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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

19. August 1918

Karikatur: Für die "Ortsarmen"
"Für die 'Ortsarmen'"; © Illustrierte Kronen-Zeitung vom 19. August 1918

Am 19. August 1918 kritisierte die Illustrierte Kronen-Zeitung die Beschlagnahmung von Lebensmitteln und deren Verteilung. Die Lebensmitteln sollten den "Ortsarmen" zugutekommen – doch oftmals landeten die beschlagnahmten Waren nicht bei den Bedürftigen:

"Gar mancher wird sich schon den Kopf zerbrochen haben, was mit den vielen Lebensmitteln geschieht, die auf Bahnhöfen und auf Landstraßen, den armen Leuten, die sie mühsam erworben haben und im Rucksack mit sich schleppen, abgenommen werden. Man bezeichnet diese Leute, die von den Gendarmen oder Finanzern so schwer gestraft werden, als Hamster oder Schmuggler und findet, daß für solche Personen die Beschlagnahme der Lebensmittel noch die geringste Strafe ist. Und doch tut man diesen Leuten unrecht, wenn man sie Hamster oder Schmuggler nennt. Verdient eine Mutter den Namen Hamster oder Schmugglerin, die zu Hause drei Kinder hat und eine stundenlange Wanderung unternimmt, um sich in den glücklichen Besitz von 15 oder 20 Kilo Kartoffeln zu setzen? […] Der Wirrwarr, der auf diesem Gebiete herrscht, ist so groß, daß sich viele Schwindler das zunutze machen. Auf Lokalstrecken in Steiermark hat ein Gauner daraus Vorteil gezogen und mit einigen Komplizen die Reisenden regelrecht geplündert. Namentlich den Frauen wurden alle Lebensmittel abgenommen und die Schwindler, die widerrechtlich Uniformen trugen, verkauften dann die 'beschlagnahmten' Lebensmittel zu hohen Preisen. Gar oft heißt es, daß konfiszierte Eßwaren für die Ortsarmen bestimmt seien. Wie es aber in Wirklichkeit mit der Versorgung der Ortsarmen aussieht, darüber gibt ein Vorkommnis Aufschluß, das vor ganz kurzer Zeit in einem Orte Steiermarks, der nahe an der niederösterreichischen Grenze liegt, passiert ist. Hat dort ein biederer Steirer, der über den Besitz von vier Schafen verfügte, das Plänchen gefasst die geduldigen Lämmer in der Ghoam [Mundart für "Im Geheimen"] über die Grenze zu bringen und sie auf niederösterreichischem Gebiete mit tüchtigem Profit zu veräußern […] Schon schien das Unternehmen zu glücken, da wuchs plötzlich noch auf steirischem Boden ein Gendarm förmlich aus dem Boden und hielt den zu Tode erschreckten Schmuggler an. Nach kurzer Aufnahme des Tatbestandes brachte das Auge des Gesetzes den um seine schönsten Hoffnungen betrogenen Steirer mit seinen vier Schafen in den Heimatort zurück. Dort erkannte die Obrigkeit den Verhafteten der Gesetzesübertretung für schuldig und konfisziere ihm die vier Schafe mit der Anordnung, daß diese für die Ortsarmen abzugeben seien. Gegen die Entscheidung wäre nichts einzuwenden, hätte doch dadurch eine Anzahl armer und hungriger Leute unverhofft ein gutes Stück Fleisch erhalten, indessen Entscheidung und Erledigung ist zweierlei. Die Schafe wurden auch verteilt, aber an folgende 'Ortsarme': an die beiden Gastwirte und an die zwei Männer, welche die Aufgabe haben, als bewaffnete Vertreter des Gesetzes für Ruhe, Ordnung, Zucht und Sitte, Sicherheit und Redlichkeit im dortigen Bezirke zu sorgen."

Links:
Für die "Ortsarmen" (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 19. Juli 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Kampf um die Erdäpfel (7. August 1918)

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