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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

29. November 1918

"Der Frauenwahlrechtstag: Der Frauendemonstrationszug auf der Wiener Ringstraße", März 1911
"Der Frauenwahlrechtstag: Der Frauendemonstrationszug auf der Wiener Ringstraße" am 19. März 1911; © Wiener Bilder vom 22. März 1911

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Ausrufung der Republik brachte eine wesentliche politische Neuerung: Nach einem langen Kampf wurde das Frauenwahlrecht Wirklichkeit. Forderungen nach politischer Gleichberechtigung von Mann und Frau wurden schon während der Revolution von 1848 erhoben. Waren nach der Niederschlagung der Revolution Frauen in einigen wenigen Gemeinden noch aktiv wahlberechtigt (allerdings mit vielen Hürden), wurden sie mit der Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts 1907 von jeglicher politischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Erst elf Jahre später sollten die Frauen den Kampf um das Frauenwahlrecht gewinnen.

Aber schon während des Ersten Weltkriegs fanden Frauen in der Männerwelt vereinzelt Unterstützung, wie etwa durch den Schauspieler, Ingenieur, Gastwirt und Bezirksvorsteher des 2. Bezirks in Wien Dr. Leopold Blasel:

"Die Frau darf und kann – das hat sie ja zur Genüge bewiesen – alle Funktionen im wirtschaftlichen Leben ausfüllen, aber trotzdem bleibt ihr zum Beispiel das hohe Amt eines Armen- oder Bezirksrates verschlossen, vom Gemeinderat oder Reichsrat gar nicht zu sprechen, ja selbst einem politischen Verein dürfen Frauen nicht angehören. Sie dürfen nicht einmal mitberaten über die Auswahl jener Männer, die über ihr Wohl und Wehe entscheiden, die sie in der Oeffentlichkeit vertreten sollen, und darüber, wie sie sie zu vertreten haben. Es erscheint vollkommen ausgeschlossen, daß nach dem Kriege dieser Ausschluß der Frauen von der öffentlichen Verwaltung fortbestehen bleibt, und man wird wohl nicht umhin können, auch diesen Miterhaltern des Staates das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren. Wenn die Frau schon infolge ihrer Natur schwerer an den Pflichten trägt als der Mann, sollten ihr wenigstens die gleichen Rechte eingeräumt werden."

Als es dann tatsächlich so weit war, konnte sich der der Allgemeine Tiroler Anzeiger am 29. November 1918 mit seiner Verwunderung über die Einführung des Frauenwahlrechts nicht so ganz zurückhalten:

"Zu den merkwürdigsten Ueberraschungen, die für viele den Ausgang des Krieges, bzw. seine Folgeerscheinungen gebracht haben gehört unstreitig das nunmehr völlig feststehende Frauenwahlrecht in die deutschösterreichische Konstituante. Man erinnert sich heute noch mit schadenfrohem Schmunzeln der Komödien, die in England die mit allen Zeichen der Verachtung behandelten 'Wahlweiber' aufgeführt haben. Es gab wohl keine Bosheit, die wir den englischen Suffragetten nicht über den Kanal hinüber gewünscht hätten. Und hätte uns vor vier Jahren jemand gesagt, daß nach dem Kriege auch die Frauen als Gleichberechtigte an die Wahlurne schreiten würden, so hätten wir ihn sicherlich als restlos reif für Hall erklärt. [Hall: damals die 'Landes-Irrenanstalt Hall in Tirol'] Die Männerwelt mußte sich in diesem Kriege an das allmählich immer stärker werdende Hervortreten der Frau einfach gewöhnen, ob sie es wollte oder nicht. […] Da mochten auch die männlichen Mitglieder der Militärkanzleien z.B. unter der Last der weiblichen Hilfskräfte toben oder verrückt werden, da half auch kein Jammern und Klagen. Das Weib beherrschte unumschränkt und unrettbar das Feld. Man muß gestehen, daß sich hier das Weib im Kriege nicht von seiner sympathischsten Seite zeigte.
Anderseits hat uns aber gerade die Frauenwelt in diesem Kriege solche Beispiele heroischen Heldenmutes geboten, die wohl in jedem den Wunsch reiften, die Frau möge für ihre Tapferkeit und ihren Heldensinn in diesem gewaltigsten Kampfe aller Zeiten die verdiente Anerkennung finden […] Darum ist es auch ganz in der Ordnung und billig, daß die Frau auch gefragt wird, wenn es an die Neueinrichtung des Staates geht, ihrer Heimat, für die sie so unendliche Opfer gebracht, für die sie Gatten, Söhne und Brüder opfern mußte, für die sie ihre kleinen Kinder Jahre hindurch darben und hungern sah."

Links:
Das Frauenwahlrecht (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 29. November 1918)
Die Frauen nach dem Kriege (Leserbrief Leopold Blasels an die Neue Freie Presse vom 25. Dezember 1917) 
Weiterlesen: Allgemeines und gleiches Frauenwahlrecht (Demokratiezentrum)
Weiterlesen: Frauenwahlrecht in Österreich (Demokratiezentrum)

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