Von Kriegsmüdigkeit gezeichnet berichtete die Wiener Allgemeine Zeitung am Heiligen Abend des Jahres 1917 vom "kargen Christbaum":
"Der Verzicht begann heuer schon sehr, sehr früh. Vor Monaten. Denn schon, als die diversen vorsorglichen Hausfrauen den noch fernen, aber kindlich heiteren Schimmer der Weihnachtskerzen, an des Christbaums gewohnten zarten Flitterschein dachten, stellte sich Frau Sorge ein, die jetzt die treueste Begleiterin der Hausfrauen ist. Mit mehr als einer Frage. Zunächst: Wie erhält man überhaupt Weihnachtskerzchen? Und womit schmückt man jenen grünen Baum der Nächstenliebe, jenes alte Symbol des schönsten Festes, der Stille und des Strebens, gegenseitiger Wünsche zu erraten, Verlangen zu stillen?...
Für die Erwachsenen, wenigstens solange diese keine Familienväter oder -Mütter sind, mag dieser Kasus ja nebensächlich erscheinen. Nicht so für Eltern und Kinder. Einem höchst dürftigen Nikolaus folgt so ein sehr abgezehrter und ärmlicher Weihnachtsmann auf den Fersen. (...) Im allgemeinen aber kann man heuer sehr wohl von einem dunklen Weihnachtsbaum sprechen.
In seinem Schatten aber wird es da und dort gleichfalls ziemlich trist aussehen. Kinderspielzeug ist ein Luxusgegenstand geworden, und wieder sind es viele, viele junge und jüngste Mitbürger, die sich noch an reichlichere heilige Abende erinnern können und die den jetzigen staunend und bedauernd nicht recht begreifen werden können. Wieder heißt es, auch bei diesem Kapitel, der Region unter dem Christbaum: Verzichten, an sich halten, Geduld haben! Die drei großen Schlachtrufe des Hinterlandkrieges."
Resignierend schließt der Redakteur, der nur als "u" identifiziert wird: "Den Kindern wird man bald eine nette Weihnachtsgeschichte erzählen können, die das weniger splendide Christkindl entschuldigt. Den Großen braucht man heute nichts mehr zu erzählen..."
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Der karge Christbaum (Wiener Allgemeine Zeitung vom 24. Dezember 1917)