Am 24. Oktober 1917 berichtet die "Illustrierte Kronen Zeitung" von einem "schweren Raubanfall" auf dem Rochusmarkt im dritten Wiener Gemeindebezirk: Die 68-jährige Karoline Brod wurde bei dem Versuch Lebensmittel ohne Anstellen zu bekommen von einem jungen Mann betrogen. Der ca. 26-jährige Täter gab sich als Lieferant aus und begleitete Frau Brod zu Ihrer Wohnung, wo er sie packte und niederschlug. Er verschwand mit Bargeld und Gegenständen im Wert von mehr als 600 Kronen (entspricht etwa der Summe von 3.000 Euro). Die kriegsbedingte Lebensmittelverknappung, Schleichhandel und die ab dem Jahr 1915 auf den Wiener Märkten auftretenden massiven Teuerungen ließen soziale Konflikte ausbrechen (Plünderungen, Betrug) und stellten große Teile der Bevölkerung täglich vor existentielle Überlebensfragen.
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Raubüberfall auf der Landstraße. "Wollen Sie Lebensmittel ohne Anstellen haben?" (Illustrierte Kronenzeitung vom 24. Oktober 1917)
Weiterlesen: 1. Weltkrieg & Medizin: Die beginnende Ernährungskrise im Kriegsjahr 1915
Am 25. Oktober 1917 verstarb neunzigjährig der aus Posen (Polen, damals Deutschland) stammende und in Baden bei Wien in der Hildegardgasse 9 lebende k.k. Hofschauspieler, Regisseur und Professor am Wiener Konservatorium Bernhard Baumeister.
Zwei Tage später berichtete die Badener Zeitung sehr ausführlich sein Ableben: "Baden hat einen seiner berühmten Bewohner und treuen Freunde verloren: Hofschauspieler Bernhard Baumeister ist am Donnerstag 12 Uhr nachts gestorben. […] Wohl war die Gesundheit des Künstlers seit einer im Februar 1915 erlittenen Influenza, welcher ein leichter Schlaganfall folgte, bedeutend geschwächt, und an ein Wiederauftreten in seinem geliebten Burgtheater konnte seit dieser Zeit nicht mehr gedacht werden […]"
Baumeister betrat 1843 mit 16 Jahren zum ersten Mal die Bühne. Nach Stationen in Schwerin, Stettin, Hannover und Oldenburg kam der Künstler 1852 an das Wiener Hofburgtheater, wo er es auf 6299 Auftritte in 494 Rollen brachte. In seiner Altersrolle brillierte er als Hermann in Schillers "Die Räuber".
1920 wurde in Wien-Ottakring die Baumeistergasse nach ihm benannt.
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Bernhard Baumeister † (Badener Zeitung vom 27. Oktober 1917)
Nach der Geschichte über einen Raubüberfall am Rochusmarkt im 3. Wiener Gemeindebezirk (siehe den 24. Oktober 1917) berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung am 26. Oktober wieder über einen ähnlichen Vorfall: "Wie wir nun erfahren, wurde am nämlichen Tage gleichfalls im 3. Bezirk an einer anderen Frau ein ganz ähnliches Verbrechen versucht, dessen Urheber zweifellos der selbe Mann ist, der Frau Brod überfiel. Auch in diesem anderen Falle hat sich der Täter seinem Opfer unter Vorspiegelung, Lebensmittel zu beschaffen, genähert und es dann in einem geeigneten Augenblicke zu berauben versucht."
Da die Beschaffung von Lebensmitteln mit Fortdauer des Krieges immer schwieriger wurde und stundenlange Wartezeiten vor Geschäften und Marktständen in den Städten zur Regel wurden (siehe dazu auch den 20. Oktober 1917), war die Vorspiegelung, Lebensmittel beschaffen zu können, ein probates Mittel für Betrüger.
Die Zeitung berichtete außerdem, dass eine hohe Belohnung in der Höhe von 500,- Kronen für die Ergreifung des Täters ausgelobt wurde; diese Summe entspricht circa 2600,- Euro zieht man den Wert der Kronenwährung vor Kriegsbeginn heran.
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Der Raubüberfall auf der Landstraße (Illustrierte Kronenzeitung vom 26. Oktober 1917)
Inflationscockpit der Österreichischen Nationalbank
Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Über einen besonders kuriosen Fall von Lebensmittelschmuggel aus Baden bei Wien berichtete das Fremden-Blatt am 27. Oktober 1917: "Einem Aufsichtsorgan fiel es seit längerer Zeit auf, daß der Leichenwagen eines Badner Großfuhrmannes bei Überführungen nach Ungarn stets auf der Rückfahrt nach Baden viel langsamer fuhr als auf der Hinfahrt, um so mehr als der Wagen auf der Rückfahrt doch eigentlich leer sein mußte und die Pferde trotzdem schwer zu ziehen schienen. Bei der Anhaltung des Wagens löste sich das Rätsel. Der Leichenwagen war mit Säcken voll des schönsten und besten Weizens beladen. Die Ladung wurde sofort mit Beschlag belegt und der Großfuhrmann dem Strafgericht angezeigt."
Die Lebensmittellage war in der ungarischen Reichshälfte der Doppelmonarchie während des Ersten Weltkrieges deutlich besser als in Cisleithanien, sodass Bewohner der grenznahen Gebiete Niederösterreichs oft und gerne nach Ungarn reisten, um Lebensmittel zu "hamstern". Wiener unternahmen gerne Tagesausflüge in das damals mit der Pressburger Bahn in 2 Stunden erreichbare Bratislava (damals Pressburg, Ungarn) und auch Baden war nur wenige Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt, da das heutige Burgenland damals noch Teil des Königreiches Ungarn war.
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Weizenschmuggel im Leichenwagen (Fremden-Blatt vom 27. Oktober 1917)
Die allgemeine Rohstoff- und Ressourcenknappheit im Zuge des Krieges betraf nicht nur die Lebensmittelsparte, sondern auch allerlei andere Produkte und Industriezweige. Die sonntäglich erscheinende Satirezeitschrift Kikeriki beschäftigte sich am 28. Oktober 1917 deshalb mit dem anhaltenden Zündholzmangel, der mit dem Werkzeug einer Laternenanzünderin gelöst werden sollte.
Die 1861 von Otto Franz Ebersberg gegründete Zeitschrift hatte bis in die 1880er Jahre eine eher liberale Ausrichtung. Unter dem zunehmenden Einfluss der Christlichsozialen um Karl Lueger wurde der Kikeriki scharf antisemitisch (der unten stehende Link leitet auf eine Seite des Kikeriki weiter, auf der unter anderem eine antisemitische Karikatur zum Thema "Preistreiberei" abgebildet ist).
Nach dem Ersten Weltkrieg näherte sich das Blatt politisch den Deutschnationalen und seit Mitte der 1920er Jahre auch der österreichischen NSDAP an. 1933 wurde die Zeitschrift wegen ihrer Parteinahme für die Nationalsozialisten von der Regierung verboten.
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Ein Mittel gegen den Zündholzmangel (Kikeriki vom 28. Oktober 1917)
Die österreichischen Zeitungen berichteten regelmäßig über die Lage der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen. Neben einfachen Informationen und Lebenszeichen der Gefangenen wurden regelmäßig auch Kriegsgefangenenkarten veröffentlicht.
Am 29. Oktober 1917 druckte die Illustrierte Kronen Zeitung eine Kriegsgefangenenkarte vom Soldaten Josef Soukup aus dem sibirischen Lager Mariinsk ab. Obwohl sich die russische Verwaltung an die internationale Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen hielt, war das Schicksal vor allem der einfachen Soldaten, die im Gegensatz zu Offizieren keine Privilegien genossen, nicht einfach.
Die deutsch- und ungarischsprachigen Gefangenen hatten ein besonders schweres Los zu tragen und wurden meist in Sibirien oder Turkestan interniert. Schätzungen gehen von 400.000 in russischer Kriegsgefangenschaft verstorbenen österreichisch-ungarischen Soldaten aus.
Der Zusammenbruch des Zarenreiches im Jahr 1917 stürzte auch die Kriegsgefangenen ins Chaos. Die Bolschewiken, die Anfang 1918 einen Separatfrieden mit den Mittelmächten geschlossen hatten, überließen die Kriegsgefangenen ihrem Schicksal. Sie waren formell frei, doch konnten viele von ihnen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Dies galt insbesondere für die rund 400.000 Kriegsgefangenen in Sibirien, das weiterhin von den zaristischen "weißen" Truppen und der mit ihnen verbündeten tschechischen Legion kontrolliert wurde.
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Eine Kriegsgefangenenkarte aus Mariinsk (Illustrierte Kronen Zeitung vom 29. Oktober 1917)
Weiterlesen: Kriegsgefangene: Ein Millionenheer mit hohem Blutzoll
Die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen wichtigen alltäglichen Produkten wurde für die meisten Menschen im Laufe des Krieges immer schwieriger. Dies betraf auch die Versorgung mit Papier, die nicht nur Zeitungen, sondern auch Schulen betraf, an denen der Papierverbrauch streng reglementiert wurde, sodass es mancherorts zur Renaissance der Schiefertafel kam.
Staatlicherseits wurde versucht aus der Not eine Tugend zu machen. Die Verkürzung des Schulunterrichts oder die Anordnung schulfreier Tage wurde deshalb mit Kriegspropaganda verknüpft. Beispielsweise ordnete der Unterrichtsministers Max Hussarek von Heinlein am 30. Oktober 1917 an, dass "anlässlich der glänzenden Waffentaten der verbündeten Armeen und der ruhmreichen Befreiung der Stadt Görz vom Feinde […] der 8. November freigegeben werde."
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Der 8. November – schulfrei! (Die Neue Zeitung vom 30. Oktober 1917)
Weiterlesen: Die Schulfront
Am 31. Oktober 1917 berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung von dem besonders einfallsreichen Hochstapler Klemens Daniel aus den Reihen der österreichisch-ungarischen Armee, der im Laufe von drei Jahren eine Reihe von Betrügereien, Zechprellereien und Heiratsschwindeleien verübte.
Daniel desertierte schon kurz nach seiner Einrückung zu Kriegsbeginn 1914 vom Infanterieregiment Nummer 4 – in dem zu dieser Zeit der später berühmt gewordene Schauspieler Hans Moser diente – und präsentierte sich von da an nur mehr als Oberleutnant und Baron. Pikanterweise stammte das Foto in seinem gefälschten Reisepass von einem polizeilichen Steckbrief, den Daniel in einer Zeitung gefunden hatte.
Nachdem die Behörden Daniel 1917 fassen konnten, verurteilte ihn das Kriegsgericht zu drei Jahren "Kerker" (diese Form der Strafe wurde in Österreich erst 1974 durch die etwas mildere "Strafhaft" ersetzt).
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Ein Pferdewärter als Oberleutnant (Illustrierte Kronenzeitung vom 31. Oktober 1917)
Am 1. November 1917 berichtete das Interessante Blatt über den Brand der gotischen Kirche von St. Leonhard im Kärntner Lavanttal. Dieses Bauwerk wurde um das Jahr 1340 vermutlich an der Stelle einer alten, nicht-christlichen Kultstelle errichtet und gilt als eines der wichtigsten gotischen Baudenkmäler Kärntens.
Der Turm der Kirche wurde bereits 1885 durch ein Feuer beschädigt. Der damals errichtete neo-barocke Turmhelm wurde 1917 ein zweites Mal ein Raub der Flammen. Diesmal entschloss man sich aber für die Rekonstruktion des Turms nach alten Vorlagen, sodass er sein gotisches Aussehen zurückbekam, das er bis heute besitzt.
Die Restaurierung der Kirche zog sich bis in die ersten Nachkriegsjahre, die von wirtschaftlichen Problemen gezeichnet waren. Um die Sanierung abzuschließen, mussten 12 gotische Glasfenster in die Vereinigten Staaten verkauft werden. Heute befinden sich diese Fenster in der Dependance des städtischen Museums von New York "The Cloisters". Eine der verbliebenen mittelalterlichen Glasmalereien wurde bei einem Einbruch 1987 zerstört.
Link:
Beschädigung der schönsten gotischen Kirche Kärntens (Das interessante Blatt vom 1. November 1917)
Der in Wien stationierte R.E.K. (k.u.k. Radfahrer-Ersatzkörper) führte im Herbst 1917 mehrere Fahrradrennen in Niederösterreich auf der Strecke zwischen Schwechat, Schwadorf und Fischamend durch. Die Streckenlängen betrugen zwischen 6 und 27 Kilometern, die Bestzeit auf dem 27 Kilometer langen Kurs erreichte Josef Kokoll mit knapp über 46 Minuten.
In Österreich begann die Ära des Militärfahrrades im Jahr 1882. Der wirkliche Durchbruch gelang aber erst ein Jahrzehnt später mit dem Distanzrennen von Wien nach Berlin: Im Vergleich zu berittenen Soldaten benötigten die Radfahrer für die 700 Kilometer lange Strecke nur die Hälfte der Zeit, also 35 Stunden.
Im Ersten Weltkrieg – Graz hatte sich als Ausbildungszentrum für die Radfahrer-Kompanien etabliert – kamen Soldaten zu Rad zuerst an der russischen Front, später auch in Italien zum Einsatz. Insgesamt wurden von 1914 bis 1918 etwa 250.000 Radfahrer von allen Kriegsparteien zusammen vor allem als Melder eingesetzt.
Im österreichischen Bundesheer spielten Fahrräder zuletzt im Rahmen des Assistenzeinsatzes im Burgenland zwischen 1990 und 2011 eine Rolle.
Links:
Interne Wettbewerbe des R.E.K. (Illustriertes österreichisches Sportblatt vom 2. November 1917)
Weiterlesen: Das Fahrrad im Dienste des österreichischen Militärs