Albert Petrikovits, Redakteur des in Wien und der Steiermark erscheinenden Magazins "Öffentliche Sicherheit", veröffentlichte in den 1920er Jahren "Kerkerinschriften", also Graffitis, auf österreichischen Gefängniswänden. Folgende Inschrift aus 1917 schrieb Petrikovits einem Deserteur zu und folgerte: "Es grollt die soziale Revolution aus diesem Aufschrei":
Wir kämpfen nicht für Kaiser
Wir kämpfen nicht für Gott!
Wir kämpfen für die Reichen
Die Armen schlägt man tot!
Während die österreichische Armee Deserteuren vor allem politische Motive unterstellte, waren die tatsächlichen Motive zumeist viel trivialer und betrafen Hunger oder Kriegsmüdigkeit wie auch aus neueren Forschungen hervorgeht. Die österreichischen Armeebehörden überschätzten die politischen Motive, die sie vor allem mit "politischer Verhetzung" an der Heimatfront und kommunistischer ("bolschewistischer") Propaganda erklärten. Für letztere wurden insbesondere ab Herbst 1917 die aus russischer Kriegsgefangenschaft zu ihren Truppenkörpern heimkehrenden ehemaligen österreichischen Kriegsgefangen verantwortlich gemacht.
Link:
Keine dritte Desertion (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 14. September 1917)
Schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde in Vorarlberg entlang der Grenze zur Schweiz eine mehrere Kilometer breite "Verbotszone" eingerichtet, die von Ortsfremden, insbesondere aber von Militärpersonen, darunter auch Soldaten, die aus dem Rheintal stammten, nicht betreten werden durfte. Innerhalb der Verbotszone, in der auch die Stadt Feldkirch lag, kam der Tourismus ganz zum Erliegen. Es war verboten von öffentlichen Wegen und Straßen abzuweichen und landwirtschaftlich genutzte Felder und Almen durften nur von Personen betreten und bewirtschaftet werden, denen ein amtlicher Passierschein ausgestellt wurde.
Der Grund für die Einrichtung der Verbotszone lag in der Angst der österreichischen Behörden vor Agenten feindlicher Mächte, die aus der neutralen Schweiz heraus operierend den Kontakt mit Personen im Grenzland suchten, um Informationen über die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Österreich zu erlangen. Das Einreiseverbot, das auch Soldaten betraf, die im Rheintal ansässig waren und ihren Heimaturlaub zuhause verbringen wollten, führte zu anhaltenden Protesten von Lokalpolitikern, unter anderem der Bürgermeister von Dornbirn und Bregenz.
Im Herbst 1917 war es endlich soweit: Am 15. September meldete der "Landbote von Vorarlberg" die Lockerung des Einreiseverbotes für Militärpersonen aus dem Vorarlberger Rheintal. Die Einreise in die Verbotszone wurde allerdings weiterhin streng kontrolliert: Urlaubsansuchen mussten mit langer Vorlaufzeit zur Überprüfung an das "Grenzschutzkommando Feldkirch" gerichtet werden und Personenkontrollen fanden in der eigens dafür eingerichteten "Urlaubskontrollstelle" in Bludenz statt.
Link:
Urlaubsreisen unserer Soldaten ins Rheintal (Landbote von Vorarlberg vom 15. September 1917)
Der 16. September war der letzte Tag des Jahres 1917 mit Sommerzeit. In der Nacht vom 16. auf den 17. September wurde zum zweiten Mal in der Geschichte von der Sommer- zur Normalzeit gewechselt. Schon 1916 führten Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich als erste Staaten weltweit die Sommerzeit ein, um die knappen Energieressourcen für die Kämpfe des Ersten Weltkriegs effizienter einzusetzen. Großbritannien und Frankreich reagierten prompt und führten die Sommerzeit noch im selben Jahr ein.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Sommerzeit in Deutschland 1919 abgeschafft, während in der Republik Österreich nur eine kurzfristige Aussetzung erfolgte. 1920 trat die Sommerzeit hierzulande wieder in Kraft. Allerdings konnte sich das Bundesland Salzburg damit nicht anfreunden und setzte die Sommerzeit am 1. Mai 1920 wieder aus. Die Eisenbahnen verkehrten aber auch in Salzburg gemäß der im restlichen Bundesgebiet geltenden Sommerzeit.
Am 16. September 1917 wurde nicht nur über die zu Ende gehende Sommerzeit berichtet, sondern auch über die heute kurios anmutende Bestrebung eine "Winterzeit" einzuführen: Uhren sollten während der kurzen Wintertage eine Stunde zurückgedreht werden.
Link:
Normalzeit und Winterzeit (Neue Zeitung vom 16. September 1917)
Am 17. September verordnete die Wiener Statthalterei im Zuge von Energieeinsparungsmaßnahmen allen Gasabnehmer einen Fragebogen, der fristgerecht in den Amtsräumen der Brot- und Mehlkommissionen abgegeben werden musste: "Für die Übertretung der Vorschriften sind sehr strenge Strafen vorgesehen" warnten die Wiener Neuesten Nachrichten am 17. September 1917.
Schon etwas länger, seit 1. September 1917, gab es die "Petroleum- und Kerzenkarten", die vor allem die ärmsten Teile der Wiener Bevölkerung betrafen, die in ihren Wohnung kein Gas bezogen. Alleine in Wien lebten damals mehr als 500.000 "mindestbemittelte" Personen – das waren ca. 30 Prozent aller Haushalte! (Margarethe Grandner, Kooperative Gewerkschaftspolitik in der Kriegswirtschaft, Wien 1992)
Die zugewiesene Menge an Petroleum inklusive der einmal im Monat zustehenden Kerze reichte für gerade einmal 15 Minuten Beleuchtung am Tag.
Links:
Die neuen Beheizungs- und Beleuchtungsvorschriften (Wiener Neueste Nachrichten vom 17. September 1917)
Weiterlesen: Weihnachten ohne Kerzen
"Auch der letzte Tag der heurigen Sommerzeit war ein schöner freundlicher Herbsttag, windstill und sonnig, so recht zu Ausflügen geeignet, die freilich jetzt, im Gegensatz zu früheren Zeiten, gewöhnlich mit leerem Rucksack angetreten werden, während die Ausflügler dann schwerbepackt heimkehren, gebeugt unter der Kartoffellast oder sonstigen Erzeugnissen der Landwirtschaft. Die 'Winterzeit' setzte heute gleichfalls mit Schönwetter ein [...] Ein 'zweiter' Frühling wird auch in Linz beobachtet. Dort prangen in der Bahnhofallee Kastanienbäume in vollem frischen Laub und reichem Blütenschmuck, was seit Jahren nicht mehr der Fall war."
Link:
Vom Wetter (Das Neuigkeits-Welt-Blatt vom 18. September 1917)
Die k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg verordnete am 19. September 1917, dass 75 Prozent der Tiroler Weinernte von der "Wein-Übernahmsstelle" in Bozen (heute in Südtirol) übernommen werde, um das Heer und die Zivilbevölkerung ausreichend mit Wein zu versorgen. Zur Durchführung dieser Maßnahme wurde auf "gut-österreichisch" ein achtköpfiger Beirat eingerichtet, der aus Vertretern der Winzer, Weinhändler, Konsumenten sowie der Zivil- und Militärverwaltung bestand. Die Auswahl der Rebsorten blieb aber der "Wein-Übernahmsstelle" alleine vorbehalten. Zusätzlich wurde eine Kellersperre verhängt, sodass der Freiverkauf der verbleibenden 25 Prozent des Tiroler Weines erst nach dem 15. Dezember 1917 beginnen konnte.
Link:
Verordnung der k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg betreffend die Regelung des Weinverkehres (Vorarlberger Landes-Zeitung vom 19. September 1917)
Im Kaisergarten im Wiener Prater, an dessen Rand sich heute ein Planetarium befindet, stand bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Erlebnispark "Venedig in Wien". Die englischen Eigentümer wurden nach Kriegsbeginn enteignet. Um Platz für "Kriegsausstellungen" zu machen wurden Anfang 1916 die letzten Reste "Venedigs in Wien" von russischen Kriegsgefangen abgetragen (es herrschte Mangel an einheimischen Arbeitern).
Von Mai bis Oktober 1917 fand im Kaisergarten die zweite Kriegsausstellung statt, die etwa eine Million Besucherinnen und Besucher anlockte und deren Einnahmen Invaliden und Waisen zu Gute kamen. Ausgestellt wurden unter anderem erbeutete Waffen, Kriegsmaterialien, Ersatznahrungsmittel und Schlachtengemälde, während aus nachgebauten Schützengräben Musik erklang. Eine besondere Attraktion war ein U-Bootmodell aus Holz, das von Ausstellungsbesuchern gegen ein Entgelt mit Nägeln beschlagen werden konnte. Tombolas, Theater-, Musik- und Tanzveranstaltungen ergänzten das Programm. Wegen der "abnorm hohen Abendtemperaturen", so berichtete die Wiener Allgemeine Zeitung am 20. September 1917, konnten die beliebten Konzerte der Deutschmeisterkapelle im Rahmen der Kriegsausstellung bis auf Weiteres im Freien stattfinden.
Link:
Die Kriegsausstellung 1917 (Wiener Allgemeine Zeitung vom 20. September 1917)
Am 19. September beschlossen die Kaufleute in Mattighofen in Oberösterreich die Ladenschlusszeit auf Kriegsdauer jeden Sonntag bereits auf 12 Uhr zu Mittag herabzusetzen. Bis zum Ende der Monarchie galten tägliche Ladenöffnungszeiten von fünf Uhr in der Früh bis 20 Uhr Abends, im Lebensmittelhandel sogar bis 21 Uhr. Die tägliche Arbeitszeit dauerte bis zu 14 Stunden, in Ausnahmefällen sogar länger. Die Sonntagsruhe wurde bereits 1895 geregelt, allerdings galten zahlreichen Ausnahmen, insbesondere auch für die Lebensmittelbranche. Bis zum Ende der Monarchie wurden arbeitsrechtliche Regelungen eher nachlässig beachtet und oft gebrochen. 1908 erhob beispielsweise das k.k. Handelsministerium, dass 35% aller österreichischen Kinder unter Missachtung der Gewerbeordnung zu Arbeitsleistungen herangezogen wurden, wobei knapp die Hälfte dieser Kinder jünger als elf Jahre war.
Links:
Sonntagsruhe in Mattighofen (Neue Warte am Inn vom 21. September 1917)
Weiterlesen: Die Entwicklung des Arbeitsrechts in Österreich (PDF)
Der "Reichsverband der Kinematographenbesitzer in Oesterreich" beklagte sich am 22. September 1917 bitter darüber, dass Kinobetreibern von Verleihfirmen unzensurierte Filme angeboten und vermittelt wurden, die erst im Anschluss an ihren Verleih von der Polizeidirektion "um eine mitunter nicht unbedeutende Meteranzahl" gekürzt würden. Bezahlen mussten die Kinobetreiber allerdings die volle Meterlänge des Filmes:
"Der Reichsverband richtet daher an die hohe k.k. Polizeidirektion das ganz ergebene Ansuchen, dieselbe geruhe als Aufsichtsbehörde die auf die Abstellung der zweifellos unzulässigen Vorführung unzensurierter Filme durch die Filmleihanstalten abzielenden behördlichen Maßnahmen zu treffen und insbesondere zur Ausübung der Kontrolle fallweise auch zu den seitens der Filmleihanstalten vorgenommenen Filmvorführungen behördliche Organe zu delegieren."
Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Filmzensur von der Polizeidirektion Wien durchgeführt. Während des Krieges existierte als zusätzliche Zensurbehörde das "Kriegsüberwachungsamt". Seitens der Zensur waren "mit Geschmack gewählte Naturaufnahmen, die eines gewissen aktuellen Anstriches nicht entbehren sollen, gewisse Films patriotischer Tendenz, wie Manöver, Übungen und das Leben unserer oder verbündeter Truppen, die der gegenwärtigen Stimmung Rechnung tragen und durch Strammheit und Haltung das Vertrauen zu unseren Armeen kräftigen" besonders erwünscht (Kinematographische Rundschau 1914).
Links:
Ueber Leihbestimmungen (Der Kinobesitzer vom 22. September 1917)
Weiterlesen: Kinematografische Propaganda und Zensur in Österreich-Ungarn 1914-1918
Schon im Verlauf des Ersten Weltkrieges wurden die verheerenden Folgen des jahrelangen Kampfes auch im Hinterland sichtbar. Die zahlreichen Kriegsinvaliden mussten wieder in das zivile Leben eingegliedert werden, konnten aber wegen ihrer Verletzungen oft nicht in ihre angestammten Berufe zurück. Die beiden Fotos, die am 23. September 1917 veröffentlicht wurden, zeigen beispielsweise die Unterweisung Kriegsinvalider in der Forellenzucht.
Der durch den Weltkrieg übersteigerte Patriotismus führte auch noch nach dem Krieg dazu, dass sich Kriegsinvalide als "Helden" zu betrachten hatten und dazu angehalten wurden, ihre Verletzungen zu verbergen. Die große Zahl an Invaliden – knapp vier Millionen alleine in den Nachfolgestaaten der Donaumonarchie – stellten die Sozialsysteme dieser Länder noch jahrzehntelang auf eine schwere Probe.
Links:
Film: Defilee von österreichischen Kriegsinvaliden im Ersten Weltkrieg, Filmausschnitt, um 1918
Weiterlesen: Gebrochene Helden versus Heldenverehrung