Am 13. Dezember veröffentlichte das Interessante Blatt ein Foto von einer Konzerttournee der beiden aus Österreich stammenden Mitglieder des Ensembles der Wiener Hofoper Selma Kurz und Leo Slezak, sowie des deutschen Komponisten Richard Strauß. Selma Kurz stammte aus einer armen jüdischen Familie aus dem damals österreichisch-schlesischen Biala (heute Bielsko-Biala in Polen); ein Gönner finanzierte ihr im Alter von 16 Jahren ein Gesangsstudium in Wien. 1899 engagierte sie Gustav Mahler an die Wiener Hofoper, die zu ihrem Stammhaus wurde. Sie sang an vielen internationalen Bühnen, beendete ihre Karriere 1929 und starb 1933 in Wien, wo ihr ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof gewidmet wurde. Heute erinnert die Halban-Kurz-Straße in Wien-Liesing an Selma Kurz.
Die Wiener Hofoper, ab 1918 Staatsoper, war auch Leo Slezaks Stammhaus. Der in Mährisch-Schönberg geborene und bis heute bei Opernliebhabern populäre Slezak, stammte – so wie auch Selma Kurz – aus armen Verhältnissen. Im Sommer 1914 hielt sich der imposante Sänger, der 1,95 Meter maß und 150 Kilo wog, zu einem Gastspiel in Russland auf. Um einer Internierung zu entgehen, musste er das Land fluchtartig verlassen. In den 1920er und 1930er Jahre drehte er zahlreiche Filme, die wegen seiner politischer Haltung während des Nationalsozialismus verboten wurden. Heute erinnert die Leo-Slezak-Gasse im Wiener Bezirk Währing an Slezak, und auch in München und Berlin sind Straßen nach ihm benannt.
Während des Weltkrieges konnten sich Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Österreich-Ungarns abseits der verbündeten Staaten, ohne in Gefahr zu laufen interniert zu werden, nur in angrenzenden neutralen Staaten bewegen. Unter diesen Ländern befanden sich die Niederlande, die aber auch an den Folgen des Weltkrieges zu leiden hatten: Lebensmittel waren knapp, sodass Lebensmittelkarten eingeführt werden mussten, um auch die etwa 25.000 Flüchtlinge aus Belgien versorgen zu können, die der deutschen Invasion zum Opfer gefallen waren. Wie in Österreich, wurde im November 1918 auch in den Niederlanden zur Revolution aufgerufen; im Gegensatz zu Österreich allerdings erfolglos.
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Deutsche Künstler in Holland (Das interessante Blatt vom 13. Dezember 1917)
Das Versorgungssystem der Donaumonarchie war 1914 nicht auf einen Krieg vorbereitet, sodass es bereits zu Kriegsbeginn zu Versorgungsengpässen kam. Der Mangel an Mehl, Fleisch, Kartoffeln, aber auch an Kleidung, stand auf der Tagesordnung und verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr. Da die Armee Leder für militärisches Schuhwerk requirierte, mangelte es auch an Schuhen. So wurde die Frage der "Volksbeschuhung" immer drängender. Für ärmere Bevölkerungskreise blieb oft nur mehr altes Schuhwerk, das in "Retablierungswerkstätten" geflickt wurde, um wieder für einige Zeit zu funktionieren. Neue Schuhe, oft mit Holzsohlen, waren nur von minderwertiger Qualität.
Über das Problem wurde auch im Wiener Rathaus beraten, worüber am 14. Dezember berichtet wurde: "Man gewinnt aus den Referaten über die bisher eingeleiteten und durchgeführten Aktionen die Überzeugung, daß alles, was möglich ist, geschieht, um die ärmste Bevölkerung mit Schuhen zu beteilen, wobei man annehmen darf, daß die bessersituierten Schichten mit Schuhwerk genügend versorgt sind. Von Luxus darf natürlich keineswegs die Rede sein."
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Die Schuhnot (Wiener Allgemeine Zeitung vom 14. Dezember 1917)
Im Dezember 1917 standen die österreichisch-ungarischen Truppen in Oberitalien, was die zeitgenössischen Zeitungen dazu veranlasste nicht nur Fotos der Kriegshandlungen zu veröffentlichen, sondern auch solche von den architektonischen Schönheiten des Landes. In diesem Zusammenhang stellte Michelangelo Baron Zois am 15. Dezember 1917 in der Karnisch-Julischen Kriegszeitung neben einem Foto eines italienisch anmutenden Renaissance Hofes die Frage "Was kann ich sehen?": "Jeder, der diese Überschrift liest, dann die Bilder sich ansieht, wird einen Augenblick stutzen – und dann, in der Architektur italienischen Einfluß erkennend, sein Gedächtnis durchforschen, um sich zu erinnern, wo nur in schon in Welschland er diesen Bau gesehen." Es handelt sich um das Schloss Porcia in Spittal an der Drau in Kärnten.
Tatsächlich zählt das Schloss Porcia zu den schönsten Rennaisancebauten nördlich der Alpen. Es wurde ab 1534 errichtet uns steht heute im Eigentum der Gemeinde Spittal, die es 1951 erwerben konnte und für die Öffentlichkeit zugänglich machte. Heute befindet sich im Gebäude unter anderem das Museum für Volkskultur.
Michelangelo Baron Zois 1917: "Oberkärnten, das an Italien angrenzt, zeigt mancherlei Bauten, die den Einfluß des stammesfremden Nachbarn deutlich zeigen. Schon in Malborghet" (das nach dem Ersten Weltkrieg an Italien abgetreten wurde) "stehen zwei Häuser, Nr. 7 und der Gasthof Schnablegger, die mit ihren Portalen, Doppelfenstern und Arkaden ganz italienisch anmuten. In Villach mehreren sie sich – und haben wir hier etliche Häuser in der Widmanngasse, das 'Hotel zur Post', das Gemeindehaus, das Schloß Martenegg und andere, die diesen Einfluß aufzeigen."
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Was kann ich sehen? (Karnisch-Julische Kriegszeitung vom 15. Dezember 1917)
Am 16. Dezember 1917 wurde über die Ankunft des populären schwedischen Forschers und Abenteurers Sven Hedin in Wien berichtet. Hedin kam direkt von der italienischen Front, wo er den österreichisch-ungarischen Truppen einen Besuch abgestattet hatte. Sven Hedin, der im Wiener Nobelhotel "Bristol" Quartier bezog hatte, berichtete von seinem Besuch ganz im Sinne der kaiserlichen Militärpropaganda: "Ich hatte während meiner kurzen Reise an der Südwestfront unter anderem auch Gelegenheit, vom Monte San Gabriele aus einen Überblick über das Kampffeld, wo österreichisch-ungarische Truppen mit bewundernswürdiger Zähigkeit und Tapferkeit dem Ansturm der italienischen Übermacht trotzten, zu gewinnen."
Beindruckt von den Leistungen des schwedischen Polarforschers Adolf Erik Nordenskjöld, strebte der junge Sven Hedin seit seiner Kindheit eine ähnliche Karriere an. Tatsächlich gelang es ihm nach Erlernen verschiedener Sprachen Entdeckungsreisender zu werden. Seine Reisen führten ihn vor allem nach Zentralasien und Persien. Im ersten Weltkrieg nahm Hedin, der durch seine Reiseberichte zu Berühmtheit gelangt war, offen Partei für Deutschland und Österreich-Ungarn. Kaiser Franz-Joseph als auch Kaiser Wilhelm gewährten ihm zahlreiche Audienzen. Durch seine offene Parteinahme für Deutschland und Österreich-Ungarn verlor Sven Hedin allerdings bei den Kriegsgegnern der Mittelmächte sein Renommee und wurde aus wissenschaftlichen Gesellschaften der Entente Staaten ausgeschlossen.
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Sven Hedin über die glänzende Lage der Zentralmächte (Neues Wiener Journal vom 7. Dezember 1917)
Am 17. Dezember 1917 wurde vor gefälschten "Ersatzmitteln" gewarnt. Da durch die Kriegswirtschaft viele in der Vorkriegszeit selbstverständliche Produkte nicht mehr erhältlich waren, musste die Zivilbevölkerung immer öfter mit Ersatzprodukten vorliebnehmen. Getreide wurde mit Kartoffelmehl gestreckt, und als auch Kartoffel kontingentiert wurden, kam Mais- oder sogar Holzmehl zum Einsatz. Kaffee-Ersatz bestand aus einer Mischung aus Bucheckern, Eicheln und Kastanien, und Tabak wurde mit verschiedenen Kräutern und getrocknetem Laub gestreckt. Leinenstoff wurde durch Brennessel- oder Papierfasern ersetzt, und statt Leder zu verwenden, wurden Schuhsohlen aus Holz produziert.
Diese Situation, die bis auf wenige Ausnahmen die breite Masse der Bevölkerung betraf, wurde immer wieder von Schwindlern ausgenützt, die minderwertige Lebensmittel falsch deklarierten und verpackten, oder Lebensmittel mit wertlosen Zutaten verfälschten. Im konkreten Fall, von dem am 17. Dezember berichtet wurde, ging es um Suppenwürze: "Zu den beliebtesten dieser Ersätze gehören die Suppenwürfel, die fast in allen Fällen aus gefärbtem Kochsalz bestehen. Dieses gefärbte Salz, mit Sand verunreinigt, bildet die Kümmelwürfel der Nährmittelwerke Karolinental, die nicht ganz fünf Gramm schwer, um sechs Heller verkauft werden, sodaß die Herrschaften für ein Kilogramm Kochsalz zwölf Kronen einnehmen." (Umgerechnet etwa 70 Euro).
Karolinental (auf Tschechisch Karlin) ist ein Außenbezirk Prags, in dem ab 1817 zahlreiche Fabriken und Arbeitersiedlungen entstanden. Karlin ist heute ein Prager Trendviertel, das auch als das tschechische Silicon Valley bezeichnet wird.
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Schwindel mit "Ersatz"-Mitteln (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 17. Dezember 1917)
Im Ersten Weltkrieg wurden die österreichischen Truppen an der galizischen Nordostfront im Kampf gegen Russland von 2 türkischen Divisionen unterstützt. Für die im vornehmlich polnisch und ukrainisch besiedelten Galizien freundlich aufgenommenen verbündeten Truppen wurden zu ihrer Versorgung im Hinterland Spitalsbetten, oft in eigenen "Türken-Abteilungen", bereitgestellt. Die ersten dieser Sanitätsstationen befanden sich in Nitra und Trencin (heute in der Slowakischen Republik) sowie in Pardubitz und Olmütz (heute in der Tschechischen Republik). Zusätzlich wurden in Wien und Budapest Rekonvaleszenten-Abteilungen für genesende türkische Soldaten errichtet. Das "Kaiserlich Ottomanische Kriegsministerium" entsandte damals etwa 40 Unteroffiziere nach Österreich-Ungarn, die ihre Landsleute vor allem als Übersetzer unterstützten. Aufgrund des für das Osmanische Reich ungünstigen Kriegsverlaufes erfolgte aber bis zum Jahresende 1917 die Repatriierung der überlebenden türkischen Soldaten: "Von 33.000 Mann, die Istanbul im Jahre 1916 verlassen hatten, um in Galizien zu kämpfen wird vermutet, dass bis zu 25.000 Mann in Galizien gefallen waren. Es kehrten ungefähr 8.000 Mann in die Heimat zurück." (Barbara Seiss, Die osmanischen Truppen im Ersten Weltkrieg an der Galizien-Front).
Im Neuigkeits Welt Blatt vom 1. August 1916 berichtete Hans Kerschbaum, kriegspropagandistisch verklärt, über die Ankunft der osmanischen Soldaten in Galizien. Sein Artikel enthält aber auch eine Prophezeiung des legendären wandernden ukrainischen Volkssängers und Wahrsagers Wernyhora, der im 18. Jahrhundert lebte. Seine Prophezeiung sollte sich 1918 tatsächlich erfüllen, allerdings ganz anders, als es sich die Monarchie vorgestellt hatte: "Heute kommen die Türken als Freunde, als Bundesgenossen und das polnische Volk erinnert sich heute eines Wortes, das Wernyhora, der prophetisch begabte ukrainische Bauer, vor mehr als hundert Jahren gesprochen: 'Gdy turek konia w Dniestrze napoi Polska powstanie – Wenn der Türke sein Pferd im Dnjestr tränkt, wird Polen auferstehen.'"
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Türkische Truppen an unserer Nordostfront (Neuigkeits Welt Blatt vom 1. August 1916)
Weiterlesen: Die osmanischen Truppen im Ersten Weltkrieg an der Galizien-Front (PDF)
Aufgrund der allgemeinen Versorgungsnotlage in den letzten Kriegsjahren fehlte es der Bevölkerung nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch an ganz allgemeinen Dingen. Im September 1917 erfolgte die Rationierung von Petroleum und Kerzen, die nur mehr gegen Petroleum- und Kerzenkarten abgegeben wurden. Diese Rationierung betraf vor allem ärmere Bevölkerungskreise, die in ihren Wohnungen kein Gas bezogen und deshalb auf Petroleum angewiesen waren.
Am 19. Dezember 1917 berichtete die Österreichische Volks-Zeitung, dass Christbaumkerzen aus Stearin gar nicht mehr zur Verfügung stünden, und solche aus Wachs nur mehr zu sehr hohen Preisen, sollten sie nicht gerade ausverkauft sein. Waren Kerzen sowieso nur mehr mit Kerzenkarten verfügbar, schränkten viele Geschäfte ihre Verfügbarkeit weiter ein, indem der Kauf von Kerzen an Bedingungen geknüpft wurde: So waren Kerzen in der Vorweihnachtszeit oft nur zusammen mit Süßigkeiten oder Christbaumschmuck erhältlich, und am traditionellen Wiener Christkindlmarkt am Platz am Hof wurden an manchen der wenigen Ständen nur bis zu 2 Kerzen pro Käuferin oder Käufer abgegeben.
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Keine Christbaumkerzen. Mißstände auf dem Weihnachtsmarkt. Hohe Preise für komplette Bäume. (Oesterreichische Volks-Zeitung vom 19. Dezember 1917)
Weiterlesen: Alltag in Wien: Die Stadt steht Schlange
Am Vormittag des 20. Dezember 1917 fand die Versteigerung des in der Wiener Skodagasse gelegenen und 1914 errichteten Stadttheaters statt. Neuer Eigentümer wurde Wilhelm Karczag, der bereits das Theater an der Wien und das Raimundtheater erfolgreich als Operettenbühnen betrieb – unter Karczags Führung erlebte die Operette in Wien eine ihrer Glanzzeiten. Dementsprechend schrieb das Neuigkeits Welt Blatt am Tag der Übernahme des Theaters: "Der neue Eigentümer wird – 'natürlich' kann man sagen – daraus ein Operettentheater machen, weil die Operette das Wiener Theaterleben nahezu souverän beherrscht." Der Operettenbetrieb konnte aber nicht sofort aufgenommen werden, da der "schrullenhafte" Zuschauerraum in "seinen Grautönen" erst adaptiert werden sollte: "Man nannte das Theater vielfach 'Badewanne' oder 'Kriegsschiff.'"
Das Theater wurde 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht als "Rex-Theater" genutzt; später fanden dort Fernsehaufzeichnungen des Österreichischen Rundfunks statt. Als in den 1960er Jahren das Wiener Theatersterben einsetzte, wurde das Stadttheater 1961 abgerissen und durch ein Studentenheim ersetzt, in dem sich bis 2003 auch das "Haus des Buches" befand (heute die Wiener Hauptbücherei am zentral gelegenen Neubaugürtel). Wilhelm Karczags Name lebt aber weiter, da ein Weg in Wien-Hietzing und eine Gasse in Wien-Donaustadt nach ihm benannt sind.
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Versteigerung des Wiener Stadttheaters (Neuigkeits Welt Blatt vom 20. Dezember 1917)
1917 wurde der 50. Jahrestag der Dezemberverfassung sowie des österreichisch-ungarischen Ausgleichs begangen, mit dem das Kaisertum Österreich verfassungsrechtlich in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn umgewandelt wurde. In der österreichischen Reichshälfte traten die Regelungen des Ausgleichs mit der Publikation der Dezemberverfassung am 21. Dezember 1867 in Kraft. Dem 50. Jahrestag dieses Ereignisses widmete die neue Freie Presse ihren Leitartikel auf der Titelseite.
In dem Text findet sich aber auch ein Verweis auf den niederösterreichischen Ort Kleinneusiedl: "Dem ehemaligen Finanzminister Kraus schrieb man das Wort zu, in Klein-Neusiedl, wo die Papiergulden verfertigt wurden, sei das Kalifornien des Grafen Belcredi." Tatsächlich befand sich in Kleinneusiedl eine 1790 gegründete Papierfabrik, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zur größten Papierfabrik Kontinentaleuropas aufstieg. Der Erfolg der Papierfabrik beruhte unter anderem auf dem staatlichen Privileg Banknoten (Papiergulden) und Wertpapiere herstellen zu dürfen. Der Vergleich der niederösterreichischen "Geldpresse" mit Kalifornien beruhte auf dem Goldrausch im "Golden State", wie der offizielle Beiname Kaliforniens bis heute lautet. Dieser Goldrausch war der den Menschen um 1867 noch in guter Erinnerung. Der Regierungschef, der den Ausgleich 1866/1867 verhandelte, und dem die damit zusammenhängenden weitreichenden budgetären Folgen bewusst waren, war Richard Belcredi. Allerdings trat Belcredi vor Beendigung der Verhandlungen zurück, da er erkannt hatte, dass die Verweigerung eines Ausgleichs auch für die slawischen Völker der Monarchie der erste Schritt zum Zerfall des Staates war.
Die Stilllegung der Papierfabrik in Kleinneusiedl erfolgte 1932. Heute kann man noch Teile der spätbarocken Fabriksanlage, darunter das dreigeschoßige Fabriksgebäude aus dem Jahre 1795, frühere Arbeiterwohnhäuser, den Werkskanal und den verwilderten ehemaligen Fabrikspark mit einigen Steinskulpturen besichtigen.
Links:
50 Jahre Verfassung und Ausgleich (Neue Freie Presse vom 21. Dezember 1917)
Weiterlesen: 2431-Klein-Neusiedl, Papierfabrik. Foto-Seite
Die katholische Kirche spielte in Österreich während der Herrschaft der Habsburger eine wichtige, oft staatstragende und gesellschaftlich fast unbestrittene Rolle. Während des Ersten Weltkrieges stellte sie sich hinter die Regierung und unterstützte die Armee mit zahlreichen Feldgeistlichen. In anderen Ländern verhielt es sich allerdings ähnlich: die französische Kirche sah die Chance gegen das protestantische Deutschland vorzugehen, in Deutschland war es genau umgekehrt, während im mehrheitlich katholischen Bayern sogar der damalige Kardinal Faulhaber in den Krieg ziehen wollte.
Umso erstaunlicher mutet eine kleine Episode aus dem niederösterreichischen Horn an, über die am 22. Dezember 1917 berichtet wurde: "Wir erinnern uns noch, daß ein früherer Stadtpfarrer einmal einen Lehrer, der nicht niederkniete, als er einen Versehgang verrichtete, arg verbögelte und mit der Schädigung in seiner beruflichen Stellung bedrohte. Damit hat es nun sein Ende!" Ein ähnlicher Fall hatte sich nämlich im Verlauf des Jahres 1917 in Eger (heute Cheb in der Tschechischen Republik) zugetragen, wo ein Lehrling, der sich weigerte seine Kappe abzunehmen, zu 5 Tagen Haft verurteilt worden war. Der Lehrling berief und bekam Recht. In der Begründung für die Urteilsaufhebung hieß es, "daß es allerdings richtig sei, daß der Versehgang, das Tragen der Hostie auf der Straße eine kirchliche Handlung darstelle, eine religiöse Übung bedeute, das Entblößen des Hauptes sei aber eine Teilnahme an dieser und nach den Staatsgrundgesetzen könne niemand zu einer religiösen Handlung bzw. Teilnahme an derselben gezwungen werden." Voll des Lobes stellte die Österreichische Land-Zeitung abschließend fest: "Und es ist gut so, denn ein Glaubenszwang ist zu verwerfen und zu bekämpfen." (Hervorhebung im Original)
Eine christliche Friedensbewegung sollte erst nach Ende des Weltkrieges entstehen, denn kirchliche Stimmen, die sich für den Frieden einsetzten waren leise, wurden von den verschiedenen Kriegsparteien verworfen und oft sogar als defätistisch kritisiert. Sogar der konsequent pazifistische Papst Benedikt XV, der den Krieg als "unnützes Blutvergießen" bezeichnete und zahlreiche Friedensinitiativen unternahm, stieß in den kriegsführenden Staaten auf taube Ohren. Seine Bemühungen für den Frieden wurden allerdings schon unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs beispielsweise in Istanbul mit einem Denkmal im Stadtteil Harbiye gewürdigt, für das sogar der osmanische Sultan spendete.
Links:
Religiöses Gefühl und Glaubenszwang (Österreichische Land-Zeitung vom 22. Dezember 1917)
Weiterlesen: Papst Benedikt XV. und das "unnütze Blutbad"