Das Grazer Tagblatt titelte am 8. Februar 1918 ganzseitig mit dem Rücktritt des Ministeriums Seidler aufgrund erfolgloser Budgetverhandlungen. Als "Ministerium" wurde im damaligen Sprachgebrauch das ganze Kabinett der Regierung bezeichnet. Erst am nächsten Tag wurde allerdings bekannt, dass Kaiser Karl die Demissionierung Seidlers nicht angenommen hatte.
Der gelernte Jurist Ernst Seidler war 1916 in den Adelsstand erhoben worden und bemühte sich trotz seiner politischen Verortung im deutschnationalen Lager durch Berufung von Politikern slowenischer Nationalität und aus Galizien einen Ausgleich im Vielvölkerstaat zu erreichen.
Nach seiner von Kaiser Karl abgelehnten Demissionierung versuchte er mittels einer Amnestie für tschechische Aktivisten diese mit der Habsburgermonarchie auszusöhnen, was ihm aber nicht gelang. Zusätzlich verlor er durch den als "Brotfrieden" bekannt gewordenen Separatfrieden der Mittelmächte mit der Ukraine und der damit verbundenen russisch-polnischen Gebietsabtretungen an den neu geschaffenen ukrainischen Staat auch die Unterstützung der österreichisch-polnischen Abgeordneten im Wiener Reichsrat. Letzteres führte zu seinem Rücktritt am 25. Juli 1918.
Nach dem Krieg war Seidler als Universitätslehrer tätig und übernahm Positionen in Industrie und Bankwesen. Der Vater der Bugschauspielerin Alma Seidler und des ÖBB-Generaldirektors Ernst Seidler starb 1931 in Wien.
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Rücktritt des Ministeriums Seidler (Grazer Tagblatt vom 8. Februar 1918)