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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

15. Dezember 1918

Das Café de l'Europe am Stephansplatz, eines der bekanntesten Wiener Kaffeehäuser, 1918
"Das Café de l'Europe am Stephansplatz, eines der bekanntesten Wiener Kaffeehäuser, wird am 15. Dezember geschlossen. Die Räumlichkeiten werden von einer Bank bezogen"; © Wiener Bilder vom 15. Dezember 1918

"Das bei allen Einheimischen und Fremden bekannte Kaffeehaus gegenüber dem Wahrzeichen Wiens, dem alten Steffel, das 'Cafe de l'Europe', das im Laufe der Jahre selbst zu einer Art Wahrzeichen geworden ist, wird am 15. Dezember geschlossen, in den Räumen desselben wird eine Bankfiliale errichtet werden. Der Besitzer Herr Ludwig Riedl zieht sich ins Privatleben zurück. Die Schließung des 'Café de l'Europe' ist ein lokalhistorisches Ereignis, weil es nicht nur in Wien ungemein populär, sondern auch im Auslande sehr bekannt war. Vor nunmehr 32 Jahren hat der damals noch junge Ludwig Riedl – er wird jetzt sechzig Jahre alt – das Kaffeehaus übernommen und bald war er im Kreise seiner Berufsgenossen als der Reformator des Wiener Kaffeehauses bekannt und anerkannt. Er war mit Erfolg bemüht, das Wiener Kaffeehaus in weltstädtischem Stil auszugestalten. Insbesondere sollte in den großen Wiener Kaffeehäusern womöglich jeder Ausländer eine Zeitung seiner Heimat und seiner Muttersprache finden. Ludwig Riedl war im Geschäfte unermüdlich tätig und hatte eine große Stütze an seiner Gattin, Frau Luise Riedl, die ihm vor einigen Monaten durch den Tod entrissen wurde. Der Besuch des 'Café de l'Europe' steigerte sich zu einer beispiellosen Höhe und im Karneval waren die weiten Räume die ganze Nacht hindurch bis zum tagenden Morgen dicht besetzt. Eine Spezialität waren die Silvesternächte im 'Café de l'Europe'. Da saßen dichtgedrängt Hunderte von Gästen beim Punsch, oder Champagner und begrüßten das neue Jahr. Das 'Café de l'Europe' ist jahrzehntelang – welcher Gegensatz zu den jetzigen Verhältnissen – überhaupt nicht geschlossen worden."

Das ursprüngliche Café de l'Europe, das täglich bis in die frühen Morgenstunden geöffnet hatte, entstand 1874 an der Ecke Stephansplatz 8A und der Jasomirgottstraße. Zu den Gästen des beliebten Etablissements zählten vor dem Ersten Weltkrieg neben Angehörigen des Kaiserhauses, Offiziere, Diplomaten und Künstler, unter ihnen auch Gustav Mahler. Nach dem Einzug einer Bank in den am Stephansplatz gelegenen Räumlichkeiten, übersiedelte das Café Ende 1918 in den in der Jasomirgottstraße gelegenen hinteren Gebäudetrakt. 1933 wurde es zum Treffpunkt deutscher Emigranten – darunter auch auch Bertolt Brecht –, die vor dem Nationalsozialismus flüchteten. Knapp vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs brannte das Café aus und wurde 1951 als erstes Espresso Wiens an der Adresse Graben 31 wiedererrichtet. Bis heute ist es im Stil der 1950er-Jahren erhalten geblieben.

Link:
Das Ende des "Café de l'Europe" (Wiener Bilder vom 15. Dezember 1918)

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