Im Oktober 1918 spürte man bereits die drohenden politischen Umwälzungen. Allgemein wurde erwartet, dass es bald zu Friedensverhandlungen kommen werde. Insbesondere in Tirol wurden territoriale Veränderungen erwartet, und dass das italienische Trentino südlich der Salurner Klause, wenn schon nicht Teil des italienischen Königreichs, so doch eine autonome Region werden sollte. Der Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 7. Oktober 1918 analysierte die Situation, rief zur "Tiroler Vergatterung" auf und appellierte an die österreichisch-ungarischen Diplomatie:
"Man kann annehmen, daß in den nächsten Monaten das Schicksal Europas auf lange hinaus entschieden wird. Die militärischen Verhältnisse des Krieges haben sich soweit geklärt, daß nun die Verhandlungen einsetzen dürften. Für uns Tiroler ist dabei wichtig, daß unsere Heimat als Grenzland, zumal wegen seiner nationalen Doppelnatur eine besondere Rolle in den Verhandlungen spielen wird. Die Entente wird Welschtirol ‚erlösen‘ wollen und Italien wird große Anstrengungen machen, um über die nationalen Grenzen hinaus den ‚natürlichen Abschluß‘ der Appeninen-Halbinsel, den Alpenkamm, zu erschachern, nachdem es ihn zu erkämpfen nicht imstande war. Es wird seine gierigen Finger auch nach dem Etsch- und Eisacktal und ihren Nebentälern ausstrecken. Wir hegen keinen Zweifel, daß die verfassungsmäßigen Vertreter Oesterreichs auf der Friedenskonferenz nicht vergessen werden, was sie des Ehre des Reiches und den hundertjährigen Opfern Tirols schuldig sind, wo die Linie ist, über die hinaus keine Nachgiebigkeit gehen kann. Aber im Rate der Welt gelten heute die Stimmen der Völker mehr als die Meinungen der Minister. Namentlich das Wort Tirols wird mehr Sympathien finden, als die Bemühungen des österreichischen Außenministers, eines Ungarn […] Bei der Entente herrscht die Meinung, die Welschtiroler hätten keinen heißeren Wunsch als den nach der Loslösung von Oesterreich. Und doch haben erst kürzlich die elf größten Gemeinden Welschtirols aus eigenem Antrieb ihre unbeirrte österreichische Gesinnung verkündet. Hier müssen unsere Diplomaten einsetzen. Unsere Landsleute unter Salurn haben allerdings einen großen, bisher unerfüllten Wunsch: den nach der Autonomie […] Alles kommt darauf an, daß unsere Politiker im Lande die Fühlung mit den Welschtirolern nicht verlieren und daß unsere Vertreter bei den Friedensverhandlungen neben der wünschenswerten Festigkeit auch die Gewandtheit besitzen, diese Gedanken wirkungvoll in die Debatte zu bringen. Völlig unzweifelhaft gilt das letztere von Deutschtirol, wenn Italien etwa daran rühren sollte. Wir haben einen Namen in der Welt und Freunde auch noch immer unter den Feinden der Mittelmächte. Wir werden bestimmt Gehör finden, wenn wir sagen werden: ‚Unser Tiroler Land und unser Tiroler Volk sind durch Jahrhunderte einer an Ehren und Leiden reichen Geschichte, durch eine wunderbar innige und starke Kultur zu einer untrennbaren Einheit verwachsen. Wir geben nichts her von unserem heiligen Boden!‘ So müssen wir sprechen. Bald und alle."
Tatsächlich sollte es aber ganz anders kommen…
Link:
Tiroler Vergatterung! (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 7. Oktober 1918)
Veranstaltungshinweis: "14 Tage 1918 – Die Anfänge der Republik in Tirol in 53 Zeitungsausschnitten"
(Buchpräsentation am 23. Oktober 2018 um 19:00 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck
Buchpräsentation am 14. November 2018 um 19:00 Uhr im Haus der Geschichte Österreich, Wien)