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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

28. Juli 1918

Sitzungssaal der Israelitischen Cultusgemeinde
"Sitzungssaal der Israelitischen Cultusgemeinde", Wien, 1902; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Die Neue Freie Presse berichtete am 28. Juli 1918 von einer Resolution des Wiener israelitischen Kultusvorstands über den immer salonfähiger werdenden Antisemitismus. Die Resolution wurde von rund 300 Kultusgemeinden in ganz Österreich unterstützt, um später den "staatlichen Zentralstellen" übergeben zu werden:

"Gegenüber den in den antisemitischen Versammlungen und in der antisemitischen Presse wider die Juden im allgemeinen vorgebrachten unwahren, erdichteten und entstellten Anwürfen sieht sich die österreichische Judenschaft veranlaßt nachdrücklich festzustellen:
1. Die österreichische Judenschaft in ihrer Gesamtheit hat in diesem Kriege bisher gleich allen anderen vaterlands- und kaisertreuen Bürgern dieses Staates bedingungslos und uneingeschränkt Gut und Blut geopfert; […]
2. Sie hat in ihrer Masse durch die kriegerischen Verhältnisse materiell ungleich mehr gelitten als andere Bevölkerungskreise; aber auch ihre seelischen Leiden waren unverhältnismäßig größer […]
3. Kriegsgewinne wurden von Nichtjuden in höherem Maße erzielt als von Juden; anderseits erreicht die Summe aller Verfehlungen, deren einzelne Juden sich schuldig gemacht haben, nicht im entferntesten im Verhältnis die Summe jener Verfehlungen, deren Nichtjuden überführt wurden […]
4. Die Judenschaft Oesterreichs hat es stets in tiefwurzelnder Liebe und Treue zum Vaterlande als ihre heiligste Pflicht angesehen, alles zu unterlassen, was die Ruhe und den Frieden im Innern des Reiches zu stören geeignet wäre; […]
5. Die Judenschaft hält es unter ihrer Würde, sich gegen die bewußt lügnerischen Anschuldigungen zur Wehre zu setzen, welche die Juden in einem Zusammenhang mit den unsinnigen, widerwärtigen Gerüchten der letzten Zeit bringen wollen. […] Sie erblickt eine schwere Gefahr für den Staat darin, daß durch die gewissenlosen Hetzer in öffentlichen Versammlungen gleichzeitig mit Loyalitätskundgebungen aufreizende Kundgebungen gegen die Juden veranstaltet werden, daß hiedurch vor einer irregeleiteten Bevölkerung Kaisertreue und Judenhaß identifiziert und die dynastischen Gefühle auf das schmählichste profaniert werden.
6. Die österreichische Judenschaft hält es für ihre patriotische Pflicht, in dieser schweren, für die Zukunft der Staaten entscheidenden Zeit den Lenkern unseres Staatswesens die Lehren der Geschichte in Erinnerung zu rufen, daß überall, in jedem Lande, die hemmungslose Duldung von Aufreizungen zum Hasse gegen eine bestimmte Nationalität oder Konfession in ihrer äußersten Konsequenz sich immer an dem Staatsganzen gerächt hat. […]
7. Die Judenschaft Oesterreichs lehnt jede Verantwortung für die bei weiterer Duldung dieser Verhetzungen gegen die Juden unausbleiblichen Folgen ab […]"

Links:
Eine Resolution des Wiener Kultusvorstandes (Neue Freie Presse vom 28. Juli)
Heute vor 100 Jahren: Der Fall Leopold Hilsner (3. April 1918)
Weiterlesen: Antisemitismus von Schönerer bis Hitler (Zeitgeschichte Informationssystem der Universität Innsbruck)
Weiterlesen: Judenpogrome in Südmähren (Wiener Allgemeine Zeitung vom 16. November 1918)

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