"Nun kommen wir auf die Zukunft zu sprechen. Derzeit ist alles noch ungewiß, unbestimmt, nebelhaft. Das alte Reich der Habsburger soll in seiner bisherigen Gestaltung aufhören. Ob Bundesstaat oder Staatenbund oder durchaus selbständige Staaten ohne ein vereinigendes Band – wie das sein wird, das weiß heute niemand. Tatsache ist aber, daß alle Veränderungen, die mit der österreichisch-ungarischen Monarchie geschehen, auf die fernere Entwicklung des Automobilismus und der Motorluftschiffahrt besonderen Einfluß haben müssen."
Am 3. November 1918 machte sich die Allgemeine Automobil-Zeitung auf einem über 4 Seiten laufenden Artikel Gedanken über die Zukunft nicht nur der Automobilindustrie, sondern auch über die damit verbundenen düsteren wirtschaftlichen Aussichten, die den neuen mitteleuropäischen Kleinstaaten drohen könnten:
"Wir müssen immer wieder unser Steckenpferd reiten, das Steckenpferd von der wirtschaftlichen Betriebsführung, die sich auf alle Gebiete der Einrichtungen eines Staates erstreckt. Gehen wir auseinander, machen wir uns alle selbständig, ohne daß irgend ein einigendes Band uns umschlingt, so haben wir dann jeder unser eigenes Straßenwesen, unsere eigenen Automobilvorschriften, unsere eigenen Benzinstationen, unsere eigenen Wegzeichen, und so vieles andere eigenes, was wir hier nicht erwähnen wollen. Nichts wird mehr einheitlich sein, denn da wir selbständig sind, müssen wir uns doch von den anderen unterscheiden. In dem einen Lande werden dann die Straßen so angelegt, in dem anderen wieder so, in dem einen Lande wird man sie besser erhalten als in dem anderen, mit einem Worte, es wird nach jeder Richtung hin die unwirtschaftlichste Betriebsführung geben, die man sich vorstellen kann [...] Es wird vieler Klugheit, diplomatischen Geschickes und wirtschaftlicher Findigkeit bedürfen, um sich der ausländischen Konkurrenz zu erwehren. Wie würde dies aber erst sein, wenn wir gänzlich auseinander gehen, wenn die einzelnen Stäbe, die zusammen als Bündel noch schwer zu brechen wären, auseinander fallen? Dann ist zwar jeder Staat selbständig, es wird aber keiner besonderen Mühe bedürfen, jeden einzelnen zu zerbrechen oder, wenn schon nicht zu zerbrechen, so doch ganz einfach zur Seite zu schieben."
Die erste internationale Straßenverkehrsordnung wurde zwar bereits am 11. Oktober 1909 mit dem „Internationalen Abkommen über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ festgeschrieben, es sollte aber noch bis zum 24. April 1926 dauern, bis dieses Übereinkommen mit dem Pariser „Internationalen Abkommen über Kraftfahrzeugverkehr“ auf den neuesten Stand gebracht wurde (unter anderem hinsichtlich der Fahrzeugaustattung, der Größe und geometrischen Form von Warnschildern und der Führerscheine). Die Republik Österreich trat diesem Abkommen am 2. September 1930 bei.
Das Pariser Abkommen wurde mittlerweile vom „Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr" von 1968 abgelöst, das 50 Jahre nach Beschlussfassung novelliert wurde und seit 2018 auch Regeln für autonom fahrende Kraftfahrzeuge beinhaltet.
Übrigens machte sich die Allgemeine Automobil-Zeitung am 3. November vor 100 Jahren auch Gedanken über die Elektromobilität, die so klingen als wären sie von heute... (siehe Link)
Links:
Die Zukunft (Allgemeine Automobil-Zeitung vom 3. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Das Automobil der Zukunft (22. September 1918)
Weiterlesen: Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (Konvention der Vereinten Nationen)
Weiterlesen: Rasches Auswechseln der Batterien bei Elektromobilen (Allgemeine Automobil-Zeitung vom 3. November 1918)