Die Website zum Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 wird nicht mehr aktualisiert, steht aber bis auf weiteres als Nachlese zur Verfügung.
Seitenpfad
Ihre Position: Oesterreich100.at - Von Tag zu Tag 1917 bis 1919
Inhalt

Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

31. Dezember 1918

Die Karikatur "Unser Neujahrswunsch für 1919" nimmt Bezug auf die Hungersnot der unmittelbaren Nachkriegszeit 1918
"Unser Neujahrswunsch für 1919" nimmt Bezug auf die Hungersnot der unmittelbaren Nachkriegszeit; © Wiener Bilder vom 29. Dezember 1918

Ende 1918 befand sich der ehemalige österreichisch-ungarische Kaiser und König Karl unter Bewachung im niederösterreichischen Eckartsau, der abgedankte deutsche Kaiser Wilhelm lebte bereits im Exil in den Niederlanden, während die Bevölkerung der ehemaligen Mittelmächte von einer Hungersnot bedroht waren. Bissig und satirisch kündigte die Arbeiter-Zeitung am 31. Dezember 1918 deshalb das neue Jahr an:

"Somit hat die große Zeit ihren kalendarischen Abschluß gefunden. Im neuen Jahre werden die Tage in schlichtem Bürgerkleid regelrecht nacheinanderfolgen und nicht mehr Schulter an Schulter 'Marsch eins' klopfen. Die Nächte werden kein Vorwand mehr sein für Schleichpatrouillen und Trommelfeuereröffnung, sondern brave Nächte, in denen alle mit sanften Ruhekissen Begabten werden schlummern dürfen. Die Jahreszeiten sind keine militärischen Einrichtungen mehr, sondern redliche Jahreszeiten: der Frühling keine Offensive, der Herbst kein strategischer Rückzug. Die Morgenstunde ist keine 'Tagwach'' mehr. Die Abendstunden werden nicht mehr zur Ausgabe von Kriegsberichten verwendet. Mond und Sterne werden in ihre alten Rechte eingesetzt und haben die schmutzige Konkurrenz von Leuchtraketen und Scheinwerfern nicht mehr zu befürchten. Sonnenaufgang und Untergang sind wieder Naturerscheinungen und keine beliebten Wendungen mehr in Berichten gut honorierter Kriegsberichterstatter. Dementsprechende Änderungen gehen auch auf Erden vor. So sind Flüsse, Seen, Wälder, Berge und Hügel keine 'Hindernisse', Deckungen oder gar 'Objekte' mehr. Die Vöglein im Walde werden ihren alten Obliegenheiten wieder nachfliegen und nicht mehr den Text abgeben für das Brüllen bis zur Stupidität exerzierter Menschen-'Rottenpaare'. Die Felder heißen nicht mehr Schlachtfelder oder Felder der Ehre, sondern Felder der Aehre und liefern Brotfrucht bei guter Bestellung durch diejenigen heimgekehrten Bauern, die nicht das Glück hatten, Herz und Hand fürs Vaterland zu brechen. Besagte Landleute sind zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt, den Rock des Kaisers als Vogelscheuche zu benützen, damit er – das heißt der Rock, nicht der Kaiser – unter Aehren bleibe, wenn schon – das andere nicht mehr möglich ist. Unter solchen Umständen ist es natürlich, daß es keinen 'Brotfrieden' mehr geben wird, sondern Friedensbrot, was bedeutend nahrhafter sein soll [...] Dagegen bleibt uns für das neue Jahr eine große Freude ausgespart: der liebe Gott ist nämlich der 'Okkupation', 'Annexion' und 'Einverleibung' durch die pleite gegangene Welteroberungsfirma 'Wilhelm, Reichspost und Komp.' glücklich entronnen und lebt gegenwärtig in Frankreich vermutlich viel besser als in Eckartsau oder Holland. Alles in allem dürfte die Zukunftsmusik des neuen Jahres nur durch das Wutgeheul einiger traditioneller Grubenhunde in ihrer Harmonie gestört werden..."

Links:
Astronomisches zum Jahre 1919 (Arbeiter-Zeitung vom 31. Dezember 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Brotfrieden von Brest-Litowsk (15. Februar 1918)

Alle Einträge anzeigen: Von Tag zu Tag