Heute vor hundert Jahren ereignete sich in der Österreichisch-Ungarischen Nationalbank ein großer Gelddiebstahl. Gegen 10 Uhr vormittags lieferte ein (Pferde-)Wagen des "Postpaketbestellamtes" der Österreichisch-Ungarischen Bank 14 Geldsäcke. Der Geldtransport wurde ordnungsgemäß verschlossen und von zwei Postillionen, einem Postamtsdiener, einem Soldaten und zwei Beamten begleitet. Erst im Hof des Bankgebäudes wurde das Fahrzeug geöffnet und die Säcke entnommen, wobei die Bediensteten fest stellten, dass ein Geldsack mit 454.000,- Kronen (222.764,- Euro) fehlte, und schlugen Alarm.
Sämtliche Tore des Bankgebäudes wurden innerhalb von wenigen Minuten geschlossen und das Polizeikommissariat der Inneren Stadt telefonisch verständigt. Der Dieb hatte nun nicht mehr die Möglichkeit das Bankgebäude zu verlassen. Vielmehr wurde er dabei beobachtet, wie er das Diebesgut in den Keller des Gebäudes schaffte.
Der Hausdiener Franz Wagner, der sich zum Zeitpunkt des Diebstahls in der Bank befand, berichtete den Ermittlern, er habe beobachtet, wie ein Aushilfsdiener der Österreichisch-Ungarischen Bank einen Gegenstand versteckt unter seiner Kleidung in den Keller brachte. Auf Wagners Frage erklärte er, dass es sich dabei um zwei Kilo Fleisch handeln würde. Bei der anschließenden Durchsuchung des Kellers fanden die Polizeibeamten tatsächlich einen Rucksack, der ein Paket mit 131.000,- Kronen (64.278,- Euro) beinhaltete, das aus dem fehlenden Geldsack stammen musste.
Nach der Sicherstellung des Geldes wurde der Tatverdächtige David Lesniak in Verwahrungshaft genommen und gestand daraufhin seine Tat. Der fehlende Rest konnte auf Grund des Geständnisses in mehreren Verstecken sichergestellt werden.
Während der Ermittlungen stellte sich heraus, dass David Lesniak Fleischschmuggel betrieben hatte und ihm zuvor Schweinsbraten im Wert von 1.000,- Kronen (491,- Euro) durch Beschlagnahme abhanden gekommen war. Durch den Gelegenheitsdiebstahl sah er eine Chance, diesen Verlust auszugleichen. Lesniaks Mutter bezeichnete ihren Sohn als "schwachsinnig" und auch seine Kollegen beschrieben ihn als "ein bisschen blöd", weshalb das Gerichtsurteil vergleichsweise mild ausfiel: Am 22. Mai 1918 wurde Lesniak, der zuvor von 2 Psychiatern begutachtet worden war, zur Mindeststrafe von einem Jahr "schweren Kerkers" verurteilt.
Die Österreichisch-Ungarische Nationalbank kam allerdings auch nicht ungeschoren davon: "Die Zeugen sagen über die Vorfälle an dem kritischen Tage aus. Hierbei konstatiert der Vorsitzende, daß der Diebstahl nur durch Außerachtlassung der Vorschriften möglich war und spricht von 'altem Schlendrian'."
Links:
Großer Gelddiebstahl bei der österreichisch-ungarischen Bank (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 20. März 1918)
Der Diebstahl an der Oesterr.-ung. Bank (Neues 8 Uhr-Blatt vom 22. Mai 1918)