Anfang des 20. Jahrhunderts war das Medium "Film" noch neu und machte neugierig. Zahlreiche Kinos entstanden und in Wien etablierte sich eine lebhafte Filmindustrie. Am Sonntag den 10. Oktober 1918 wurde im Central Kino in der Taborstraße 8, dem laut Eigendarstellung "größten und schönsten Kino Wiens" (heute ein Lebensmittelgroßmarkt), im Rahmen eines "Doppelprogramms" die "Erst- und Alleinaufführung" von "Janayas indischer Zirkus" gegeben, begleitet vom Konzertorchester Nadler:
"Phantastisches indisch-europäisches Drama aus dem Zirkusleben. In der Hauptrolle: Ferdinand Bonn. Originalaufnahmen aus Ceylon. Elefanten-, Tiger und Löwentruppen aus der Menagerie des Zirkus Sarasatti, Berlin, über 6000 Zuschauer."
Als zweiter Film des "Doppelprogramms" wurde die Erstaufführung des Detektivdramas "Der Eisenbahnmarder" aus dem Filmverleih Stuart Webbs angekündigt.
Das Zentrum der Wiener Filmindustrie lag damals im 7. Wiener Bezirk rund um die Neubaugasse 25. Hier befand sich das legendäre Café Elsahof in einem bis heute bestehenden Gebäude, das 1911 vom Architekten Hans Prutscher in Anlehnung an die Formensprache Otto Wagners errichtet wurde und auch zahlreiche Büros aus der Filmbranche beherbergte, darunter den oben bereits erwähnten Filmvertrieb "Stuart Webb", die "Filmleihanstalt Engel & Walter", die "Gesellschaft für Kinoindustrie und Filmvertrieb m.b.H. Das Kino", die "Projectograph A.G." (sogar mit eigenem Projektionsraum!), die "Star Filmfabrik und Filmvertrieb A.G.", die "Film-Leihanstalt Friese & Kennedy", die "Preiss-Film", die "Delta Film-Vertriebs-Gesellschaft m.b.H.", die "Messter-Film- und Apparate-Ges.m.b.H.", die "Helios-Film Ges.m.b.H." und die "Polo Film- Vertriebs-Gesellschaft m.b.H." Das im Erdgeschoß gelegene Café Elsahof, das auf der Rückseite des Gebäudes auch über einen ruhigen Gastgarten verfügte, galt als der Treffpunkt der Wiener Filmbranche schlechthin.
Trotz der Vertreibung und Verfolgung der Filmschaffenden während des Nationalsozialismus aus rassistischen und politischen Motiven, flackerte das filmische Leben in Wien-Neubau rund um das Café Elsahof nach 1945 für kurze Zeit wieder auf, wie der Wiener Schauspieler, Schriftsteller und Theaterintendant Gerhard Tötschinger in einem literarischen Streifzug durch die Wiener Bezirke berichtet:
"Selbst nach dem Ende der großen Ära des Filmviertels gab es in der Neubaugasse den Sitz der Schönbrunnfilm, der Paula-Wessely Film. Im Café Elsahof sah man Tag für Tag an seinem Stammtisch den früheren Major Carl Szokoll, der sich dem Widerstand angeschlossen hatte und mit der 'Operation Radetzky' um die kampflose Übergabe Wiens an die Rote Armee bemüht gewesen war. Nach dem Krieg wechselte Szokoll zum Film, wurde Produktionsleiter bei der Schönbrunn-Film und der Cosmopol-Film, gründete seine eigene Firma Neue Delta und blieb dem neuen Beruf und der und der Neubaugasse treu."
Das Café Elsahof war in der Nachkriegszeit aber nicht nur der Treffpunkt Filmschaffender, sondern auch ein Billardcafé, denn ab 1945 fanden dort fast alle wichtigen österreichischen Billardereignisse statt. Kurz vor der endgültigen Schließung wurden 1971 die nationalen Billiardmeisterschaften zum letzten Mal im Café Elsahof ausgetragen. Auch dieses Café ist heute ein Lebensmittelgroßmarkt.
Links:
Theater und Vergnügungen, Central Kino (Neue Freie Presse vom 13. Oktober 1917)
Heute vor 100 Jahren: Die Grazer Erstaufführung zweier Stummfilme (27. September 1918)
Heute vor 100 Jahren: Franz Lehar im Film (25. Mai 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der österreichisch-ungarische Film (27. Dezember 1917)
Weiterlesen: Gerhard Tötschinger, Vom Schaumburger Grund ins Lichtental. Die Wiener Bezirke IV bis IX, Amalthea Verlag, Wien 2016