Vor hundert Jahren, auf den Tag genau, erschien in der Arbeiter Zeitung ein Artikel, der einen Einblick in die Gefühlswelt des Ersten Weltkrieges gibt: "Draußen in Grinzing, in der Straße, die den schönen Namen 'An den langen Lüßen' führt, schlürft ein Armenhäusler aus dem nahegelegenen Altersheim dahin. Schwere Holzpantoffel trägt er an den Füßen, mühselig kriecht er daher. 'Wann i bitten derft,' stammelt er ungeschickt, 'wann i um a bißl was bitten derft...' Man merkt auf den ersten Blick, daß der Alte das Betteln nicht gewohnt ist. Er bestätigt die Vermutung auch sofort und erzählt auf eine flüchtige Frage seine ganze Geschichte. Das alte Lied! Ein Sohn ist in der Gefangenschaft gestorben, die Schwiegertochter in die Heimat, nach Ungarn, gezogen. Der Alte mußte in die Versorgung. Dort wartet er jetzt auf die Heimkehr des zweiten Sohnes und des ältesten Enkels. Es ist ein bitteres Warten, jeder Altersfreude beraubt. Doch möchte er die beiden noch einmal sehen und in Sicherheit wissen. 'Aber lang derfs nimmer dauern,' meint er still. 'I gspür's alle Tag... unser Herrgott mag nimmer warten.'"
Der Herr aus Grinzing war nicht der einzige, der auf seine Verwandten wartete. Österreich-Ungarn entsendete 9 Millionen Soldaten an die Front, von denen 1,2 Millionen den Krieg nicht überlebten. Für die Angehörigen war es besonders traumatisch, dass ihre gefallenen Söhne, Ehemänner und Väter fern der Heimat in anonymen Massengräbern beerdigt wurden. Sie wollten den Gefallenen ein Grab geben, um sich in Würde zu verabschieden.
1916 gründete die k.u.k. Heeresverwaltung eine Stiftung zur Organisation des Kriegsgräberdienstes und zur Ausstattung der Soldatenfriedhöfe, außerdem wurden Kriegerdenkmäler geplant. So kündigte beispielsweise der Bürgermeister Wiens Weiskirchner an, "für jeden gefallenen Wiener eine Eiche" pflanzen zu wollen.
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Ungeduld (Arbeiter Zeitung vom 14. April 1918)
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