Am 17. Februar 1919 wartete das ganze Land gespannt auf die Ergebnisse der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung Deutschösterreichs. Auch der 1845 geborene Jurist und Verfassungsrichter Julius Ofner trat mit der von ihm mitbegründeten Demokratischen Partei zur Wahl am 16. Februar 1919 an.
Ofner war ein weltoffener Vertreter des Liberalismus und befasste sich unter anderem auch intensiv mit Sozialpolitik und Rechtsphilosophie. Die Modernisierung verschiedener Gesetze gingen auf Ofners Initiative zurück, darunter das Verbot von Kinderarbeit, Sonntagsruhebestimmungen, Frauenrechte die Reform des Strafgesetzes mit der Einführung bedingter Strafen und anderes mehr. Die Strafgesetzreformen wurden inoffiziell auch als "Lex Ofner" bezeichnet. Seine Vorschläge bezüglich der Reform des Eherechts stießen vor allem in katholisch-konservativen Kreisen – Ofner war jüdischer Herkunft – auf Widerstand (auf den sich die oben abgebildete Karikatur unter anderem bezieht). 1918 war Ofner auch an der Begnadigung des aufgrund antisemitischer Vorurteile unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilten Leopld Hilsner beteiligt.
Der Wahltag war in Wien ruhig verlaufen und Julius Ofner machte sich tags darauf noch Hoffnungen den Einzug in die Nationalversammlung zu schaffen. Die Wiener Neuesten Nachrichten berichteten vom Wahltag:
"In Wien, wo in sieben Wahlkreisen 48 Mandate zu besetzen waren, verlief der Wahl-Sonntag im großen und ganzen ruhig und würdig, was der Besonnenheit der Wiener Bevölkerung ein Ehrenzeugnis ausstellt. Bekanntlich hatten die Christlichsozialen bei den letzten Reichsratswahlen im Juni 1911 von den 33 Mandaten Wiens nur 3 erhalten. Abgesehen von einigen verhältnismäßig unbedeutenden Zwischenfällen spielte sich das große zwölfstündige Ringen zwischen den vielen Parteien in Wien in Ruhe und Ordnung ab. Dem Alkoholverbot, das zweifellos eine wohltuende Wirkung ausübte, gebührt nicht das alleinige Verdienst, sondern der sittliche Ernst und die politische Reife der Wiener Bevölkerung haben ihren großen Anteil daran. Wer halbwegs konnte, ging schon vormittags zur Wahl, reihenweise kamen die Wähler vielfach von der Sonntagsmesse der Kirche ins Wahllokal oder umgekehrt vom Wahllokal zur Kirche. Die da und dort geäußerte Besorgnis, die im Wahlgeschäft noch ganz unerfahrenen Frauen würden die Abwicklung des Wahlganges erschweren, erwies sich als völlig grundlos: sie zeigten sich den Männern durchaus ebenbürtig, sowohl an Gewandtheit als an Eifer […] Viel besprochen und bewitzelt wurde auch der Wahlschmuck, den das Goethedenkmal auf der Ringstraße von unbekannten Spendern erhalten hatte: nämlich ein riesiger Kranz mit roten Schleifen und dem Goethezitat als Inschrift: 'Die ganze Welt ist doch ein Mischmasch von Liebe, Irrtum und Gewalt'."
Ofner wartete vergeblich auf seinen Einzug in das Hohe Haus am Ring, da seine Demokratische Partei den Einzug in die konstituierende Nationalversammlung verpassen sollte. Er verstarb 1924 in Wien, wo der 1926 erbaute Julius-Ofner-Hof des Architekten Ernst Lichtblau, ein 1932 in der Taborstraße aufgestelltes Denkmal (1943 von den Nationalsozialisten entfernt, 1948 wiedererrichtet) sowie die Ofner-Gasse in Wien-Leopoldstadt seit 1925 an ihn erinnern.
Links:
Der Wahltag in Wien (Wiener Neueste Nachrichten vom 17. Februar 1919)
Heute vor 100 Jahren: Der Fall Leopold Hilsner (3. April 1918)