Die Arbeiter-Zeitung entwickelte sich im Laufe des Weltkriegs zu einem der regierungskritischsten Blätter der Monarchie. Immer wieder wurde – sofern es die Pressezensur zuließ – Kritik an der Militärverwaltung geübt, der unter anderem Ineffizienz, Standesdünkel und Unsensibilität vorgeworfen wurde. Am 19. Oktober 1918 prangerte die Arbeiter-Zeitung den herzlosen Umgang des Militärs mit den Angehörigen eines Soldaten an, der durch rücksichtslose Behandlung im Dienst verstarb: Richard Hanusch hatte an der Front eine Gasvergiftung erlitten, war in Wien in Behandlung und wurde trotz seiner geschwächten Lunge und mit hohem Fieber für feldtauglich erklärt. Am 2. Oktober 1918 trat er seinen Dienst in Ebenfurt an, erlitt einen Zusammenbruch und wurde ohnmächtig in das Kriegsspital Wiener Neustadt gebracht, wo er verstarb. Anna Hanusch, die Schwester des Verstorbenen, schrieb folgenden Brief an die Arbeiter-Zeitung:
"Seine Familie hatte keine Nachricht. Ich, seine Schwester und unsere Mutti, waren in tausend Aengsten. Alle Tage warteten wir vergebens auf Nachricht. Endlich am 14. d. fuhr ich nach Ebenfurt nachzufragen, was eigentlich mit dem Bruder sei. Da sagte man mir, er liege mit hohem Fieber im Kriegsspital in Wiener-Neustadt. Ich ging drei Stunden bis dorthin und fragte nach meinem Bruder. Ich wurde in der Aufnahmskanzlei des Spitals an das Postfräulein gewiesen und dieses sagte mir kalt in das Gesicht, daß er gestorben und am Tage vorher begraben worden sei, ohne unser Wissen. Auf meine Frage, warum man uns nicht verständigt habe, sagte das Fräulein, man hätte nicht die Adresse gewußt und der Bursche hatte keine Auskunft geben können, weil er bewußtlos war. Aber damit wir rechtzeitig zum Begräbnis kommen können, habe man uns ein Telegramm geschickt. Woher hatten sie da die Adresse, die nach dem mir vorgewiesenen, Aufgabeschein stimmte? Dann wendete ich mich an den Offizier, der mir die Wertsachen hätte zurückgeben sollen. Der sagte, er müsse zuerst essen. Ich mußte verzweifelt warten, bis die Herren gespeist hatten. Nach einer halben Stunde ist der Offizier doch gekommen und auf meine Frage wegen des Telegramms, das nicht angekommen ist, sagte man mir, ich solle es auf der Post abholen. Es nütze mir dann ohnehin nichts mehr, wenn es zu spät sei. Der arme Bursch mußte sterben, ohne daß seine Lieben verständigt wurden und ihm vielleicht Trost bringen konnten. Mir blieb nichts übrig, als ihn im Friedhof zu besuchen."
Resignierend schloss die Arbeiter-Zeitung:
"Wir verstehen schon, daß aus dem Geiste des Militarismus heraus jeder Staatsbürger, den die Gesetze in die Zwangsjacke des Militarismus stecken, zur Nummer wird. Wir können es aber nicht verstehen, daß der Geist des Militarismus so alle Menschlichkeit ertöten kann. Wir fordern, daß der betreffende Kommandant von seiner vorgesetzten Militärbehörde verhalten werde, sich bei der Mutter des armen Jungen zu entschuldigen, und daß darüber hinaus allen Kommanden für solche Fälle gemessene Verhaltungsmaßregeln gegeben werden, dem Geiste der Menschlichkeit entsprechend."
Links:
K.u.k. Militärpietät (Arbeiter Zeitung vom 19. Oktober 1918)
Weiterlesen: Gefallenendenkmal in Oberdrauburg, Bezirk Spittal an der Drau, Kärnten