Die immer stärker spürbare Lebensmittelknappheit während des Weltkriegs erforderte die Entwicklung und Produktion von Ersatzlebensmitteln. Oft wurden dabei ungesunde, manchmal sogar giftige Zutaten verwendet. Da auch Tabak knapp wurde, musste er durch verschiedene getrocknete Kräuter und Laub ersetzt werden. Als Ersatz für fehlendes Gemüse wurden verschiedenste Pflanzen gesammelt, was aber nicht immer ungefährlich war. So warnte etwa die Illustrierte Kronen Zeitung am 21. Mai 1918 vor Vergiftungen durch Spinatersatz (es war vor allem der im Wienerwald massenhaft anzutreffende Bärlauch gemeint):
"Eine förmliche Sucht ist zu verzeichnen, jeden grünen Halm zum Genusse zu empfehlen und diesen Empfehlungen kritiklos zu folgen [...] Die massenhaften, teils von unberufener Seite ausgegebenen Anweisungen, das Sammeln von sogenanntem 'Spinatersatz' zu betreiben, haben endlich energische Proteste von Sanitätsfachmännern veranlaßt. Zahlreich vorgekommene Vergiftungsfälle in Wien lassen im Zusammenhang damit das zum Sport gewordene Selbstsammeln von Spinatersatz als höchst gefährliche Massenpsychose erscheinen, die noch dazu von gewissenlosen Händlern ausgenützt wird. Prof. Dr. Fritz Retolitzky hat soeben in einem Berichte an die Gesellschaft der Aerzte auf die bedenklichen Konsequenzen der Spinatsammel-Manie des Wiener Publikums hingewiesen. Planlos werden Wildpflanzen gesammelt."
Es war aber nicht nur die Verwechslung des Bärlauchs mit Maiglöckchen, deren Verzehr meist tödlich endete, die die Zahl der Vergiftungen in die Höhe schnellen ließ, sondern auch das Verhalten unredlicher Geschäftsleute:
"In der gefährlichsten Weise wirkt es zudem, daß Geschäftsleute, in der Sucht 'neue Artikel' auf den Markt zu bringen, allerlei 'Spinatkonserven' aus abgebrühten Fichtennadeln, Kartoffelblättern usw. anempfehlen. Selbst Blätter des giftigen Stechapfels sind bereits in Spinat- und Salatersätzen vorgefunden worden. Ein russischer Kriegsgefangener, der plötzlich an Vergiftungserscheinungen starb, hatte nachgewiesenermaßen mit Brennesselspinat auch große Mengen Schierlingsblätter gekocht und verzehrt."
Vereinzelt führten Vergiftungsfälle zum Verbot des Einsammelns von Wildpflanzen, wobei diese Verbote wegen der grassierenden Hungersnot kaum durchsetzbar waren.
Links:
Tödliche Vergiftungen durch Spinatersatz (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 21. Mai 1918)
Heute vor 100 Jahren: Schwindel mit Suppenwürze (17. Dezember 1917)
Heute vor 100 Jahren: Tabakernte im Wienerwald (6. November 1917)