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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

Slowakischer Hausierer mit Körben und Kochlöffeln
Slowakischer Hausierer mit Körben und Kochlöffeln in der Wachau, um 1910; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 14. Oktober beklagte der Journalist und stadtbekannte Bohemien Egon Dietrichstein im Neuen Wiener Journal das Aussterben der Hausierer, die wegen der kriegsbedingten Mangelwirtschaft über immer weniger Waren verfügten: "Hausieren und Rohstoffmangel … Das Gewerbe ist im Aussterben und viele bekannte, komische und lästige Typen verschwinden. Von Zeit zu Zeit sah man die Alten gern. Da war der Nachthausierer. Für ihn gab es keine Sperrstunde, keinen Tag. Abends kam er aus seiner Höhle, bucklig, klein, bärtig, mit einer dick angeschwollenen Tasche. Er lebte vom Kaffeehaus, von der Kaffeehausterrasse. Er humpelte herum, ließ sich überall häuslich nieder, stellte seinen Kramladen gleich auf den Stuhl und begann: "Manschettenknöpfe?..." Man las ruhig die Zeitung weiter. "Zahnbürsteln? Reibsäcke?..." Er brummte wie die Fliegen, die da oben die elektrische Bogenlampe surrend umkreisen. Man blickte auf: "Kaufens mer etwas ab. Schwere Zeiten. Ein Paar Schuhbänder?..." Man lächelte und wartete. Er kramte weiter: "Ein Paar Hosenträger? Sockenhalter?..." Gut, um des lieben Friedens Willen, einen Manschettenknopf…"

Dietrichstein, Sohn jüdischer Eltern, galt als begabter Journalist, der gerne im Café Museum in Literatenzirkeln verkehrte. Während des Ersten Weltkrieges wurde er in die Armee eingezogen und dem Kriegsarchiv zugewiesen, wo er gemeinsam mit Stefan Zweig, Alfred Polgar und Rainer Maria Rilke Kriegspropaganda produzieren musste.

Link:
Die Hausierer (Neues Wiener Journal vom 14. Oktober 1917)

Kaiser Franz-Josef-Landwehrkaserne in Wien-Baumgarten
Kaiser Franz-Josef-Landwehrkaserne in Wien-Baumgarten, um 1900; © Gemeinfrei

Die Landsturmpflicht trat – gewissermaßen als das "letzte Aufgebot" – nur ausnahmsweise ein wenn ein feindlicher Angriff Teile des Staatsgebietes bedrohte, wie zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Deshalb wurde ab 1914 der Landsturm in den personen- und materialintensiven Schlachten des Weltkrieges zum Einsatz gebracht.

So auch 1917: Österreichweit mussten am 15. Oktober 1917 um 8 Uhr in der Früh die nach ihrer Musterung als "landsturmpflichtig" erkannten jungen Männer der Jahrgänge 1897, 1898 und 1899 einrücken. Niederösterreicher und Wiener mussten in Franz-Josef-Landwehrkaserne in der Hütteldorferstraße 188 erscheinen.

Das Wehrgesetz der Monarchie sah eine allgemeine Wehrpflicht vor, deren Präsenzdienst in der Regel 2 Jahre dauerte (bei spezialisierten Einheiten sogar bis zu 4 Jahre) und galt hinsichtlich des "Landsturms" vom vollendeten 19. bis zum 42. Lebensjahr. Für den Militärdienst untaugliche Personen waren zur Zahlung einer Militärtaxe verpflichtet. Für den Wehrdienst Taugliche verblieben nach Ableistung des Präsenzdienstes bis zu 11 Jahren in der Reserve. Allerdings wurden in der Notsituation des Ersten Weltkrieges Männer sogar bis zum 50. Lebensjahr in den Landsturm einberufen.

Erst im Herbst 1917 wurden über Fünfzigjährige von den Fronten abgezogen und in die Etappe versetzt. Junge Männer, die die "letzten Söhne" ihrer jeweiligen Familie waren, durften ab Herbst 1917 nach Hause zurückkehren, ebenso wie Väter mit 6 oder mehr unversorgten Kindern.

Die Landwehrkaserne in der Hütteldorferstraße wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Malariaspital verwendet, um 1923 als Versorgungs- bzw. Altersheim für mehr als 1000 Personen zu dienen. Heute ist in dem Hauptgebäude der ehemaligen Kaserne das Bezirksamt für den 14. Wiener Gemeindebezirk untergebracht. Die meisten Nebengebäude wurden im Laufe der Zeit abgetragen und an deren Stelle das Geriatriezentrum Baumgarten errichtet.

Links:
Einrücken der Landsturmpflichtigen der Landwehr (Illustrierte Kronenzeitung vom 12. Oktober 1917)
Video: Auf dem Weg in den Einsatz

Zeitungswerbung für Tabak-Streckungsmittel
Werbung für Tabak-Streckungsmittel; © Vorarlberger Volksfreund vom 16. Oktober 1917

Im Ersten Weltkrieg rauchte der größte Teil der Soldaten, da Zigaretten den omnipräsenten Hunger unterdrückten und zusätzlich beruhigend wirkten. Allerdings war auch die Rauchwarenproduktion von der kriegsbedingten Mangelwirtschaft betroffen. Deshalb entschloss sich das österreichische Finanzministerium im Herbst 1917 den Verkauf von Streckungsmittel für den staatlicherseits streng reglementiert Tabak zuzulassen. Als Ersatzstoffe kamen unter anderem Rosenblätter, Buchenlaub, Spitzwegerich und Kamillen in Frage, wie der Vorarlberger Volksfreund am 16. Oktober 1917 ausführte. Zu Ende des Krieges enthielten Zigaretten zu 80 Prozent Streckungsmittel.

Der Siegeszug der billigen und leicht verfügbaren Papierzigaretten, die nach und nach Pfeifen, Schnupftabak und Zigarren verdrängten, begann in Kontinentaleuropa um 1860. Die dadurch bedingte Zunahme des Rauchens wurde deshalb schon lange vor dem Ersten Weltkrieg kontroversiell diskutiert.

Im Sommer 1890 beklagte beispielsweise der Wien-Korrespondent der New York Times, dass in Österreich nicht nur das Rauchen – außer in Theatern und Kirchen – praktisch überall zulässig wäre, sondern dass auch viele Kinder und Jugendliche rauchten: "Mittlerweile kann man zehn- bis zwölfjährige Buben an jeder Straßenecke beobachten, die ihre Papierzigaretten paffen ohne zurechtgewiesen zu werden, und man es als selbstverständlich betrachtet, dass diese ihr Taschengeld für Tabak ausgeben sollen." ("You now see boys of ten and twelve at every street corner, whiffling their paper cigar unrebuked, taking it as a matter of course that their pocket money should be spent in tobacco", New York Times vom 14. Juli 1890).

Links:
Tabakstreckungsmittel (Vorarlberger Volksfreund vom 16. Oktober 1917)
Smoking in Austria – Growth of the cigarette habit (New York Times vom 14. Juli 1890)

Weinfass in einer Wiener Sektkellerei
Weinfass in einer Wiener Sektkellerei,1866; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Die Rationierung verschiedenster Waren während des Ersten Weltkrieges erfolgte durch die Einführung von Lebensmittelkarten, Kerzen-, Petroleum-, Kohle- und anderer Karten bis hin zu gezielten Steuererhöhungen.

Am 17. Oktober 1917 beklagte die Neue Freie Presse das kriegsbedingte Weiterdrehen an der Steuerschraube: "Der seit Kriegsausbruch in unzähligen Fällen sowohl von Seiten der direkt betroffenen Interessenten als der ihnen zur Seite stehenden gesetzlichen Organisationen (Handelskammern, Gremien usw.) beklagte und bei den Zentralstellen mit allem Nachdruck gerügte Übelstand, daß Verfügungen wirtschaftlicher Natur erlassen werden, ohne vorher die betroffenen Kreise gutachtlich einzuvernehmen hat neuerdings eine Wiederholung durch die Vorlage eines Gesetzentwurfes, betreffend die Einführung einer Weinsteuer, und eines Entwurfes, betreffend die Erhöhung der Schaumweinsteuer, erfahren."

Die Schaumweinsteuer trat in Österreich Ende April 1914 in Kraft, um erst im Jahr 2005 abgeschafft zu werden. Genau 100 Jahre nach ihrer erstmaligen Einführung wurde sie 2014 wiedereingeführt. Die damalige österreichische Bunderegierung einigte sich auf eine Schaumweinsteuer von 0,75 Cent pro Flasche. 1917 war diese Steuer mit 2 Kronen pro Flasche mehr als doppelt so hoch als heute (2 Kronen des Jahres 1917 entsprechen ungefähr 1,79 Euro).

Links:
Die neue Weinsteuer und die Erhöhung der Schaumweinsteuer (Neue Freie Presse vom 17. Oktober 1917)
Die Einführung der Schaumweinsteuer (Linzer Tages Post vom 20. April 1914)

Stadtbahn Station Josefstädterstraße mit einem dampfbetriebenen Triebwagen
Die Stadtbahn Station Josefstädterstraße mit einem dampfbetriebenen Triebwagen, Wien um 1910; © Gemeinfrei

Während des 1. Weltkriegs litt auch der Betrieb der bereits im Juni 1889 eröffneten Wiener Stadtbahn unter den kriegsbedingten Sparmaßnahmen und dem Ressourcenmangel. Neben einer nach und nach durchgeführten Einschränkung des Betriebes wurden auch andere Sparmaßnahmen ergriffen, um die Weiterführung der dampfbetriebenen Stadtbahn in Kriegszeiten zu garantieren.

So berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung am 18. Oktober 1917 von der Einführung neuer, teurerer Tarife für die Wiener Stadtbahn und die Wiener Verbindungsbahn. Der neue Tarif wurde folgendermaßen erklärt: "Mit 1. Dezember gelangt auf den Linien der Wiener Stadtbahn und Wiener Verbindungsbahn ein neuer, erhöhter Tarif zur Einführung, der gegenüber den bestehenden eine Vereinfachung insofern aufweisen wird, als die Fahrpreise nicht mehr nach der kilometrischen Entfernung, sondern nach der Anzahl der zu durchfahrenden Haltestellen berechnet werden."

Aufgrund des Kohlemangels wurde der Betrieb der Stadtbahn am 8. Dezember 1918 vorübergehend eingestellt. Ganz dem Krieg zum Opfer fiel der geplante Bau eines weiteren Astes der Stadtbahn ab der Station Gumpendorferstraße entlang des Gürtels zum Südbahnhof. Bis heute ist die Anschlussstelle für diesen Ast an der Station Gumpendorferstraße gut zu erkennen, von dem einige Meter errichtet wurden, und der über eine Freifläche führen sollten, die heute als "Stadtwildnis" bei Hundefreunden besonders beliebt ist.

Die Wiener Stadtbahn zählt zu den Hauptwerken des bedeutenden österreichischen Architekten Otto Wagner, dessen Todestag sich am 11. April 2018 zum 100. Mal jährt. Die zwischen 1889 und 1998 unter dem Namen Wiener Stadtbahn benützten Gleiskörper sind heute ein Teil der U-Bahn Linien U6 und U4 sowie verschiedener S-Bahnen.

Link:
Die Stadtbahn wird teurer (Illustrierte Kronen Zeitung vom 18. Oktober 1917)

Alte Ansicht der Draubrücke in Villach im Jahr 1916
Villach 1916: Brückensicherungsanlage an der Draubrücke, Südansicht; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 19. Oktober veröffentlichte das Fremdenblatt den ersten Teil einer kurzen Feuilleton-Serie über "Kärnten im Kriege", in der in über den Kriegsalltag unter anderem in Villach berichtet wurde (der Bericht über Klagenfurt erschien am 12. Oktober 1917, siehe dort).

Zwar wurde ein propagandistischer Ton angeschlagen, aber zwischen den Zeilen wird das Grauen des Krieges sichtbar: "Zu später Abendstunde treffen wir in Villach ein. Nach dem lebhaften militärischen Getriebe auf dem Bahnhof mutet uns die Stille der nächtlich ausgestorbenen, in tiefes Dunkel gehüllten Stadt fast unheimlich an und wir glauben plötzlich den Krieg in der Luft zu spüren, wie er mit gespenstischen, weit ausgebreiteten Armen nach allem Lebenden langt. Mit den Strahlen der Sonne, die sich leuchtend über den Bergen erhebt, weicht jedoch der Druck, der sich lähmend unser bemächtigt hatte, und über den Mitternachtsspuk triumphiert das geschäftige Leben der erwachenden Stadt."

Link:
Bilder aus Kärnten im Kriege (Fremden-Blatt vom 12. Oktober 1917)

Verordnung betreffend der Einführung von Kartoffelkarten
Verordnung betreffend der Einführung von Kartoffelkarten, Wien im Oktober 1917; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 20. Oktober berichtete das Neue 8 Uhr Blatt von der Rationierung des Kartoffelverkaufs. Diese Rationierung regelte die Abgabe auf Märkten und Verkaufsstellen, damit unter anderem "das Übel des Anstellens… dadurch entwurzelt werden" sollte. Mit dem "Übel" waren vor allem die Konflikte zwischen den sich anstellenden Personen und Polizeiorganen gemeint, die den Verkauf zu überwachen hatten: "Konflikte mit den Sicherheitsorganen waren an der Tagesordnung, deren Wirkung sich nicht selten in der strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung der beteiligten Personen äußerte."

So ein Fall, der sich am Eugenmarkt (heute Viktor-Adler-Markt) abspielte, wurde am 20. Oktober 1917 am Wiener Landesgericht verhandelt: Am 14. März entstand gemäß der Anklage "auf dem Eugenmarkte im zehnten Bezirk beim Kartoffelkauf ein arger Rummel, weil die Abgabe wegen Mangel an Vorrat eingestellt werden musste. Etwa 3000 Personen, die leer ausgingen, gaben ihrem Unmut laut Ausdruck. Ein Teil drängte gegen Absperrketten der Sicherheitswachleute, wobei sich die Beschuldigte besonders hervortat. Sie schlug mit ihrer leeren Einkaufstasche heftig um sich und traf den Wachmann Mahringer auf den Helm. Der vom Kopfe flog. Als Mahringer die Frau abwehrte, schlug sie ihn mit der Tasche ins Gesicht. Wachmann Gebauer, der dem bedrängten Kollegen zu Hilfe kam, wurde von der Frau mit Fäusten bearbeitet und am rechten Auge leicht verletzt. Gebauer zog den Säbel zu seinem Schutze, dann wurde die Frau arretiert. Auf dem Wege zur Wachstube harangierte sie die Menge mit Zurufen."

Im Verlauf der Verhandlung wurde die vierfache Mutter, die sich 6 Stunden lang von 2 Uhr bis 8 Uhr in der Früh vergeblich angestellt hatte, zwar von der Anklage der öffentlichen Gewalttätigkeit freigesprochen, jedoch wegen tätlicher Wachebeleidigung zu zehn Tagen Arrest verurteilt. Aufgrund der Umstände wurde der Angeklagten aber Strafaufschub gewährt und ihr ein "Majestätsgesuch um Nachsicht" in Aussicht gestellt.

Link:
Gerichtssaal. Beim Anstellen um Kartoffeln. Ein Marktrummel und seine Folgen (Neues 8 Uhr Blatt vom 20. Oktober 1917)

Wiener Fiaker auf der Fahrt
Ein Wiener Fiaker auf der Fahrt vom Stephansplatz in Richtung Stock im Eisen Platz, 1914; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Auf Seiten der Wirtschaft sahen sich vor allem Unternehmen mit geringer militärischer Relevanz während des Ersten Weltkrieges vor erhebliche Herausforderungen gestellt. So unter anderem die Wiener Fiakergenossenschaft, die auch für "Autotaxis" zuständig war. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit sowie der hohen Preise für Pferdefutter und Benzin sah sie den Fuhrwerksbetrieb vor dem wirtschaftlichen Ruin.

Der Futtermangel wäre laut Fiakergenossenschaft mit Einschränkungen für "wirkliche Luxuspferde" zu lösen gewesen, während der Benzinmangel auf die Eigentümer der damals 657 Privatautos in Wien zurückgeführt wurde, die unberechtigterweise Treibstoff bezogen: "So aber müssen die meisten Fahrzeuge animalischen und motorischen Betriebes in Schuppen und Garagen unbenützt stehen und die Zweimillionenstadt hat kein Personenfahrwerk außer der Elektrischen."

Im Zuge der Versammlung stellten die Fiaker fest, dass "nur mehr der gütige Landesvater" helfen könne und baten deshalb den Bürgermeister darum, "dieser soll die verzweifelte Lage des Fiakergewerbes dem Monarchen zur Kenntnis bringen."

Fiaker (der Begriff leitet sich aus dem Französischen ab, da sich in der Rue de Saint Fiacre der erste Standplatz für Lohnkutschen in Paris befand) waren seit dem Jahr 1693 in Wien als alltägliches, wenn auch luxuriöses Verkehrsmittel, unterwegs. Gab es um 1900 etwa 1000 Wägen, sind es heute noch circa 100, die in erster Linie als Touristenattraktion dienen.

Link:
Die Wiener Fiaker vor dem wirtschaftlichen Ruin (Neuigkeits Welt Blatt vom 21. Oktober 1917)

Ansicht von Leoben um 1900
Leoben um 1900; © Gemeinfrei

Der herannahende Winter, eine für den Herbst typische "nasskalte Witterung", die gepaart mit der kriegsbedingten medizinischen Unterversorgung Erkrankungen begünstigte, sowie die anhaltende Rohstoffknappheit prägte die Lokalberichterstattung der steirischen Presse Ende Oktober 1917. Das Grazer Tageblatt berichtete am 22. Oktober in gleich zwei Fällen aus dem steirischen Kohlebergbau:

In den in Ilzer Kohlebergwerken blieben täglich bis zu 40 Bergarbeiter von der Arbeit fern "da sie zum Teile selbst an der Ruhr erkrankt sind, zum Teile Ruhrkranke in ihrer Familie haben." Aufgrund der Ausbreitung der Ruhr wurden laut Grazer Tagblatt um 2000 Meterzentner Kohle (circa 100.000 Kilo) weniger abgebaut. Als Grund für den Anstieg der Erkrankungen wurde das kriegsbedingte Fehlen einer ausreichenden medizinischen Versorgung verantwortlich gemacht.

Die unmittelbaren Folgen aus dem sinkenden Kohleabbau spürten laut der Zeitung unter anderem auch die Volksschüler in Leoben: "Der Kohlenmangel machte sich schon jetzt in den Schulen unangenehm bemerkbar. Trotz der naßkalten Witterung wurde das Volksschulgebäude nicht geheizt, woraus sich die starke Krankheitsziffer unter den Schulkindern erklärt. Nun wird die Mädchenschule in der Knabenschule untergebracht, so daß nur die Beheizung der einen Hälfte des Schulgebäudes notwendig sein wird. Dies hat aber die Einführung des Halbtagsunterrichtes zur Folge."

Resignierend schloss das Grazer Tagblatt: "Ist es denn wirklich nicht einmal in Leoben, das ja auf der Kohle steht, möglich, die für das Schulgebäude notwendige Kohle aufzubringen?"

Links:
Kohlenförderung und Ruhr (Grazer Tagblatt vom 22. Oktober 1917)
Schule und Kohlennot (Grazer Tagblatt vom 22. Oktober 1917)
Weiterlesen: Peter Kiesswetter, Kohle im Ilzer Revier 1799-1964

Gerichtlicher Lokalaugenschein auf einer Dampflokomotive
Der Lokalaugenschein des Strafgerichtes Innsbruck; © Neuigkeits Welt Blatt vom 23. Oktober 1917

Am 23. Oktober 1917 berichtete das Neuigkeits Welt Blatt von einem außergewöhnlichen Strafprozess. Am Strafgericht in Innsbruck hatten sich ein Lokomotivführer und ein Heizer wegen schwerer Körperverletzung zu verantworten, da sie während einer Betriebsfahrt einen Eisenbahnbediensteten überfahren hatten, der den Folgen seiner schweren Verletzungen erlag.

Schien vor Verhandlungsbeginn das schuldhafte Verhalten der beiden Angeklagten festzustehen, nahm der Prozess einen für damalige Zeiten ungewöhnlichen Verlauf: Der Verteidiger verlangte erfolgreich einen Lokalaugenschein und eine gemeinsame Fahrt des gesamten Gerichtshofes auf der Unglückslokomotive, um festzustellen, ob die beiden Angeklagten an dem Unfall tatsächlich schuldig gewesen seien.

Über die Entscheidung des Strafgerichts schrieb das Neuigkeits Welt Blatt: "Der Antrag wurde angenommen und das Dreirichterkollegium, der Staatsanwalt und der Verteidiger befuhren auf der Lokomotive die Unfallstelle. Auf Grund des Ergebnisses des Lokalaugenscheins wurden beide Angeklagte freigesprochen."

Link:
Der Gerichtshof auf der Lokomotive (Neuigkeits Welt Blatt vom 23. Oktober 1917)