Die Website zum Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 wird nicht mehr aktualisiert, steht aber bis auf weiteres als Nachlese zur Verfügung.
Seitenpfad
Ihre Position: Oesterreich100.at - Von Tag zu Tag 1917 bis 1919
Inhalt

Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

17. Juli 1918

Kassensaal und Wechselstube der N.-Ö. Eskompte-Gesellschaft in der Wiener Innenstadt
Kassensaal und Wechselstube der N.-Ö. Eskompte-Gesellschaft in der Wiener Innenstadt, Am Hof, heute befindet sich in diesen Räumen ein luxuriöses Hotel; © Der Architekt, XXI. Jahrgang 1916/18, Hauptteil, Seite 7

Am 17. Juli 1918 Jahren berichtete die Neue Zeitung über die Aufdeckung des Scheckbetrügers Josef Kleinfinger in der Filiale einer Großbank in der Wiener Inneren Stadt:

"Eine ganz eigenartige Betrugssache hat das Polizeikommissariat Innere Stadt eben zum Abschlusse gebracht. Es handelt sich um die Herauslockung einer Summe von 103.000,- Kronen [50.817,- Euro] mittels gefälschter Schecks durch einen jungen Kontoristen. […] Am 8.d.M. erschien in der Wechselstube einer hiesigen Großbank ein junger Mann und legte einen Scheck einer Kaffee-Importfirma, der auf 21.602,- Kronen [10.659,- Euro] lautete, zur Auszahlung vor. Der Beamte sah den Scheck an und fand, daß er bedenklich erscheine. Ohne seine Bedenken zu äußern, ging er vom Schalter weg, als ob er den Scheck einlösen wollte; heimlich aber ging er in das anstoßende Bureauzimmer und fragte von dort aus durchs Telephon bei der betreffenden Firma an […] Er erhielt die erwartete Auskunft, daß ein Betrug vorliege und daß der Präsentant des Schecks sofort angehalten werden möge; der Scheck habe ursprünglich auf 1.602,- Kronen [790,- Euro] gelautet und sei auf den höheren Betrag gefälscht worden […] Da stellte sich heraus, daß der junge Mann in den letzten fünf Monaten auf gleiche Weise bei der Stadtfiliale einer anderen Großbank, bei der seine Firma auch ein Depot hat, 79.000,- Kronen [38.976,- Euro] und bei einer dritten Großbank auch auf den Namen der Firma 24.000,- Kronen [11.840,- Euro] zu Unrecht behoben hat."

Überraschend war Kleinfingers Motiv:

"Man fand aber bei ihm einen Briefwechsel, der Licht in die Sache brachte. Aus der beschlagnahmten Korrespondenz ging hervor, daß Kleinfinger seit längerer Zeit mit dem 23jährigen Partieführer für Bahnbau Rudolf Flieger, Hernals, Sautergasse 13 wohnhaft, sträfliche Beziehungen unterhielt. Den größten Teil der Beute hat Kleinfinger ihm zugewendet. Er überhäufte ihn mit Geschenken, die nicht nur in Bargeld, sondern auch in Schmuckgegenständen, feinen Likören, edelsten Weinen und so weiter bestanden."

Erstaunlich ist, dass die damaligen Zeitungen die vollständigen Namen und Adressen der handelnden Personen veröffentlichten – heute undenkbar. Ursprünglich wurde auch Rudolf Flieger verhaftet, der aber nichts von den Machenschaften seines Lebensgefährten wusste. Am 27. Februar 1919 endete der Prozess gegen Kleinfinger, der von einem Geschworenengericht zu zehn Monaten schweren Kerkers verurteilt wurde. Die Schuldfrage hinsichtlich des "Sittlichkeitsverbrechens" wurde allerdings mit neun von 12 Stimmen verneint – Homosexualität blieb in Österreich aber bis 1971 strafbar, letzte Sondergesetze wurden erst 2002 vom Verfassungsgericht aufgehoben.

Link:
Der Scheckfälscher und sein "Freund" (Neue Zeitung vom 17. Juli 1918)

Alle Einträge anzeigen: Von Tag zu Tag