"Küss die Hand!" Diesen Ausspruch, der gemeinhin als besonders charmant und höflich gilt, verbindet man unweigerlich mit Wien. Der Begriff lässt sich auf den Brauch zurückführen, den Ring eines hohen Geistlichen oder Adeligen als Ehrenbezeugung zu küssen. Allerdings forderte die in Wien erscheinende Neue Zeitung am 27. September "Weg mit dem Küß die Hand!":
"Ja, das bis zum Ekel angewandte 'Küß die Hand' muß aus dem deutschen Sprachgebrauch verschwinden. Hier in Wien grassiert es in besonders hohem Grade und ist nicht nur als Begrüßungsformel Damen gegenüber gang und gäbe, sondern hat insofern eine keineswegs erfreuliche Erweiterung erfahren, als Großeltern und andere nahe Verwandte mit 'Küß die Hand' begrüßt werden, ja sogar 'Küß die Hand' als Dankesformel für eine erwiesene Gefälligkeit oder eine erhaltene Spende gilt […] Der bekannte Wiener Lokalchronist Wilhelm Kisch schreibt in seinem Werke in dem Abschnitt: 'Ein Zeit- und Sittenbild' um 1794 bis 1810, daß zu diesem Zeitabschnitt mit der Aenderung in der Tracht und Kleidung sich auch in Wien die gesellschaftlichen Verhältnisse änderten. Das 'Zierliche und Umständliche', wie es damals in Wien üblich war, verschwand und an seine Stelle trat das Einfache und Natürliche. Die Höflichkeitsbezeigungen und Begrüßungen wurden einfacher, die Umgangsformen gingen auf ein gewöhnliches Maß zurück und selbst die früher gepflogene Galanterie gegen Damen verlor ihre bisherige Ueberschwänglichkeit. Nur das Händeküssen hatte sich in Wien noch erhalten, während man sich in Deutschland mit dieser Form der Damenhuldigung nur lächerlich machte. Aus dieser sozusagen körperlichen Begrüßung ist nun im Laufe der Zeit eine gesprochene Floskel geworden. Küß die Hand da, küß die Hand dort!"
Heutzutage wird der Ausspruch kaum noch verwendet, und auch in Wien verschwindet er zunehmend als altmodisches Symbol einer überkommen Etikette aus der Umgangssprache.
Link:
Weg mit dem "Küß die Hand!" (Die Neue Zeitung vom 28. September 1918)