Im letzten Kriegsjahr erreichten Mangelwirtschaft und Inflation einen vorläufigen Höhepunkt und führten auch zu Konflikten über die von der Friseurgenossenschaft festgelegten Preiserhöhungen für Friseurleistungen. Am 15. Juli veröffentlichte die Neue Wiener Friseur-Zeitung deshalb einen "Vermittlungsvorschlag" für den 12. Wiener Gemeindebezirk, "da ja die örtlichen Verhältnisse so verschiedenartig sind, daß ein halbwegs gleichmäßiger Preis nicht durchführbar ist":
"Was aber heute verlangt werden muß, ist, daß jeder einzelne die gegenwärtigen Verhältnisse in Betracht ziehen und für seine Arbeitsleistung so viel verlangen muß, um halbwegs sein Auskommen zu finden, ohne jede Hungerkur. Der heute noch um 20 bis 30 Heller arbeitet, gehört ins Irrenhaus, denn an dessen Zurechnungsfähigkeit muß gezweifelt werden […] Und die 'Kleine österreichische Volks-Zeitung' vom Sonntag den 26. Mai ergeht sich unter der alarmierenden Ueberschrift 'Die Kriegsluxussteuer der Köpfe', in folgenden Auslassungen: Die verteuerte Glatze. – Rasieren: 1 Krone 50 Heller. – 500 Kronen für eine Straßenperücke. 1000 Kronen für 'falsche Haare'. — Die Zwangslage des Friseurgewerbes. 'Du gehst zum Friseur? Vergiß die Brieftasche nicht.' Das Wort wird jetzt zur Parole werden. Der angekündigte Kriegstarif der Wiener Friseure ist Tatsache geworden. Wien, die Stadt, in der seit jeher der 'nettfrisierte' Kopf zu den Hauptbedingungen des männlichen und weiblichen 'Auftretens' in der Gesellschaft gehörte, ist um eine 'Reform' bereichert: Der 'nette Kopf' ist 'Kriegsluxus' geworden, wer nicht 'wie ein Wilder' herumlaufen will, muß Rekordpreise bezahlen. In sämtlichen Frisier- und Rasierläden ist neuerlich eine neue Kundmachung der Genossenschaft angeschlagen, die eine förmliche 'Preisrevolution' der alten, übrigens im Kriege schon mehrmals erhöhten Gebühren bedeute! Der neue Tarif enthält nicht weniger als 50 einzelne Posten, davon 12 für 'Herrenbedienung', 11 für 'Haarersatzteile' und 27 für 'Damenbedienung'. Abgesehen von den neuen Kriegspreisen, ist auch die hier wenig bekannte Mannigfaltigkeit der einzelnen 'Eingriffe' und Haarkünste interessant, die im Tarif aufgezählt werden und fortan ihre speziellen Einzelhonorare finden sollen. Sollen! Denn in der Praxis wird es nicht jedem Friseur möglich sein, die vorgeschriebenen Tarifsätze auch bei der Kundschaft, die ja vielfach selbst schwer – ebenso wie die Friseure – mit der Not der Zeit zu kämpfen hat, 'einbringlich' zu machen."
Der "Vermittlungsvorschlag" sah daher die Einführung eines niedrigeren Mindesttarifs vor, der es einzelnen Friseuren ermöglichte gegebenenfalls auch den höheren Genossenschaftstarif zu verrechnen. Die vorgeschlagenen Mindesttarife lauteten: "Rasieren 60 h [Heller], Haarschneiden 1 K [Krone], Rasieren, Frisieren und Bartausziehen 1 K, Frisieren allein 60 h, Schnurbart stutzen 60 h, Kinderhaarschneiden nur mit Ausnahme von Samstagen, Sonntagen und Feiertagen 60 h." Die Krone hatte einen Vorkriegswert von etwa 5,5 Euro, der 1918 auf nur mehr 50 Cent gefallen war, was aber durch die kriegsbedingte Isolierung Österreich-Ungarns erst nach dem Krieg, dann aber dramatische Auswirkungen hatte.
Link:
Ein Vermittlungsvorschlag. Unterbreitet am 12. Juni 1918 in der Sitzung der Freien Meister-Vereinigung des XII. Bezirkes (Neue Wiener Friseur-Zeitung vom 15. Juli 1918)