"Es dürfte etwa eine Viertelstunde nach neun Uhr gewesen sein, als sich die Aufmerksamkeit dem Fliegergeschwader zuwendete, das von Süden her über Wien heranzog. Zuerst dachte man natürlich, daß es österreichisch-ungarische Flugzeuge seien und als selbst die Flugzettel förmlich herunterrieselten, meinte man, es wären etwas wie jüngst bei der Agitation für die Kriegsanleihe aus den Lüften. Als man die Flugzettel freilich in die Hand nahm, erkannte man sofort, daß es italienische Flieger seien. Das sah man dann auch ihnen an, denn die Flugzeuge gingen ziemlich tief herunter, siebenhundert bis tausend Meter über der Straße. Die Flugzettel strömten aus dem ganzen Fluge herunter; das Zeichen zum Abwerfen gab anscheinend der an der Spitze fliegende Apparat, von dem die ersten Stöße der Zettel in die Tiefe gingen; die Aufrufe wurden gleichsam aus Hülsen hinausgeworfen. Man sah die Zettel in der Inneren Stadt, auf der Landstraße, Wieden, Josefstadt, Alsergrund, Margareten, Meidling, Rudolfsheim und Fünfhaus; nach etwa zwanzig Minuten entschwanden die Flugzeuge und das Schauspiel war zu Ende."
Am 9. August 1918 vollführte der italienische Schriftsteller und spätere Ideengeber des italienischen Faschismus Gabriele D'Annunzio ein militärisches Husarenstück: Mit insgesamt 11 leichten Flugzeugen, die bis zu 3.600 Meter hoch fliegen konnten, startete er zu einem Propagandaflug nach Wien. Drei Flugzeuge mussten schon auf dem Hinflug noch über italienischem Territorium notlanden, ein viertes kurz vor Wien (die Besatzung wurde gefangen genommen), sodass schließlich 7 Flugzeuge über Wien kreisten, wo sie aus geringer Höhe etwa 400.000 Flugblätter mit propagandistischem Inhalt abwarfen. Die Reaktion der Wiener Bevölkerung war vor allem Neugier:
"In der Inneren Stadt blieben Tausende plötzlich stehen und reckten die Hälse in die Höhe; Leute, die ins Bureau liefen, vergaßen für Augenblicke ihre Pflicht; Frauen mit Handtaschen verzögerten den Gang zum Anstellen; die Gassenbuben sprangen vor Vergnügen; Soldaten und Dienstmänner besprachen interessiert die Chancen der feindlichen Flieger. Und als die Zettelchen und Flugblätter niederflatterten, suchte jeder einen solchen Wisch zu fangen. Im Volksgarten, wo Wiens gepflegte Jugend die seligen Stunden des Vormittags genießt, wirkten die unerwarteten Zettelchen wie ein großer erotischer Schmetterlingsschwarm. Die Kinder vergaßen Reifen, Ball, Diabolo und suchten, die komischen Schmetterlinge zu fangen."
Am Tag nach dem unerwarteten Besuch der italienischen Flieger, am 10. August 1918, wurde in der österreichischen, aber auch in der internationalen Presse, ausführlich darüber berichtet. Die Arbeiter-Zeitung, die auch Worte der Anerkennung für die fliegerische Leistung der Italiener fand, die immerhin 1.200 Kilometer ohne Zwischenlandung – zumeist in großer Höhe – in ihren offenen Flugzeugen zurücklegen mussten, veröffentlichte sogar den Wortlaut der Flugblätter.
Links:
Italienische Flieger über Wien (Arbeiter-Zeitung vom 10. August 1918)
D'Annunzios Schmetterlingsschwarm (Neues Wiener Tagblatt vom 10. August 1918)
Weiterlesen: Der Flug über Wien (Wikipedia)