und anmutiger Galligkeit die großen Ereignisse der hohen Politik und die kleinen Dummheiten, Widerwärtigkeiten und Schäbigkeiten des täglichen Lebens [in] seine stilvollen Versformen goß und dem Leser im Leitgedicht des 'Blauen Montag' wie im Makamen unseres Glossenteils gleichsam süffigen Geist kredenzte. Von dieser Seite, von der des satirischen Plauderers in glatten Rhythmen und reinen Reimen, von der des poetischen Spötters und künstlerischen, empfindsamen Nörglers, der auch im Schimpfen und Fluchen Sitte und Kultur wahrte, von der des überlegenen Verskünstlers, für den es keine Form- und Formungsschwierigkeiten gab, haben ihn die Leser des 'Morgen' am besten gekannt und am meisten geschätzt.[...] Daß er trotzdem ein armer Teufel geblieben ist und bis zu seiner Sterbestunde die Sorge nicht von seinem Arbeitstisch wich, gehörte in das große Arbeitskapitel von der Not des geistigen Arbeiters, dessen Ware eine geistige, aufgeweckte Kulturnation auch nicht entbehren will und kann, wenn ihr die Mittel fehlen, sie auch nur halbwegs anständig zu bezahlen. [...]
Heute an seiner Bahre, versammelt sich die große Gemeinschaft derer, die ihn geschätzt und lieb gehabt haben. Aber sie können es ihm nicht mehr beweisen, sie dürfen es ihm nur ins Grab nachrufen und ihm sagen, daß sie an ihrem Schicksal gelernt haben, Einsamen ins Herz zu blicken und sie festzuhalten, ehe sie sich ihnen auf immer entwinden..."
Links:
Vor siebzig Jahren (Der Morgen vom 13. März 1918)
Nachruf auf Richard Guttmann (Der Morgen vom 12. Februar 1923)