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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

31. Oktober 1918

Egon Schiele 1918
"Der expressionistische Maler Egon Schiele ist im Alter von 26 Jahren an der Grippe gestorben. Schiele war ein Schüler Klimts und zählte zu den besten Hoffnungen unserer jungen Kunstwelt" (tatsächlich war Schiele 28 Jahre alt); © Das interessante Blatt vom 14. November 1918

Egon Schiele, einer der bedeutendsten Maler der Wiener Moderne, erlag am 31. Oktober 1918 der in Wien  spanischen Grippe. Seine letzten Worte waren: "Der Krieg ist aus – und ich muss geh'n. Meine Gemälde sollen in allen Museen der Welt gezeigt werden!"

Schiele hinterließ über 350 Gemälde sowie rund 2.800 Aquarelle und Zeichnungen, die heute bei internationalen Auktionen Spitzenpreise erzielen. Das Gemälde "Häuser mit bunter Wäsche" wurde 2011 bei Sotheby's um den Preis von umgerechnet 27,6 Millionen Euro versteigert. Aufgrund der zeitlichen Nähe des Todes seiner schwangeren Frau, die drei Tage vor ihm ebenfalls an der spanischen Grippe gestorben war, konnte sein letzter Wille nicht umgesetzt werden: Der künstlerischer Nachlass Schieles ging an seine gesetzlichen Erben, also an seine Mutter und Schwestern. Diese bezahlten damit offenen Rechnungen. Robert Rieger, Sohn des Kunstmäzens Heinrich Rieger, der über Schieles Schwester – er war ihr Zahnarzt – auch mit Egon Schiele gut bekannt war, widmete dem Maler mehr als drei Wochen nach dessen Tod in der Wiener Illustrierten Zeitung vom 24. November 1918 einen geradezu hymnischen Nachruf:

"Von Monat zu Monat steigert sich seine zeichnerische Virtuosität zu einer Höhe, vor der wir bewundernd stehen und die unmittelbare Ausdruckskraft, durch welche sie entstanden, herausfühlen. Es sind keine Skizzen oder Vorstudien, sondern Gebilde des Augenblicks, voll vibrierender Lebendigkeit für sich allein wirkend, aufgetragen mit starkbetonten, sicheren Konturen, die alles in sich schließen, was die momentane Impression ausdrücken wollte. Diese für seine spätere Entwicklung ausschlaggebende zeichnerische Genialität findet ihre stärkste Unterstützung und Steigerung in der Farbe. Anfangs wirken sie in breiteren, fast dekorativ erscheinenden Flächen, später zergliedert, verfeinert, scheinbar willkürlich und doch geordnet nach ganz bestimmten Forderungen seiner tiefgehenden Empfindung; Farben, die eigentlich nichts anderes wollen und erreichen als ein einziges, mächtiges Gefühl zu illustrieren und immer wieder von dem Bestreben gedrängt, dem Ausdruckswillen bis zur künstlerisch möglichsten Konsequenz gerecht zu werden. Wir sehen es den Bildern an, daß sie aus einer Extase fast krankhaft heftigen Empfindens geboren wurden. Diese unaufhörliche geistige Unruhe macht es auch, daß Schieles Kunst nie heiter oder gefällig wirken kann. Ein ernster, bis zur Sentimentalität gesteigerter Zug haftet an den Bildern. Doch jedes Objekt, vom profansten Gegenstand bis zum kompliziertesten Menschenkörper gewinnt Form und Ausdruck seiner Leidenschaft. Am 31. Oktober starb Egon Schiele, kaum 28 Jahre alt. Wir trauern um ihn als einen großen Verlust und um das, was zu vollenden der Tod verhindert hat."

1942 wurden Heinrich Rieger, der zahlreiche Zeichnungen und Gemälde Schieles zu dessen Lebzeiten erworben hatte, und seine Frau Berta aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in Theresienstadt ermordet, während ihrem Sohn Robert die Flucht in die Vereinigten Staaten gelang. Riegers Nachlass beschäftigt die österreichische Provenienzforschung bis heute. Die komplizierten Besitzverhältnisse rund um Schieles Erbe zeigten sich zuletzt 1998 im Rechtsstreit um Schieles Gemälde "Wally", der erst nach zwölf Jahren  außergerichtlichen gelöst werden konnte.

Link:
Egon Schiele gestorben (Nachruf Robert Riegers in der Wiener illustrierte Zeitung vom 24. November 1918) 

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