Anlässlich des hundertsten Jahrestags der Erstaufführung von Grillparzers Trauerspiel Sappho wurde das Stück am 21. April 1918 am Deutschen Volkstheater wiederaufgeführt. Die Tragödie handelt von der antiken Dichterin Sappho, die sich in den Jüngling Phaon verliebt, der sie aber verschmäht und sich ihrer Dienerin Melitta zuwendet. Sappho zerbricht an ihrer Liebe und begeht Selbstmord.
Die Arbeiter-Zeitung lobte die gelungenen Aufführung und hob dabei besonders Erika von Wagners Darstellung der Sappho hervor, sparte dabei aber nicht mit leiser Kritik: "Frau Wagner diese große und verinnerlichte Sprecherin, brachte die Sappho zu mächtiger äußerer Wirkung, der sich erst in der letzten Szene die künstlerisch höher zu wertende innere Wirkung zugesellte. Sonst hielt sie sich nicht immer in der edlen Linie, ohne die eine Sappho auch in den Augenblicken wildester Leidenschaftlichkeit nicht denkbar ist. Umso williger lauschte man Frau Wagner, wenn sie die kristallklaren Verse Grillparzers ohne gesteigerten Affekt rein und lauter erklingen ließ." Uneingeschränktes Lob wurde hingegen Thea Rosenquist, der Darstellerin der "Melitta", zuteil: "Ihre erste Szene mit Phaon war der Höhepunkt des Abends."
Inszeniert wurde die Aufführung von Friedrich Rosenthal. 1920 gründete Rosenthal im Auftrag des Unterrichtsministeriums die erste staatliche Wanderbühne Österreichs und ab 1932 wirkte er als Dramaturg am Wiener Burgtheater. 1938 wurde Rosenthal wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen, flüchtete nach Frankreich, konnte den Nationalsozialisten aber nicht mehr entkommen und wurde 1942 im KZ Ausschwitz ermordet.
Thea Rosenquist, die am 21. April 1918 im Deutschen Volkstheater in Rosenthals Inszenierung die "Melitta" gegeben hatte und so wie Rosenthal jüdischer Herkunft war, gelang hingegen gemeinsam mit ihrem Mann die Flucht über die Tschechoslowakei nach Kanada.
Links:
Deutsches Volkstheater (Arbeiter Zeitung vom 23. April 1918)
Heute vor 100 Jahren: Thea Rosenquist (27. September 1917)
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