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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

Briefträgerin in Wien Beim Ausheben eines Postkasten auf der Linken Wienzeile 1917
Briefträgerin in Wien bei dem Ausheben eines Postkastens auf der Linken Wienzeile 1917; © Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Am 23. Dezember 1917 erschien das Gedicht "Weihnachtsabend 1917":

"Frau Zehetmayer, die Briefträgerin
War niemals große Wunschhegerin,
Von ihrem Beruf auch nicht sehr entzückt,
Doch Zehetmayer war eingerückt.

Da hätt' sie gerne für ihre Marianne
Grad' heuer eine richtige Weihnachtstanne,
Geputzt mit Nüssen, Äpfeln und Lichtern,
Mit Zuckerwerk, Lebkuchengesichtern,
Engeln und Ketten, mit Rosen und Flitter,
Darüber ein Gold- und Silbergezitter,
Mit Wurstel, Puppe und Spielzeug ohn' End —
Kurz, was man bei uns einen Christbaum nennt.

Sie hat auch nach vielen ruh'losen Stunden
Etwas Fichtenähnliches endlich gefunden,
Denn Müh' muß am End' sich treulich belohnen
Um lumpige, schäbige neuneinhalb Kronen,
Ohne Kreuz natürlich, doch war es zu loben,
Daß das alte von früher sie aufgehoben.
Mein Gott, der Aufputz, er war nicht billig,
Doch der Kaufmann war gnädig und mehr als willig,
Er ließ ihr — weil sie 'ne Amtsperson —
Von Zuckerln gleich einen ganzen Karton.
Papiere war'n da, die Ketten gesponnen,
Geflochten die gold'nen und silbernen Sonnen,
Die Lichter waren zwar nicht zu haben,
Doch dafür alte im Kasten begraben.
Kurz, alles nach Wunsch fast, die Puppe, das Häubchen,
Sogar ein lebendiges Turteltäubchen
Und als Schönstes unten ins Christbaummoos
Ein herrlicher Wurstel, fast lebensgroß.

Wie freut sich die Mutter, daß alles gelungen,
Daß sie sogar die Wuch'rer bezwungen
Und mitten in knappesten Elendstagen
Den Kriegsgewinnern ein Schnippchen geschlagen...

Das Christkind läutet nach Mariandl,
Die gerade die Puppe badet im Wandl...
Im Zimmer steht wie ein Friedenstraum
Ein licht erstrahlender Tannenbaum,
Wie Kindesauge ihn stets ersehnt,
Am Baum der riesige Wurstel lehnt.
Zur Mutter eilt sie mit vielen Küssen,
Greift dann nach den Äpfeln,
Greift dann zu den Nüssen,
Besieht, beguckt, begreift und hascht,
Dann Kindermündchen begierig nascht.
"Wie schön und wie gut, das liebe Hauberl
Und da noch das herzige graue Tauberl
Und ein Wurstel, größer noch als im Prater,
Doch Mutter sag mir: Wo ist der Vater?"

Frau Zehetmayer, die Briefträgerin
Hat sonst einen festen, trotzigen Sinn.
Zwar viel gelang ihr in Kriegsnottagen,
Dem Kinde konnt' sie kein Schnippchen schlagen..."

Frauen, deren Ehemänner Militärdienst an der Front leisteten, erhielten zwar staatliche Unterhaltszahlungen, die aber kaum zum Überleben ausreichten. Deshalb sahen sich viele von ihnen gezwungen ehemals männlich dominierte Berufe zu übernehmen. Frauen arbeiteten in zahlreichen Berufen, die vor 1914 Männern vorbehalten waren, darunter als Briefträgerinnen, Straßenbahnfahrerinnen, Schaffnerinnen und Straßenarbeiterinnen. In der Rüstungsindustrie betrug die tägliche Arbeitszeit für Arbeiterinnen bis zu 13 Stunden, wobei diese Arbeiterinnen oft nicht einmal die Hälfte des Lohnes eines Mannes erhielten, da sie für weniger leistungsstark gehalten wurden. Nach dem Krieg wurde den Frauen für ihren Einsatz kaum gedankt, und überlebende Männer kehrten auf ihre ehemaligen Arbeitsplätze zurück.

Adelheid Popp, eine Vorkämpferin für Frauenrechte und eine der ersten weiblichen Abgeordneten der Ersten Republik, stellte im März 1918 fest: "Als Männerersatz haben die Frauen überall Verwendung gefunden, wo menschliche Arbeit gebraucht wird. Schweres und Unmenschliches haben die arbeitenden Frauen im Krieg erduldet. Die hergebrachten Redensarten aber von der Frau, die ins Haus gehöre, könnte man endlich aufgeben."

Links:
Weihnachtsabend 1917 (Sport und Salon vom 23. Dezember 1917)
Weiterlesen: Ein kriegsnotwendiges Gastspiel – Erwerbstätigkeit von Frauen im Ersten Weltkrieg

Christbaumverkauf auf der Wiener Freyung
Christbaumverkauf auf der Wiener Freyung (Blick von der Herrengasse), Datierung: 24. Dezember 1917; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Von Kriegsmüdigkeit gezeichnet berichtete die Wiener Allgemeine Zeitung am Heiligen Abend des Jahres 1917 vom "kargen Christbaum":

"Der Verzicht begann heuer schon sehr, sehr früh. Vor Monaten. Denn schon, als die diversen vorsorglichen Hausfrauen den noch fernen, aber kindlich heiteren Schimmer der Weihnachtskerzen, an des Christbaums gewohnten zarten Flitterschein dachten, stellte sich Frau Sorge ein, die jetzt die treueste Begleiterin der Hausfrauen ist. Mit mehr als einer Frage. Zunächst: Wie erhält man überhaupt Weihnachtskerzchen? Und womit schmückt man jenen grünen Baum der Nächstenliebe, jenes alte Symbol des schönsten Festes, der Stille und des Strebens, gegenseitiger Wünsche zu erraten, Verlangen zu stillen?...

Für die Erwachsenen, wenigstens solange diese keine Familienväter oder -Mütter sind, mag dieser Kasus ja nebensächlich erscheinen. Nicht so für Eltern und Kinder. Einem höchst dürftigen Nikolaus folgt so ein sehr abgezehrter und ärmlicher Weihnachtsmann auf den Fersen. (...) Im allgemeinen aber kann man heuer sehr wohl von einem dunklen Weihnachtsbaum sprechen.

In seinem Schatten aber wird es da und dort gleichfalls ziemlich trist aussehen. Kinderspielzeug ist ein Luxusgegenstand geworden, und wieder sind es viele, viele junge und jüngste Mitbürger, die sich noch an reichlichere heilige Abende erinnern können und die den jetzigen staunend und bedauernd nicht recht begreifen werden können. Wieder heißt es, auch bei diesem Kapitel, der Region unter dem Christbaum: Verzichten, an sich halten, Geduld haben! Die drei großen Schlachtrufe des Hinterlandkrieges."

Resignierend schließt der Redakteur, der nur als "u" identifiziert wird: "Den Kindern wird man bald eine nette Weihnachtsgeschichte erzählen können, die das weniger splendide Christkindl entschuldigt. Den Großen braucht man heute nichts mehr zu erzählen..."

Link:
Der karge Christbaum (Wiener Allgemeine Zeitung vom 24. Dezember 1917)

Frauen leisten Schwerarbeit im Kiesbergbau
Frauen leisten Schwerarbeit im Kiesbergbau, Großfragant in den Hohen Tauern um 1916; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Der Weltkrieg befördertet die politische Emanzipierung der Frauen Österreichs, die im Hinterland – zumeist schlecht bezahlt – die Aufgaben der Männer übernommen hatten. Einer ihrer wortgewaltigsten Unterstützer war der Gastwirt der Wiener Praterwirtschaft "Winzerhaus", Leopold Blasel, der auch als Schauspieler und Theaterdirektor wirkte, und von 1912 bis 1918 sozialdemokratischer Bezirksvorsteher der Wiener Leopoldstadt war.

Am 25. Dezember 1917 forderte Blasel in einem leidenschaftlichen Leserbrief an die Neue Freie Presse das aktive und passive Frauenwahlrecht. Er verwies in seinem Text mit dem Titel "Die Frau nach dem Kriege" insbesondere auf die erfolgreiche Übernahme früher männlich dominierter Berufe durch Frauen während des Krieges und auf deren nicht nur aus diesem Grund ungerechtfertigten Ausschluss von politischen Ämtern und Vereinen:

"Die Frau darf und kann – das hat sie ja zur Genüge bewiesen – alle Funktionen im wirtschaftlichen Leben ausfüllen, aber trotzdem bleibt ihr zum Beispiel das hohe Amt eines Armen- oder Bezirksrates verschlossen, vom Gemeinderat oder Reichsrat gar nicht zu sprechen, ja selbst einem politischen Verein dürfen Frauen nicht angehören. Sie dürfen nicht einmal mitberaten über die Auswahl jener Männer, die über ihr Wohl und Wehe entscheiden, die sie in der Öffentlichkeit vertreten sollen, und darüber, wie sie sie zu vertreten haben. Es erscheint vollkommen ausgeschlossen, dass nach dem Kriege dieser Ausschluß der Frauen von der öffentlichen Verwaltung fortbestehen bleibt, und man wird wohl nicht umhin können, auch diesen Miterhaltern des Staates das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren. Wenn die Frau schon in Folge ihrer Natur schwerer an den Pflichten trägt als der Mann, sollten ihr wenigstens die gleichen Rechte eingeräumt werden." (Hervorhebungen im Original)

Siehe dazu auch den Beitrag vom 23. Dezember 1917.

Link:
Die Frau nach dem Kriege (Neue Freie Presse vom 25. Dezember 1917)

Neujahrskarte der Feuerwehr der Marktgemeinde Kaltern
Neujahrs-Entschuldigungskarte der Feuerwehr der Marktgemeinde Kaltern (heute in Südtirol, Italien), 1912; © Ferdinandeum Innsbruck, gemeinfrei

Rechtzeitig vor dem Neujahrsfest veröffentlichte der Feldkircher Anzeiger am 26. Dezember 1917 das "Verzeichnis jener p. t. Abnehmer von Neujahrs-Entschuldigungskarten in Feldkirch, welche sich durch die Lösung dieser Karten von jeder Gratulation in Feldkirch enthoben erachten, speziell aber erklären, keine Karten in Costo zu versenden noch zu erwidern."

Neujahrsentschuldigungskarten, die von Gemeinden und freiwilligen Feuerwehren produziert und verkauft wurden, befreiten von der Pflicht, Verwandten, Freunden, Geschäftsfreunden, Kollegen, Vorgesetzten und anderen Bekannten Neujahresbesuche abzustatten beziehungsweise Neujahrsglückwünsche im Postweg zu übermitteln. Indem man diese Karten gut sichtbar in die Fenster stellte, zeigte man Hausierern, die gerne am Neujahrstag um Spenden anklopften, dass man bereits gespendet hatte. Der Hauptzweck dieser Karten war aber ein sozialer: Durch den Verkauf von Neujahrs-Entschuldigungskarten wurden vor allem Sozialprojekte unterstützt, etwa Armenausspeisungen oder der Ankauf von Brennholz für Armenhäuser. Die Spender wurden durch den Kauf von Entschuldigungskarten nicht nur von "lästigen" Neujahrspflichten entlastet, sondern durch die publikumswirksame Veröffentlichung ihrer Namen in der lokalen Presse geehrt.

Neujahrs-Entschuldigungskarten wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert in Österreich-Ungarn und Bayern, später auch in ganz Deutschland, aufgelegt. Der Brauch hielt sich bis in die 1930er Jahre und wurde erst während des Nationalsozialismus 1936 zugunsten des Winterhilfswerks verboten, in Österreich endete dieser Brauch 1938.

Nach 80 Jahren wurde der Brauch der Neujahrs-Entschuldigungskarte in Innsbruck wiederbelebt, wo sie seit 2016 für soziale Zwecke wieder zum Kauf angeboten werden.

Links:
Verzeichnis der Abnehmer von Neujahrs-Entschuldigungskarten in Feldkirch (Feldkircher Anzeiger vom 26. Dezember 1917)
Weiterlesen: Die Neujahrs-Entschuldigungskarte 2017

Die Wiener Filmindustrie im Kriege: Bekannte Bühnenkünstler im Film
Die Wiener Filmindustrie im Kriege: Bekannte Bühnenkünstler im Film; © Das interessante Blatt vom 27. Dezember 1917

Auf einer Collage, die das Interessante Blatt am 27. Dezember 1917 veröffentlichte, sind zahlreiche Künstlerinnen und Künstler zu sehen, die von der Bühne zum Film wechselten: "1. Leopoldine Konstantin im Detektivdrama' Eine Nacht in der Stahlkammer'; 2. Olga Desmond (x) im Drama 'Die Grille'; 3. Erika v. Wagner und Erwin Baron im Film 'Der Treubruch', 4. Fräulein Stollberg, Franz Glawatsch und Dora Kaiser im Propagandafilm für den Kaiserin Zita-Fonds 'Das Kind meines Nächsten'; 5. Georg Reimers und Lotte Medelsky im Film 'Das Kriegspatenkind'; 6. Die ungarischen Künstler Lilly Berky und Michael Fekete im Filmdrama 'Die letzte Nacht'; 7. Dora Kaiser, Gisella Werbezirk und Fräulein Jellin im Film 'Das Kind meines Nächsten'; Lona Schmidt im Film 'Das zweite Leben'; 9. Mia May in 'Die Liebe der Hetty Raymond'; 10. Szenenbild aus dem Film 'Der Verschwender' mit Mary Marchal (Hofoper); 11. Rita Sachetto als 'Pierrot'; 12. Liane Haidt und Wilhelm Klitsch im 'Verschwender'; 13. Poldi Müller im Wiener Kongreßfilm."

Kinofilme der Kriegsgegnerstaaten Österreich-Ungarns, insbesondere die der Filmgroßmächte der damaligen Zeit Frankreich und Italien, wurden im Ersten Weltkrieg in Österreich nicht gezeigt. Der Krieg bot dem Habsburgerreich daher die Gelegenheit zur Förderung der eigenen Filmproduktion. Das Interessante Blatt: "Der Krieg hat das Blatt gewendet. Die französischen Marken wurden ausgeschaltet, dann die italienischen, die skandinavischen und die deutschen mußten wegen der hohen Valuta zurückgesetzt werden. Die Nachfrage war aber die gleich rege geblieben und so entwickelte sich auf dem hiesigen Markte auch die Kino-Industrie immer mehr, so daß die Nachfrage durch das Anbot schließlich ausgeglichen werden konnte. In kurzer Zeit hat die österreichische Kino-Industrie ganz Hervorragendes geleistet und sie wird nach dem Kriege gewichtig in die Konkurrenz gegen ausländische Firmen treten können."

Tatsächlich entwickelten sich in der Nachkriegszeit die Wiener Rosenhügel Studios rasant, während im Stadtzentrum Wiens in der Neubaugasse das "Filmviertel" entstand, das bis 1938 Bestand hatte. Dort befand sich rund um das Künstler-Café Elsahof, heute ein Lebensmittelsupermarkt, in fast jedem Haus eine Filmproduktionsfirma, eine Agentur oder ein Verleihunternehmen.

Link:
Theater, Film und Varieté. Bekannte Bühnenkünstler im Film (Das interessante Blatt vom 27. Dezember 1917)

Die weihnachtlichen Schneeverwehungen in Wien
Die weihnachtlichen Schneeverwehungen in Wien; © Neuigkeits Welt Blatt vom 28. Dezember 1917

Nach mehreren Jahren gab es 1917 im Osten Österreichs bis weit nach Ungarn wieder weiße Weihnachten. Schon am 24. Dezember begann es in Wien heftig zu schneien. "Schnee fiel in reicher Fülle und besonders am Stephanitag abends senkten sich ganze Wolken aus Schneestaub nieder, als ob man oberhalb unserer Gegenden Mehl aus vollen Säcken ausschütten würde" (Deutsches Volksblatt vom 28. Dezember).

Das Schneechaos erreichte nach einem "Blizzard" in der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember seinen Höhepunkt: "Es war ein seltsames, ganz ungewohntes Bild, das sich am heutigen Morgen den Wienern bot: in den Straßen lagen ganze Wellen aufgehäuften feinpulverigen trockenen Schnees, die vom nächtlichen Sturm derart zusammengeweht worden waren, daß eine Passage schlechterdings unmöglich erschien." Wie gelegentlich auch in der Gegenwart, führte der Schnee auch damals zu einer Überlastung des öffentlichen Verkehrs: "Auf der Stadtbahn fuhr der Zug, der um 7 Uhr 4 Minuten fällig war, erst um ½ 9 durch die Strecke. Die Bahnsteige der Stadtbahnstationen waren von hunderten Menschen überfüllt und, als er ankam, konnte er wegen Platzmangels keinen Fahrgast mehr aufnehmen. Dutzende Menschen standen auf den Trittbrettern oder hingen an den Puffern." Einzelne Zeitungen berichteten, dass Fahrgäste sogar auf den Dächern der Straßenbahnen mitfuhren.

Um dem seit 1901 intensivsten Schneefall in Wien beizukommen, wurden Straßenbahnen kurz geführt und das so freiwerdende Personal für die Schneeräumung eingesetzt. Außerdem kamen am Vormittag des 28. Dezember alle verfügbaren vierspännigen Pferde-Schneepflüge, 3000 Soldaten und etwa noch einmal so vielen Zivilpersonen, darunter zahlreiche Frauen und Jugendliche, zum Einsatz. Am Samstag dem 29. Dezember beteiligten sich nach einem Aufruf von Bürgermeister Weißkirchner sogar mehr als 15.000 Menschen als Schneeräumer.

Link:
Ein "Blizzard über Wien" (Neuigkeits Welt Blatt vom 28. Dezember 1917)

Der Philologe und Sprachpfleger Gustav Wustmann
Der Philologe und Sprachpfleger Gustav Wustmann, Aufnahme vor 1910; © Gemeinfrei

Am 29. Dezember 1917 fühlte sich das Linzer Volksblatt dazu berufen auf den richtigen Umgang mit dem Wort "erübrigen" hinzuweisen: "Im Gebrauche dieses Wortes herrscht eine derartige Verwirrung, daß die Feststellung von Richtig und Unrichtig sehr am Platze erscheint. Der bekannte Wustmann gibt in dieser Frage wie in so vielen anderen gute Auskunft. Er schreibt: Ein großartiges Beispiel dafür, welche Verwirrung durch überflüssige und halbverstandene Neubildungen angerichtet werden kann. Erübrigen war bisher ein transitives Zeitwort und bedeutete so viel wie sparen, zurücklegen: 'ich habe mir schon ein hübsches Sümmchen erübrigt.' Das hat man neuerdings angefangen, intransitiv zu gebrauchen in dem Sinne von übrig bleiben: 'es erübrigt noch, besonders darauf hinzuweisen' usw. [...] Noch andere endlich machten das Wort in der zweiten Anwendung zum Reflex und schrieben: 'die Ratschläge, deren Wiedergabe sich erübrigt.' [...] In solchen Quatsch gerät man, wenn man vor lauter Modenarrheit zwei guten, deutlichen Ausdrücken wie übrig bleiben und überflüssig sein aus dem Wege geht."

Während das Wort "erübrigen" bis in die Gegenwart seine ursprüngliche Bedeutung "einsparen, übrig behalten" beibehalten hat, hat sich daneben laut Duden auch der "Quatsch" des Jahres 1917 – also "überflüssig sein" (sich erübrigen) – durchgesetzt.

Gustav Wustmann, Philologe und Sprachpfleger aus Leipzig, auf den sich das Linzer Volksblatt damals berief, veröffentlichte 1891 ein Buch mit dem Titel "Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen". Dieser Bestseller erschien bis 1908 in mehreren Auflagen und wurde 2008 als Reprint neuerlich aufgelegt.

Links:
"Erübrigen" und "sich erübrigen" (Linzer Volksblatt vom 29. Dezember 1917)
Weiterlesen: Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen

Ein amerikanischer Fünftonnen-Lastwagen mit Schneepflug
"Ein amerikanischer Fünftonnen-Lastwagen mit Schneepflug"; © Allgemeine Automobil-Zeitung vom 4. Februar 1917

Winterausfahrten im Schnee waren in der Frühzeit des Automobilismus alleine schon aus technischen Gründen und wegen der mangelhaften Schneeräumung alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Eine Möglichkeit Überlandfahrten im Winter zu unternehmen war daher die Anbringung eines Schneepflugs an der vorderen Stoßstange des Fahrzeugs.

Am 30. Dezember 1917, als große Schneemengen das östliche Österreich bedeckten, wurde im Deutschen Volksblatt die Montage eines Schneepflugs an einem Automobil – bezeichnenderweise auf der Sport-Seite – erläutert: "An einem besonderen, fest mit dem Rahmen des Kraftwagen verbundenen Stahlrohrgestell sind zwei pflugartige Schaufeln derartig befestigt, daß diese den Schnee beiseiteschiebenden Schaufeln unmittelbar vor die beiden Vorderräder zu stehen kommen. Allerdings machen diese Schaufeln infolge der starren Verbindung mit dem Wagenrahmen die Steuerbewegungen der Vorderräder bei Kurven nicht unmittelbar mit. Die Schneeräumer selbst sind aus Stahl; unter den Schaufeln befindet sich noch ein besonderes stählernes Laufrad, das die Stöße von den Schaufeln fernhält, die durch Steine und sonstige Unebenheiten der Straße sonst zerstörend auf die Schneeräumer einwirken würden. Dadurch ist auch bei verhältnismäßig rascher Fahrt ein ruhiger und sicherer Lauf der Vorrichtung gewährleistet."

Links:
Schneeräumer für Kraftwagen (Deutsches Volksblatt vom 30. Dezember 1917)
Weiterlesen: Die automobile Gesellschaft. Vom Aufstieg und Niedergang einer Utopie (PDF) 

Soldat reitet auf einem Schwein
„Auch ein Glücks-Schweinchen!“; © Österreichische Illustrierte Zeitung vom 30. Dezember 1917

Die Neujahrsartikel in den österreichischen Zeitungen waren am 31. Dezember 1917 von Friedenssehnsucht geprägt. Tatsächlich schien das Ende des Krieges wegen des Waffenstillstands und der Friedensverhandlungen mit Russland in Brest-Litowsk in greifbarer Nähe: "Doch im vierten Kriegs-Sylvester rückt der Frieden uns viel näher, und das alte Wort wird Wahrheit: 'Aus dem Osten kommt Erleuchtung!' Ja, im Osten wird sie aufgeh'n, die ersehnte Friedenssonne, die dann 1918 wohl die ganze Welt bescheinet. Dieses Friedens Morgenröte ist im Osten aufgeleuchtet, wo man Schüsse einst gewechselt, wechselt man jetzt frohe Wünsche. Frohsinn, Heiterkeit und Friede herrscht jetzt in den Schützengräben und die wetterharten Krieger treiben jetzt Sylvesterscherze. Nicht mehr zwischen Tod und Leben schweben jetzt die tapfern Helden, in dem heurigen Sylvester sind sie zwischen Krieg und Frieden. Mit dem alten Jahre werden wir wohl auch den Krieg begraben und der heurige Sylvester sei der letzte dieses Krieges."

Link:
Sylvester 1917 (Illustrierte Kronen Zeitung vom 31. Dezember 1917)

Wien, Gaswerk Simmering um 1910
Wien, Gaswerk Simmering um 1910; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am Neujahrstag 1918 erschütterte ein mysteriöser Mordfall die Öffentlichkeit. Tags zuvor war im Wiener Gaswerk Simmering der 15jährige Arbeiter Karl Chalupka mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden worden. Die Illustrierte Kronen Zeitung berichtete: "Die grausige Tat erschien dadurch noch scheußlicher, daß der Körper des Ermordeten eine grässliche Verstümmelung aufwies. Als man die Leiche näher besichtigte fand man, daß aus dem rechten Oberschenkel ein Stück Fleisch in der Ausdehnung von etwa 27 Zentimeter Länge und etwa 12 Zentimeter Breite, das bis fast auf den Knochen mitsamt der Haut herausgeschnitten war. Das Stück Fleisch fehlte und muß vom Täter mitgenommen worden sein." Manche Zeitungen spekulierten sogar, dass sich der Täter das Fleisch für einen Braten herausgeschnitten habe.

Die Obduktion ergab, dass Karl Chalupka tatsächlich erst nach seinem Tod verstümmelt worden war. Der junge Mann hatte in der Nacht von 29. auf 30. Dezember zwar dienstfrei, ging aber trotzdem an seinen Arbeitsplatz, um dort zu übernachten. Den Ermittlungen zufolge war dies damals nichts Ungewöhnliches: Viele der insgesamt 900 Beschäftigten des Gaswerks zogen einen warmen Schlafplatz im Ofenhaus des Gaswerks ihren oft ungeheizten Quartieren vor. Der Kreis der Verdächtigen – 400 Zivilarbeiter und 500 Kriegsgefangene – war groß. Auf die Verhaftung des Täters wurde eine Belohnung von 500 Kronen ausgesetzt, was der heutigen Summe von etwa 2.500 Euro entspricht (berechnet nach dem Wert der Vorkriegs-Krone).

Links:
Die Bluttat im Simmeringer Gaswerk (Illustrierte Kronen Zeitung vom 1. Jänner 1918)
Weiterlesen: Gaswerk Simmering