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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

5. Juni 1918

Rafael Schermann
Rafael Schermann, 1923; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Heute vor hundert Jahren fand im Wiener Konzerthaus ein Vortrag von Dr. Oskar Fischer über den aus dem damals österreichischen Krakau stammenden "Hellseher" Rafael Schermann statt. Der seit 1910 in Wien ansässige Versicherungskaufmann Rafael Schermann gab vor ein Graphologe mit hellseherischen Kräften zu sein und erregte deshalb auch das Interesse des Prager Psychologen Oskar Fischer, der zwischen 1916 und 1918 mit Schermann über hundert Experimente durchführte. Fischer kam zum Schluss, dass Schermann tatsächlich über hellseherische Fähigkeiten verfüge:

"Was erzählt der Prager Professor von Rafael Schermann? Er habe ursprünglich die Schermannschen Produktionen einfach für Schwindel gehalten, dann habe er in einer Reihe von Experimenten, die schließlich die Zahl von 108 erreichten, die Ueberzeugung gewonnen, daß es sich um ganz eigenartige Erscheinungen handle in der Fertigkeit oder Kunst, aus den Schriftzeichen der Hand oder aus den Gedanken anderer Geheimnisse zu erschließen. Schermann erkennt aus der Handschrift eines Herrn, daß dieser an Schmerzen in den Gliedern leide, die vom Wetter abhängen. In anderen Fällen braucht er die Schrift gar nicht zu lesen, sondern nur im verschlossenen Kuvert mit den Fingern zu betasten ja in einzelnen Fällen braucht sich Fischer nur die Schriftzüge zu denken, und Schermann deutet die Schriftzeichen, die er nicht gesehen, sondern nur betastet oder die nur Fischer in seinem Geiste gesehen hat. Noch auffälliger ist jene Tatsache, die Fischer einen 'psychischen Transfert' nennt. Fischer stellt sich lebhaft eine Person vor und Schermann kennzeichnet dieselbe nach allen Einzelheiten ihrer Persönlichkeit, ihrer geistigen und körperlichen Wesens. Zur Kontrolle suchte Fischer die Experimente zu verändern und ließ Schermann mehrmals Charakteristiken derselben Person geben. Durch psychischen Transfert stellt Schermann fest, daß ein Herr einen wackeligen Gang, eine Dame einen versteckten Hautfehler an der rechten Schulter habe, eine kräftige und lebenslustige Frau von der Furcht beherrscht sei, lungenkrank zu werden. Einzelne Versuche läßt Fischer in der Weise wiederholen, daß Schermann zuerst graphologisch aus der Handschrift und ein Jahr später dieselbe Person, ohne dies zu ahnen, durch ‚psychischen Transfert‘ charakterisieren muß. Er betastet einige Striche, die eine Person über ein Papier gezogen, und weiß den Gemütszustand des Schreibenden zu bezeichnen. Nach der Statistik von Fischer ergaben sich bei 108 Experimenten durchschnittlich 71 unzweifelhafte Treffer und 9 unzweifelhafte Fehler, etwa 20 Prozent bleiben unentschieden. Die einfachen graphologischen Experimente ergaben sogar 85 Prozente."

1924 veröffentlichte Oskar Fischer seine Experimente in Buchform. Auch Schermann verfasste mehrere Bücher, unterstützte Polizeiermittlungen mittels graphologischer Gutachten, gab Vorträge in den Vereinigten Staaten und war Darsteller in verschiedenen Filmen. Er starb vermutlich um 1940, wobei die Umstände seines Todes – Schermann war jüdischer Abstammung – bis heute ungeklärt sind.

Links:
Ein Hellseher. Ein Wort zum Fall Schermann (Innsbrucker Nachrichten vom 7. Juni 1918)
Weiterlesen: The Wizard of Graphology: Rafael Schermann (Englisch)

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