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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

21. September 1918

Siedlungsentwurf für den Lainzer Tiergarten
W. Baumgarten und J. Hofbauer, Siedlungsentwurf für den Lainzer Tiergarten (das nicht verwirklichte Portalgebäude am Eck Hermesstraße/Linienamtsstraße); © Der Architekt, Jg. 1921, S. 46

Am 21. September veröffentlichte der Wienerwald-Bote einen Hilferuf, da der Lainzer Tiergarten – damals ein Teil der niederösterreichischen Gemeinde Hadersdorf-Weidlingau – angeblich vor seinem Verkauf an Investoren stand. Der bis heute zum allergrößten Teil erhaltene Tierpark stand damals in kaiserlichem Eigentum ("Hofärar"), wurde für die Öffentlichkeit nur selten geöffnet, galt aber schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Teil des zu erhaltenden Wiener Grüngürtels:

"Einem Gerüchte zufolge sollen zwischen dem Hofärar und einem Bankkonsortium Verhandlungen bezüglich des Verkaufes des Lainzer Tiergartens schweben zu dem Zwecke, diesen prächtigen Teil unseres Wienerwaldes 'nutzbringend' d.h. zu einer gewinnbringenden Terrainspekulation zu verwerten. Das von einer 24,2 Kilometer langen Mauer umschlossene Gebiet des Lainzer Tiergartens umfaßt einen ganzen Ausläufer unseres herrlichen Wienerwaldes in einem Ausmaße von 4476 Joch 1280 Quadratklafter, von welchen ein geringer Bruchteil heute noch der Gemeinde Mauer gehört. Gewöhnlichen Sterblichen ist es nur in ganz seltenen Ausnahmefällen gestattet, in dieses stille, einsame Waldreich einzudringen, welches außerordentlich viel und seltenes Wild beherbergt. Hier in diesen stillen Wäldern herrscht noch die unverkümmerte Natur, hier wohnt der Frieden, hier ist die Ruh! Nun soll aber alles ein Ende haben, weil ein Kreis von Kriegsgewinnlern, weil eine Horde von Bodenspekulanten den Zeitpunkt für günstig erachtet, ihre Hand auf eine Bodenfläche zu legen, die als Luftreservoir für die immer mehr sich ausdehnende Hauptstadt unentbehrlich und unersetzlich ist und die deswegen auch dazu bestimmt war, einen Teil jenes Wald- und Wiesengürtels zu bilden, der für immerwährende Zeit den grünen Rahmen Wiens bilden soll. Die Nachricht von den Verhandlungen, dieses Waldgebiet der Boden- und Holzspekulation preiszugeben, berührt umso peinlicher und merkwürdiger, als das bereits vor Jahresfrist gestellte Ansuchen der Gemeinde Wien um eine Grundüberlassung zur Errichtung einer Tuberkulosenheimstätte bis heute keiner Erledigung gewürdigt worden ist. Auch damals, als die Gemeinde Wien die neue Hochquellenwasserleitung baute, wurde das Ansuchen Dr. Luegers, die Leitung durch einen Teil des Tiergartens legen zu dürfen, abschlägig beschieden. Dadurch war die Gemeinde gezwungen, eine weit längere Leitungsstraße zu wählen, was mit gewaltigen Mehrkosten verbunden war."

Tatsächlich wurde bereits 1913 ein Teil des Lainzer Tiergartens gerodet, um Platz für eine mondäne Villensiedlung zwischen dem heutigen Lainzer Tor und der Linienamtsstraße zu schaffen. Die Errichtung der Villen fiel allerdings dem Weltkrieg zum Opfer, sodass in unmittelbarer Nachkriegszeit Kriegsinvalide das gerodete Areal besetzten, um dort Wohnraum zu schaffen. Tatsächlich sprach der Kriegsgeschädigtenfonds den mittlerweile als "Erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs" organisierten Invaliden diesen Teil des Lainzer Tiergartens als Baugrund für die "Friedensstadt" zu, deren Grundsteinlegung am 3. September 1921 erfolgte. Das Konzept für die geplante Gartenstadt stammte von Adolf Loos, wurde aber nur in Ansätzen umgesetzt.

Der Lainzer Tiergarten sowie Hadersdorf-Weidlingau verblieben in der Ersten Republik bei Niederösterreich und wurden 1938 in das nationalsozialistische "Groß-Wien" eingemeindet. Nach 1945 verblieben sie gemeinsam mit 16 weiteren vorher niederösterreichischen Orten bei Wien. Die Siedlungshäuser der Friedensstadt wurden mittlerweile an ihre Bewohnerinnen und Bewohner verkauft.

Links:
Ein Attentat auf den Wiener Wald? (Wienerwald-Bote vom 21. September 1918)
Weiterlesen: Die "Friedensstadt" im Lainzer Tiergarten (Bericht über die Grundsteinlegung, Arbeiter-Zeitung vom 4. September 1921)
Weiterlesen: Siedlungsentwurf für den Lainzer Tiergarten (Der Architekt, Jahrgang 1921)  
Weiterlesen: Die Friedensstadt

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