Die Bevölkerungszahl Wiens wuchs bis zum Ersten Weltkrieg, aber besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig an. Der Höhepunkt wurde 1916 mit 2.239.000 Einwohnerinnen und Einwohnern erreicht – bis heute die höchste Einwohnerzahl Wiens. Auch wenn diese Zahl mitten im Krieg erreicht wurde, hatte dieser eine negative Auswirkung auf die Demographie der Stadt. Das Neue Wiener Journal berichtete am 25. August 1918:
"Daß die sozialen Verhältnisse durch die einschneidenden Veränderungen der Lebensbedingungen, die der Krieg gebracht hat, sehr ungünstig beeinflußt werden, zeigen am besten die Matrikelbücher in den Wiener Pfarren. Es ist interessant, gelegentlich in solchen pfarramtlichen Aufzeichnungen zu blättern, die über die Frequenzziffern der drei wichtigsten Stationen auf der Reise durch das Leben, Geburt, Hochzeit und Tod, so lapidar Aufschluß geben. Wer noch daran zweifeln möchte, daß die Bevölkerungszahlen seit einigen Jahren stark zurückgehen, findet hier Beweise, gegen die es keinen Einwand gibt. Man wird nachdenklich, wenn man die letzten Jahresziffern der Taufen miteinander vergleicht, denn man sieht an ihnen deutlich, um wie viel der Nachwuchs geringer geworden ist, wie stark der Wunsch nach Kindern in den Ehe geschwunden ist und wie sehr einesteils die bekannten Krankheiten, andernteils die künstlichen Abwehrmittel die Fruchtbarkeit herabgesetzt haben. So fallen zum Beispiel die Jahresziffern der Taufen in einem der volkreichsten Bezirke Wiens, der Pfarre Hernals, von der Vorkriegszeit bis zur Gegenwart um mehr als die Hälfte, sie betragen nämlich im Jahr: 1913 1189, im Jahre 1914 noch 1118, im Jahre 1915 bereits nur mehr 838, da die meisten Männer eingerückt sind, im Jahre 1916 647. im Jahre 1317 523 und Heuer keinesfalls 500. […] Diese Ziffern sprechen eine deutliche Sprache, die um so verständlicher wird, wenn man auch die Hochzeits- und Sterbematrikeln aufschlägt und sich von dem Rückgang der Heiraten überzeugt. […] Der Rückgang beträgt hier also rund die Hälfte der Hochzeiten der Friedenszeit […] Was die Sterblichkeit betrifft, so betrugen die Sterbefälle in der Pfarre Hernals im Jahre 1913 486, im Jahre 1917 dagegen 636, sind also um 29% gestiegen. Als Todesursache trifft man jetzt häufig Unterernährung, Erschöpfung, Darmkrankheiten und Lungentuberkulose. Faßt man die Ergebnisse dieser Vergleiche zusammen, so gelangt man zu der Erkenntnis, daß in Wien nicht nur viel weniger geheiratet wird und daß die Zahl der Geburten infolgedessen durchschnittlich um die Hälfte zurückgeht, sondern daß auch anderseits die Sterblichkeit im Ansteigen begriffen ist. So entwickeln die Wiener Pfarrmatrikel das erschreckende Bild des Niedergangs der Großstadt in der Kriegszeit."
Pfarrmatrikel, die von den Kirchen über Jahrhunderte geführt wurden, waren lange Zeit die einzige Quelle für personenstandsbezogene Daten. Staatliche Vorschriften über das Meldewesen wurden auf dem Gebiet des heutigen Österreich erst im Jahr 1857 erlassen. Seit 2014 werden Personenstandsdaten im Zentralen Personenstandsregister gespeichert.
Links:
Was die Wiener Pfarrmatrikel beweisen (Neues Wiener Journal vom 25. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Eheschließungen im Krieg (12. Februar 1918)