Die neue Republik bewirkte auf allen Ebenen Änderungen, die wenige Monate zuvor kaum denkbar waren. Vor allem Frauen, denen vor dem November 1918 praktisch alle politischen Rechte vorenthalten blieben, wurden endlich als Staatsbürgerinnen ernst genommen. Auch der Wiener Gemeinderat war davon betroffen, wie das Interessante Blatt am 5. Dezember 1918 berichtete:
"Fünfunddreißig Mitglieder der christlichsozialen Mehrheit überließen ihre Sitze den Sozialdemokraten, denen außerdem auch die durch Tod oder Resignation erledigten Mandate zufielen. In der neuen provisorischen Stadtvertretung haben die Sozialdemokraten, die nun die zweitstärkste Partei bilden, sechzig Sitze, den Christlichsozialen bleiben vierundachtzig Mandate, die übrigen verteilen sich auf die Freiheitlichen und Deutschnationalen [...] Es gibt jetzt eine Frau Gemeinderat, die es wirklich ist, nicht bloß den Titel ihres Mannes führt. Zwölf Frauen ziehen in den Gemeinderat ein und werden über das Wohl der Stadt mitberaten. Die Frau, durch alle Zeiten der Geschichte, politisch entrechtet, hat jetzt volle Gleichberechtigung mit dem Manne erworben. Die Gerechtigkeit dieser Neuordnung ist vollständig klar, es war ein Ueberbleibsel barbarischer Zeiten, die Frau im öffentlichen Leben tief unter dem Manne zu stellen."
Links:
Die Demokratisierung des Wiener Gemeinderates (Das interessantes Blatt vom 5. Dezember 1918)
Heute vor 100 Jahren: Anitta Müller im Gemeinderat (28. November 1918)