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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

16. Februar 1919

Ein Wiener Wahllokal am 16. Februar 1919
Ein Wiener Wahllokal am 16. Februar 1919; © Das interessante Blatt vom 20. Februar 1919

Am 16. Februar 1919 fand die erst Parlamentswahl in der Geschichte der Republik statt, nämlich die Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung. Ein Novum war, dass erstmals allen Frauen das passive und aktive Wahlrecht zustand. Das Wahlalter wurde von 24 auf 20 Jahre gesenkt. Kurios mutet heute an, dass Frauen und Männer verschiedenfarbige Wahlkuverts erhielten, lichtgraue für Frauen und blaugraue für Männer. Damit sollte vor allem das Wahlverhalten der Frauen festgestellt werden. Deshalb wurden während der gesamten Ersten Republik entweder farblich unterschiedliche Wahlkuverts oder für Frauen und Männer getrennte Wahlurnen verwendet. Die Stimmzettel selbst waren allerdings nur grob normiert und konnten selbst in das Wahllokal mitgenommen werden. Aus diesem Grund druckten (Partei-)Zeitungen Stimmzettel zum Ausschneiden ab, oft bereits mit einer Parteibezeichnung und dem Namen eines Bewerbers, oder Parteifunktionäre verteilten am Wahltag vor den Wahllokalen ihre eigenen Stimmzettel.

An der Wahl 1919 nahmen über 26 Listen teil, von denen 17 den Einzug ins Parlament schafften. Da Deutschösterreich Gebiete beanspruchte, die in Böhmen und Mähren beziehungsweise in Italien (Südtirol) lagen, sollte die Wahl auch in diesen Gebieten durchgeführt werden, was aber von den tschechischen und italienischen Behörden verhindert wurde. In den Zeitungen wurde jedenfalls eifrig über den Verlauf der Wahl berichtet, so auch im Neuen 8 Uhr Blatt am Tag nach der Wahl:

"Schauen wir den Ergebnissen des gestrigen Wahltages fest und mutig in die Augen. Die Bevölkerung hat gesprochen, ihr Wille ist oberstes Gesetz bis zur nächsten Volksabstimmung. Die stärksten Erfolge weist die sozialdemokratische Partei auf, ihr rücken die Christlichsozialen nahe, an dritter Stelle stehen die Deutschnationalen und die Deutschfreiheitlichen. Der Sinn der Wähler und der Wählerinnen war in erster Linie von dem Eindruck beeinflußt, den der verlorene Krieg und dessen Folgen ausüben. Aerger, Verdruß und Unzufriedenheit stärken die sozialdemokratische Richtung, deren Vertreter dieses Stimmungsmoment in der Wahlbewegung am eifrigsten, von seiner Rücksicht beengt, ausgenützt haben. Das fortschrittliche Bürgertum sah sich einer verwirrenden Fülle ineinanderfließender Programme gegenüber; der unselige Fraktionsgeist triumphierte im wilden Wachstum von Gruppen und Grüppchen und übersah, daß er die fortschrittlich Gesinnten durch diese Spaltung und Sonderung selbst darauf aufmerksam machte, wie hiedurch die Aussichten der vielen kleinen Parteien auf Wahlerfolg geschwächt wurden; so wandten sich viele nach rechts oder links, weil in der Politik stets die stärkeren Strömungen größere Anziehungskraft ausüben. Die Machtfrage entscheidet in der Politik. Keine Partei wird in der kommenden Konstituante allein die Mehrheit besitzen. Das Kräfteverhältnis der Gruppen nötigt zur Koalition, zum Kompromiß. Wie das Proportionalwahlrecht die Geltung der Minderheiten sichern soll, so müssen die aus diesem Wahlrecht Hervorgegangenen in jeder Gruppe den Willen eines Teiles der Bevölkerung respektieren. Jeder Versuch einer Terrorisierung oder Diktatur wäre eine brutale Mißachtung der Volksstimme. Auf die mächtigen Parteien fällt natürlich der größere Teil der Verantwortung; die Bevölkerung, die eine Besserung ihrer gegenwärtigen Lage dringend erstrebt, wird sorgsam achten, wie die Regierungsgeschäfte nun geführt werden, scharf prüfen, wie weit das Talent reicht, das Staatsschiff zu lenken, ob die Leistungen den Versprechungen gerecht werden."

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (40,75 %) und die Christlichsozialen (35,93 %) einigten sich 1919 auf eine große Koalition. Am 4. März 1919 wurden unter den 159 Abgeordneten auch die ersten acht weiblichen Abgeordneten Österreichs angelobt.

Link:
Nach dem Wahltage (Neues 8 Uhr Blatt vom 17. Februar 1919)

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