Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Österreich zu einer Reihe von Prozessen gegen Offiziere der k.u.k. Armee wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Kriegsverbrechen. Diese Prozesse waren, ganz anders als 1945, nicht von außen angestoßen, sondern wurden von der jungen Republik aus eigenem Antrieb durchgeführt. In Anbetracht tausender Hinrichtungen während des Kriegs, viele davon ohne Gerichtsverfahren, Missachtung standgerichtlicher Vorgaben und anderer Vorfälle, war der Ruf der alten Armee und insbesondere deren Offizierscorps zerstört. Zu den "clamorosen" Fällen gehörten Verfahren gegen Feldmarschallleutnant Alois Pokorny, Generalmajor Josef Teisinger von Tüllenburg oder Feldzeugmeister Stefan Freiherr von Ljubićić.
Am 14. Dezember beschäftigte sich mehrere Zeitungen, darunter auch die Illustrierte Kronen-Zeitung, mit dem Fall des als aufbrausend und streng geltenden Feldmarschallleutnants Pokorny:
"Die zur Ueberprüfung von Feldgerichtsurteilen eingesetzte Kommission hat dem Staatsamte für Heerwesen nachstehende Meldung erstattet: Am 14. August 1914 fand vor dem Standgerichte bei der k.u.k. 11. Inf.-Truppendivision in Brzesany die Verhandlung gegen den Müllergehilfen Johann Grecko aus Wojnilow, Bezirk Kalusz, wegen Verbrechens der Mitschuld an der Ausspähung statt. Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, er habe am 5. August abends in Lipica Dolna bei Rohatyn, als dort eine Abteilung des Inf.-Reg. 58 eintraf, vor der Mühle, in der er angestellt war, einem versteckten unentdeckt gebliebenen Ausspäher die Ankunft der Truppen im Orte und die Stärke der Truppen durch Lichtsignale bekanntgegeben. Der Angeklagte beteuerte seine Unschuld und erklärte, er habe vor Bekannten scherzweise ein Kunststück produziert indem er Petroleum in den Mund nahm und es auf brennende Zündhölzchen blies, wodurch längere und kürzere Flammen entstanden seien. Tatsächlich wiederholte der Angeklagte späterhin sein Kunststück vor Offizieren und Gendarmen. Der Angeklagte, der nicht lesen und schreiben konnte, zeigte einen derartig tiefen Grad von Bildung und Intelligenz, daß die Möglichkeit der ihm angelasteten Tat die Beherrschung des Morse-Alphabets oder anderer Lichtverständigungsmethoden dem Standgericht zweifelhaft erschien. Nach durchgeführter Verhandlung faßte das Gericht den Beschluß, zur Durchführung nötiger Erhebungen das Standrechtsverfahren in das ordentliche Verfahren überzuleiten. Als der Verhandlungsleiter Hauptmann-Auditor Stefan Tysowski dem zuständigen Kommandanten FML. Alois Pokorny von diesem Ausgange der Verhandlung berichtete, zerriß dieser das Verhandlungsprotokoll und erteilte dem Verhandlungsleiter den Befehl, ein neues Standgericht zusammenzusetzen und den Angeklagten unbedingt im Laufe desselben Tages verurteilen und justifizieren zu lassen. Als Hauptmann-Auditor Tysowski ein solches Vorgehen als ungesetzlich und seiner beschworenen Eidespflicht als zuwiderlaufend bezeichnete, drohte FML. Pokorny, für den Fall der Nichtausführung des Befehles das sofortige standrechtliche Einschreiten gegen den Hauptmann-Auditor an. Unter dem Drucke dieser Drohung, die einer Todesdrohung gleichkam, ordnete Hauptmann Tysowski eine neue Verhandlung an, die mit der Verurteilung des Angeklagten nur mit Rücksicht auf sein nichterwiesenes Alter zu zehn Jahren schweren Kerkers endete."
Wäre Grecko nachweislich älter als 20 gewesen, wäre er nach seiner Verurteilung an Ort und Stelle hingerichtet worden. Greckos Verurteilung wurde aber im Oktober 1914 vom Obersten Militärgerichtshof aufgehoben und ein neues, diesmal ordentliches, Verfahren angeordnet. Dazu kam es aber nicht, da Grecko die Flucht aus der Gefangenschaft gelang. Zwar wurde das Verhalten Feldmarschallleutnants Pokorny als gesetzwidrig erkannt, hatte aber während des Kriegs keine Folgen für ihn.
Erst in der Republik kam es zum Strafverfahren gegen Alois Pokorny, das am 20. November 1919 mit einem heftig umstrittenen Freispruch endete. Vor dem Gericht gab Pokorny zu, bewusst gegen geltendes Recht verstoßen zu haben, was aber im Krieg – so Pokorny – ausnahmsweise notwendig wäre. Er hätte deshalb nicht rechtswidrig gehandelt, da er "höhere Rücksichten" gewahrt hätte. Nach heutigen Maßstäben wäre der Feldmarschallleutnant vermutlich schuldig gesprochen worden (vgl. Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik, Wien 1988).
Links:
Die Urteile der Feldgerichte. Ein Justizverbrechen auf Befehl des FML. Pokorny (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 14. Dezember)
Wie man Justizmorde organisiert hat (Arbeiter-Zeitung vom 14. Dezember 1918)