Das in Wien erscheinende Neuigkeits-Welt-Blatt, eine Zeitung mit grundsätzlich katholischer Ausrichtung, warb am 15. Februar 1919, einen Tag vor der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung, mit einer antisemitischen Karikatur für die Christlichsoziale Partei. Illustrator war der populäre Karikaturist Fritz Schönpflug, der als einer der Begründer der antisemitischen Karikatur im frühen 20. Jahrhundert gilt. Die Karikatur wurde von einem Wahlaufruf begleitet:
"In dieser bewegten Zeit ist nun auch ein Wahlbilderbogen erschienen, auf dem Fritz Schönpflug eine Bilderserie geschaffen hat, die wahrhaftig für sich selbst spricht. Wir zeigen sie im obigen Bild, denn gerade jetzt ist es an der Zeit, zu bedenken, wohin das christliche Volk in den letzten Jahren gekommen ist. Der Soldat, der Beamte, der Arbeiter, der Bürger und der Handwerker haben eingebüßt, was sie an Gesundheit und Lebensmöglichkeit hatten. Sie sind total heruntergekommen. Nur einer ist höher gestiegen, reicher und dicker geworden, der Jude, der heute seinen reichen Kriegsgewinn in der Kasse hat. Es kann daher für jeden denkenden Menschen in Deutschösterreich, für Männer wie für Frauen, für alle Stände am Sonntag nur die eine Parole geben: 'Christlichsozial!'"
Im Laufe der Jahre sollte das Neuigkeits-Welt-Blatt unter seinem antisemitisch eingestellten Herausgeber August Theodor Kirsch einen immer radikaleren Kurs einschlagen. In den 1930er-Jahren unterstützte das Blatt den autoritären Kurs von Engelbert Dollfuß und wurde bis 1938 als offiziöses Blatt der Dollfuß-Schuschnigg Diktatur wahrgenommen. Nach dem "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland biederte sich der Herausgeber des Neuigkeits-Welt-Blattes an das nationalsozialistische Regime an, sodass sein Blatt als einzige ehemals österreichische Zeitung nicht von einem reichsdeutschen Verlag übernommen wurde. Es erschien bis zu seiner kriegswirtschaftlich bedingten Schließung mit dem Untertitel "älteste arische Tageszeitung Wiens."
Kirsch wurde 1945 aufgrund seiner Rolle während des Nationalsozialismus kurzfristig inhaftiert, konnte aber aufgrund guter, aus der Zwischenkriegszeit herrührenden, Beziehungen zu katholisch-politischen Kreisen, seine publizistische Tätigkeit ab 1946 fortsetzen ("Illustrierte Wochenschau", "Illustrierte Romanzeitung"). Kirsch wurde Mitglied des Verbandes österreichischer Zeitungen (VÖZ) und übernahm 1956 den Vorsitz der Sektion "Wochenzeitungen" der VÖZ. Kirsch verstarb 1959 in Wien.
Links:
Wählet christlichsozial! Eine beachtenswerte Bilderserie, die für sich selbst spricht (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 15. Februar 1919)
Heute vor 100 Jahren: Eine Resolution gegen den grassierenden Antisemitismus (28. Juli 1918)