Die Website zum Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 wird nicht mehr aktualisiert, steht aber bis auf weiteres als Nachlese zur Verfügung.
Seitenpfad
Ihre Position: Oesterreich100.at - Von Tag zu Tag 1917 bis 1919
Inhalt

Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

7. Jänner 1919

Die interalliierte Wirtschaftskommission in Wien: Der Vorsitzende der Kommission und Vertreter des amerikanischen Lebensmittelkontrollors Dr. Taylor auf der Straße vor seinem Wiener Hotel
"Die interalliierte Wirtschaftskommission in Wien: Der Vorsitzende der Kommission und Vertreter des amerikanischen Lebensmittelkontrollors Dr. Taylor (x) auf der Straße vor seinem Wiener Hotel", Foto von Karl Sebald; © Das interessante Blatt vom 16. Jänner 1919

Am 2. Jänner 1919 reiste eine interalliierte Wirtschaftskommission aus der Schweiz nach Wien. Unterwegs unternahmen die Mitglieder der Kommission in Vorarlberg einen Stadtrundgang durch Feldkirch und wurden in Innsbruck vom Tiroler Landeshauptmann Josef Schraffl empfangen.

Der Vorsitzende der Wirtschaftskommission war der aus dem amerikanischen Bundesstaat Iowa stammende Arzt Alonzo Englebert Taylor, der 1890 auch in Berlin studiert hatte. Am Sonntag, dem 5. Jänner 1919, traf er im Wiener Hotel Bristol mit dem berühmten Orthopäden und Ehrenbürger New Yorks Adolf Lorenz, Vater des späteren Nobelpreisträgers Konrad Lorenz, und mit Staatsrat Max Friedmann zusammen, um die wirtschaftliche und gesundheitliche Lage Österreichs zu diskutieren. Die zeitgenössischen Zeitungen berichteten von dem Gespräch und vor allem darüber, dass Taylor – und damit auch die Entente-Mächte –  für eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit der Nachfolgestaaten der ehemaligen Monarchie eintreten würden.

Allerdings folgte am 7. Jänner 1919 ein von der Entente initiiertes Dementi, das tags darauf vom Neuen Wiener Journal veröffentlicht wurde:

"Eine hier verbreitete Mitteilung, als ob der Vorsitzende der in Wien weilenden interalliierten Wirtschaftskommission Dr. Taylor sich dahin geäußert habe, daß die Nationalstaaten auf dem Boden des bisherigen Oesterreichs ihre wirtschaftlichen Beziehungen wieder aufnehmen müßten, und daß er damit gleichsam die in Ententekreisen bestehenden Absichten über die Zukunft der Nationalstaaten wiedergegeben habe; ist durchaus irrig. Mr. Taylor ist, wie in amerikanischen Kreisen versichert wird, überhaupt nicht in der Lage, ein derartiges Zukunftsprogramm für die Nationalstaaten auf dem Boden des früheren Oesterreich zu entwerfen. Mr. Taylor hat sich in einer sachlichen Besprechung in Wien nur über die momentane Wirtschaftslage dieser Stadt geäußert, insbesondere über die enormen Schwierigkeiten der Kohlenversorgung [...] Die Möglichkeit, dass sich Mitglieder der interalliierten Wirtschaftskommission an der Kontrollkommission beteiligten, deren Aufgabe es wäre, das wirtschaftliche Zusammengehen der Nationalstaaten des früheren Oesterreich auf allgemeiner Basis zu sichern, komme daher nicht in Frage."

Nach seinem Engagement in der interalliierten Militärkommission widmete sich Taylor wieder der Wissenschaft, unter anderem an der Universität Stanford und publizierte mitten im Zweiten Weltkrieg das Buch "Germany Then and Now" (1941); er verstarb 1949. Der angesehene und den Vereinigten Staaten eng verbundene Wissenschaftler Adolf Lorenz, an den in Wien-Hietzing die Adolf-Lorenz-Gasse erinnert, veröffentlichte seine Autobiografie in englischer Sprache unter dem Titel "My Life and Work", 1937 erschien sie in deutscher Übersetzung als "Ich durfte helfen. Mein Leben und Wirken". Lorenz verstarb 1946 im niederösterreichischen Altenberg, nördlich von Wien.

Links:
Die Entente und die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschösterreichs (Neues Wiener Tagblatt vom 7. Jänner 1919)
Die Zukunft Deutschösterreichs. Die angebliche Aeußerung Misters Taylor (Neues Wiener Journal vom 8. Jänner 1919)

Alle Einträge anzeigen: Von Tag zu Tag