Am 23. Oktober 1918 versetzten unerwartete Flugmanöver über den Dächern der Innenstadt die Linzer Stadtbevölkerung in Aufregung. Die havarierte Maschine setzte wenig später knapp neben dem Lager Katzenau auf, wo während des Ersten Weltkriegs Zivilpersonen aus verfeindeten Staaten und "unzuverlässige" Angehörige der Monarchie, vor allem Italiener aus dem Trentino, untergebracht waren, und wo sich auch ein kleiner Flugplatz befand. Das Linzer Volksblatt berichtete:
"Heute etwa um 12 Uhr 20 Min. überflog ein Aeroplan unsere Stadt. Derselbe kam aus der Richtung von Wiener Neustadt, überquerte die Stadt, zog um den Turm des neuen Domes mehrere Schleifen und nahm dann wieder östliche Richtung. Da der Aeroplan sehr niedrig flog, manche schätzen seine Flughöhe zeitweise auf die Höhe des Domturms, und der Himmel vollständig rein war, war der Flieger sehr gut sichtbar. Er trug an der Unterseite der Tragflächen zwei schwarze Kreuze und ein solches etwas hinter dem Propeller. Das laute Surren des Motors lockte die Bewohnerschaft in hellen Scharen auf die Straßen, wo man die Bewegungen des Fliegers mit großem Interesse verfolgte. Es handelt sich nicht, wie viele meinten, um ein reichsdeutsches Flugzeug, sondern um den Probeflug eines österreichischen Fliegers von Wiener Neustadt. Der Flugzeugführer ist, wie es heißt, Herr Jentschke, ein Sohn des hiesigen Kaufmannes Jentschke. Infolge eines Motordefektes war das Flugzeug genötigt, zu landen. Ungefähr 400 Schritt östlich des Interniertenlagers Katzenau vollzog es glatt die Landung. Der Führer hofft, morgen mit der Ausbesserung des Schadens fertig zu sein und den Rückflug nach Wiener Neustadt antreten zu können."
Der 1899 geborene Karl Jenschke (auch Jentschke) war schon in jungen Jahren technikbegeistert und wollte an diesem 23. Oktober als 19-jähriger Draufgänger seinem Vater und seiner Heimatstadt Linz wohl seine Pilotenkünste vorführen.
Schon 1911 übrsiedelte der 12-jährige Wiener Karl Jentschke mit seiner Familie nach Linz, wo sein Vater an der Adresse Landstraße 24 eine "Delikatessen-, Spezerei- u. Obsthandlung" eröffnete. Nach einem schweren Unfall mit einer selbstgebauten Flugmaschine, entschloss sich Jenschke jun. eine kaufmännische Lehre zu absolvieren. Als sich kriegsbedingt doch eine militärisch-technische Karriere anbot, meldete er sich zur Fliegertruppe in Wiener Neustadt und erhielt 1917 seinen internationalen Pilotenschein, der ihn zu einem der ersten 1.000 Piloten weltweit machte (Jenschke erhielt den internationalen Pilotenschein Nummer 911). Nach dem Krieg war Karl Jenschke Autokonstrukteur der Steyr Werke und gilt als der Vater des "österreichischen Volkswagens", des Steyr 50 ("Steyr-Baby"). Er war bis Mitte der 1960er Jahre als Techniker tätig und verstarb 1969 im bayerischen Bad Wiessee.
Aus Jentschkes Delikatessenhandlung wurde nach dem 2. Weltkrieg das Café Jentschke; bis heute befindet sich hier ein Gastronomiebetrieb. An den tollkühnen 19-jährigen Flieger vom 23. Oktober 1918 und späteren Automobilkonstrukteur Karl Jenschke erinnert heute die Ingenieur-Karl-Jenschke-Straße im oberösterreichischen Steyr und seit 2004 der Karl-Jenschke-Weg in Wien-Essling; an Jenschkes Landeplatz und an das Internierungslager Katzenau erinnert heute nichts mehr, denn hier erstreckt sich mittlerweile das Linzer Hafenviertel. Die untergegangene Katzenau lebt aber in der Trienter Erinnerungskultur musikalisch bis in die Gegenwart weiter, etwa im Rahmen des "Progetto grande guerra – Senti cara Nineta".
Links:
Ein Aeroplan über Linz (Linzer Volksblatt vom 23. Oktober 1918)
Ing. Karl Jenschke (Biografie, PDF)
Weiterlesen: Internierungslager als Österreichs Tabu. Unfreiwillige Multinationalität
Weiterlesen: Internierungslager Katzenau (Aquarelle und Zeichnungen des dort internierten Piero Coelli, 1893-1980; Video)
Weiterlesen: "Katzenau" (Corale polifonica di Lavis, Progetto grande guerra "Senti cara Nineta"; Tondokument aus 2014)