Am 11. Juli 1918 berichtete das Neuigkeits-Weltblatt über das 700. Jubiläum des Prämonstratenser-Stifts im oberösterreichischen Schlägl. Das Stift entstand aus einem ehemaligen Zisterzienserkloster, das unter dem Namen "Slage" bekannt war und – wohl wegen harten klimatischen Verhältnissen im damaligen Mühlviertel – von den Zisterziensern nach wenigen Jahren aufgegeben wurde. Im Juli 1218 traten die Prämonstratenser Chorherren ihre Nachfolge an:
"Viel Segen stifteten die Schlägler Chorherren im Volk der Gegend, das sie allezeit hochschätzte, durch Seelsorge, Unterricht und charitatives Wirken. Mancher der Pröpste lebt in der Geschichte des Stifts als kraftvoller Regenerator fort, und mit stolzer Genugtuung können der gegenwärtige Abt Norbert Schachinger, der auch die Würde eines Generalabts der Prämonstratenser innehat, und die Stiftsherren das Jubiläum des Hauses begehen, das freilich in eine schwere Zeit fällt. Im ganzen zählt Stift Schlägl jetzt 43 Mitglieder, die auf neun Stiftspfarren und drei Benefizien rund 22.000 Seelen zu pastorieren haben. Als Theologieprofessor wirkt ein Chorherr von Schlägl, als Gymnasialprofessor sind zwei tätig. Aus Anlaß des Jubiläums sind von den Chorherren Dr. Evermod Hager und Florian Krinzinger mehrere Publikationen verfaßt worden, die das Stift herausgegeben hat und die ein knappes Bild der lang umstrittenen Zugehörigkeitsgeschichte, der Wirksamkeit im verflossenen Jahrhundert des Stiftsbestands und der künstlerischen Schätze dieses Ordenshauses bieten. In voller Lebenskraft ist Stift Schlägl, dessen Hauptbesitz ausgedehnte, gut bewirtschaftete Forste bilden, ins achte Säkulum seinem segensreichen Bestands getreten und seine Chorherren werden wohl dauernd seinen alten Ruhm forterhalten zu Nutz und Frommen der gläubigen Bevölkerung in seinem Bereich."
Heute ist Stift Schlägl der geistliche Mittelpunkt des oberen Mühlviertels und spielt auch eine wirtschaftlich wichtige Rolle, nicht zuletzt wegen der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten und geschätzten Brauerei, die bereits seit 1580 besteht.
Links:
Die weißen Chorherren von Maria-Slag. 700 Jahre Bestand des österreichischen Prämonstratenser-Stifts Schlägl (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 11. Juli 1918)
Weiterlesen: 800 Jahre Stift Schlägl. Vom Gestern ins Heute.
Am 12. Juli berichtete Neuigkeits-Welt-Blatt von der Interaktion zwischen den noch neuartigen Flugapparaten und Vögeln:
"Daß, die gefiederten Bewohner der Lüfte, die Vögel aller Gattungen, ihre neuesten Kameraden im Luftmeer, die Flugzeuge, im allgemeinen keineswegs mit Mißtrauen anzusehen scheinen, konnte man schon oftmals beobachten und namentlich die kleineren Tiere zeigen beim Erscheinen des lärmenden Riesenvogels mehr Neugierde als Angst. So konnte erst dieser Tage im Herzen Wiens, oberhalb des Stephansturms, wo mehrere Flieger kreisten, um Werbezettel für die achte Kriegsanleihe abzuwerfen, beobachtet werden, wie die Schwalben neugierig um die Apparate herumflogen und sie sozusagen begleiteten."
Weitaus ernster war aber ein der Vorfall in ungefähr 700 Meter Flughöhe tags zuvor, der sich zwischen einem österreichischen Postflugzeug am Weg von Budapest nach Wien und einem Adler ereignete:
"Der Adler suchte sich der Flugzeugmaschine, die mit einer Geschwindigkeit von 120 Kilometer in der Stunde flog, von der Seite zu nähern. Infolge des durch die Maschine hervorgerufenen starken Luftdrucks gelang ihm dies jedoch nicht. Der Adler machte hierauf kehrt und flog direkt auf den Propeller zu. Der Propeller köpfte den Adler, der, zu Tode getroffen, in die Tiefe stürzte."
Link:
Flugzeug und Adler! Ein merkwürdiges Abenteuer auf der Flugstrecke Budapest-Wien (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 12. Juli 1918)
Am 13. Juli 1918 befasste sich die Floridsdorfer Zeitung mit der Abmagerung der Bevölkerung, die vor allem in den Städten ganz offensichtlich war. Führte man die Gewichtsabnahme ursprünglich auf die mangelnde Versorgung mit Fett zurück, überraschte der Münchner Arzt Adolf Theilhaber mit einer neuen Erklärung und machte für die erschreckende Abmagerung das heute als "Vollkornbrot" bekannte Gebäck hauptverantwortlich:
"Auffallend ist, daß die große Abmagerung bei der Mehrzahl der Leute am Anfang des dritten Kriegsjahres zugleich mit zahlreichen Darmstörungen auftrat, und daß beide Erscheinungen mit einer erhöhten Ausmahlung des Brotgetreides zusammenfielen. Diese Ausmahlung, die im Frieden 65 Prozent betrug, stieg 1917 auf 94 Prozent. Das hat offenbar die Zunahme der Darmbeschwerden zur Folge gehabt. Je stärker das Korn ausgemahlen ist, desto mehr von der Schale, die das Getreidekorn umgibt und die einen Holzfaserstoff enthält, ist dem Brote beigemischt. Diese Schalenteile durchwandern bei kräftigen jüngeren Leuten ohne Schaden den Verdauungskanal, dagegen entsteht bei alten und schwächlichen oder empfindlichen Leuten durch die feinen Holzteilchen eine Reizung der Schleimhäute des Darmes. Die Folgen sind Schmerzen, Koliken, sowie die Symptome eines Darmkatarrhs. Durch dessen Folgen wird die Aufsaugung des Speisebreies teilweise gehemmt. Nach alter Erfahrung vermindern Darmkatarrhe das Körpergewicht und den Kräftezustand. Es ist also nicht auffallend, daß die durch Kornschalen hervorgerufenen Reizzustände des Darmes die Abmagerung verstärken. Der Forscher selbst machte folgendes Experiment: Sein Körpergewicht war von Anfang August 1916 bis November 1917 um 32 Pfund zurückgegangen. Von da ab aß er gar kein Schwarzbrot mehr, er lebte ohne Fleisch und mit sehr geringen Mengen Fett. Trotzdem nahm sein Gewicht jeden Monat um drei bis fünf Pfund zu. Uebrigens aßen schon im Frieden die Vegetarier ein Brot, das auch die Kornschalen enthielt. Schon damals fand man unter ihnen viele auffallend magere Gestalten."
Noch 1919 befasste sich Theilhaber mit dieser Thematik, etwa im Text "Das Kriegsbrot und das Vollkornbrot", der im Magazin "Vegetarische Warte" erschien. Theilhaber lag offenbar richtig, wie aktuelle Studien (beispielsweise im American Journal of Clinical Nutrition) belegen. Deshalb werden Vollkornprodukte heute auch gerne im Zusammenhang mit Abmagerungskuren konsumiert.
Links:
Die Abmagerung im Kriege (Floridsdorfer Zeitrung vom 13. Juli 1918)
Weiterlesen: Der Vollkorn-Vorteil. Kalorien sparen, aber gleich viel essen.
Die Freien Stimmen berichteten vor hundert Jahren über die Geschichte des österreichischen Tierschutzes. Die ersten Schritte hin zu einem umfassenden Tierschutz wurden mit der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts unternommen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden erste Tierschutzvereine. Der Tierschutz machte sich bald auch in der Gesetzeslage bemerkbar, so wurde die "öffentliches Ärgernis erregende Tierquälerei" am 8. November 1847 gesetzlich untersagt, wobei die Tatbestandsmerkmale der Öffentlichkeit und des Ärgernissen im Jahr 1893 wegfielen. 1895 entstand die erste österreichische Tierrettung, 1 Jahr darauf wurde das erste Tierheim eröffnet. Hand in Hand mit dem Tierschutz verbreitete sich auch der Vegetarismus: 1908 entstand etwa die International Vegetarian Union unter österreich-ungarischer der Beteiligung.
Während des Krieges rückte der Tierschutzgedanke zwar in den Hintergrund, verschwand jedoch nicht völlig aus der öffentlichen Debatte:
"Der Tierschutzverein für Kärnten hat in seiner Ausschußsitzung am 9. Juli das jüngst beschlossene Verbot des Käfer- und Schmetterlingfanges seitens Jugendlicher vom Standpunkte des Tier-, als auch des Flurenschutzes freudig begrüßt, nur wünscht er, daß dieses Verbot auch auf das Fischen im See und umliegenden Gewässern ausgedehnt werde. Jedem Tierfreund tut es im Herzen weh, wenn er das Treiben unverständiger und im Fischfange unerfahrener Jungen […] mitansehen muß. Die Fischwasserbesitzer werden gebeten, im Interesse des Tierschutzes, aber auch zu ihrem eigenen Vorteile solch jugendlichen Fischern das Handwerk zu legen. Volle Befriedigung löste die Mitteilung aus, daß die Heeresverwaltung in den besetzten Gebieten Oberitaliens energische Maßnahmen gegen den dort üblichen Massenmord an nützlichen Vögeln ergriffen hat; weniger erbaut ist die Vereinsleitung über die neuerlich ungeordnete Ablieferung von Hunden ans Militär zu Transportzwecken. Der Hund ist nun einmal seinem Körperbau nach nicht zum Zugtiere geschaffen. Seine Verwendbarkeit in Sanitätsdiensten jedoch wird nach wie vor voll anerkannt."
In der Ersten Republik erlebte der Tierschutzgedanken eine Wiederbelebung und ab 1925 wurde das "nicht-menschliche" Haustier zum ersten Mal auch eingeschränkt Rechtssubjekt.
Links:
Der Tierschutzverein für Kärnten (Freie Stimmen vom 14. Juli 1918)
Heute vor 100 Jahren: Hundesteuer (8. Juni 1918)
Heute vor 100 Jahren: Pferde im Weltkriege (28. März 1918)
Weiterlesen: Die Geschichte der Tierrechtsbewegung
Im letzten Kriegsjahr erreichten Mangelwirtschaft und Inflation einen vorläufigen Höhepunkt und führten auch zu Konflikten über die von der Friseurgenossenschaft festgelegten Preiserhöhungen für Friseurleistungen. Am 15. Juli veröffentlichte die Neue Wiener Friseur-Zeitung deshalb einen "Vermittlungsvorschlag" für den 12. Wiener Gemeindebezirk, "da ja die örtlichen Verhältnisse so verschiedenartig sind, daß ein halbwegs gleichmäßiger Preis nicht durchführbar ist":
"Was aber heute verlangt werden muß, ist, daß jeder einzelne die gegenwärtigen Verhältnisse in Betracht ziehen und für seine Arbeitsleistung so viel verlangen muß, um halbwegs sein Auskommen zu finden, ohne jede Hungerkur. Der heute noch um 20 bis 30 Heller arbeitet, gehört ins Irrenhaus, denn an dessen Zurechnungsfähigkeit muß gezweifelt werden […] Und die 'Kleine österreichische Volks-Zeitung' vom Sonntag den 26. Mai ergeht sich unter der alarmierenden Ueberschrift 'Die Kriegsluxussteuer der Köpfe', in folgenden Auslassungen: Die verteuerte Glatze. – Rasieren: 1 Krone 50 Heller. – 500 Kronen für eine Straßenperücke. 1000 Kronen für 'falsche Haare'. — Die Zwangslage des Friseurgewerbes. 'Du gehst zum Friseur? Vergiß die Brieftasche nicht.' Das Wort wird jetzt zur Parole werden. Der angekündigte Kriegstarif der Wiener Friseure ist Tatsache geworden. Wien, die Stadt, in der seit jeher der 'nettfrisierte' Kopf zu den Hauptbedingungen des männlichen und weiblichen 'Auftretens' in der Gesellschaft gehörte, ist um eine 'Reform' bereichert: Der 'nette Kopf' ist 'Kriegsluxus' geworden, wer nicht 'wie ein Wilder' herumlaufen will, muß Rekordpreise bezahlen. In sämtlichen Frisier- und Rasierläden ist neuerlich eine neue Kundmachung der Genossenschaft angeschlagen, die eine förmliche 'Preisrevolution' der alten, übrigens im Kriege schon mehrmals erhöhten Gebühren bedeute! Der neue Tarif enthält nicht weniger als 50 einzelne Posten, davon 12 für 'Herrenbedienung', 11 für 'Haarersatzteile' und 27 für 'Damenbedienung'. Abgesehen von den neuen Kriegspreisen, ist auch die hier wenig bekannte Mannigfaltigkeit der einzelnen 'Eingriffe' und Haarkünste interessant, die im Tarif aufgezählt werden und fortan ihre speziellen Einzelhonorare finden sollen. Sollen! Denn in der Praxis wird es nicht jedem Friseur möglich sein, die vorgeschriebenen Tarifsätze auch bei der Kundschaft, die ja vielfach selbst schwer – ebenso wie die Friseure – mit der Not der Zeit zu kämpfen hat, 'einbringlich' zu machen."
Der "Vermittlungsvorschlag" sah daher die Einführung eines niedrigeren Mindesttarifs vor, der es einzelnen Friseuren ermöglichte gegebenenfalls auch den höheren Genossenschaftstarif zu verrechnen. Die vorgeschlagenen Mindesttarife lauteten: "Rasieren 60 h [Heller], Haarschneiden 1 K [Krone], Rasieren, Frisieren und Bartausziehen 1 K, Frisieren allein 60 h, Schnurbart stutzen 60 h, Kinderhaarschneiden nur mit Ausnahme von Samstagen, Sonntagen und Feiertagen 60 h." Die Krone hatte einen Vorkriegswert von etwa 5,5 Euro, der 1918 auf nur mehr 50 Cent gefallen war, was aber durch die kriegsbedingte Isolierung Österreich-Ungarns erst nach dem Krieg, dann aber dramatische Auswirkungen hatte.
Link:
Ein Vermittlungsvorschlag. Unterbreitet am 12. Juni 1918 in der Sitzung der Freien Meister-Vereinigung des XII. Bezirkes (Neue Wiener Friseur-Zeitung vom 15. Juli 1918)
Mitte Juli führten heftige Gewitter in der Steiermark im Tal der Feistritz zwischen Anger und Birkfeld zu Hochwasser, Verwüstungen und zu Verlusten im Viehbestand. 100 Soldaten und zahlreiche Arbeiter wurden in das Notstandsgebiet verlegt, wo in der Nacht auf den 16. Juli zahlreiche Wohnungen und Häuser evakuiert werden mussten:
"Großen Schaden verursachte das Unwetter in den Gemeinden Gschaid bei Birkfeld, Weiglhof, Außeregg und Weißenegg. Mehrere Brücken wurden weggeschwemmt, darunter die sogenannte Gallerbrücke und die Hollarschbrücke. Bei Koglhof wurden von der Eisenbahnbrücke zwei Pfeiler weggerissen, deren Wiederherstellung längere Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Die in Birkfeld befindliche Lokomotive kann daher nur den Verkehr bis Koglhof bei Anger besorgen. Für den weiteren Anschluß, der durch Umsteigen bewerkstelligt werden könnte, ist keine Maschine vorhanden, da die in Weiz dringend einer Ausbesserung bedarf. Den Postverkehr zwischen Weiz und Birkfeld vermittelt ein von der Militärbauabteilung in Feldbach beigestellter Kraftwagen. Beim Stegmüller, zwei Kilometer von Anger, ist das Hochwasser in die Mühle eingedrungen und hat großen Schaden angerichtet […] Mehrere Stück Vieh sind durch das Hochwasser zugrunde gegangen. Auf der Alm bei der Weizklamm wurden bei dem am Sonntag nachts niedergegangenen Gewitter drei Ochsen und zwei Pferde vom Blitz erschlagen."
Heute sind die Orte im Tal der Feistritz, die damals durch das Unwetter schwer beeinträchtigt wurden, beliebte Ausflugsziele mit Museen, einem "Klangtunnel", einer Sommerrodelbahn und sogar mit einer Schokoladenmanufaktur, während die Weizklamm den ambitionierteren Wanderern und Kletterern vorbehalten bleibt.
Links:
Das Hochwasser in Anger – Birkfeld (Grazer Tagblatt vom 16. Juli 1918)
Weiterlesen: Ausflugsziele in der Gemeinde Birkfeld
Am 17. Juli 1918 Jahren berichtete die Neue Zeitung über die Aufdeckung des Scheckbetrügers Josef Kleinfinger in der Filiale einer Großbank in der Wiener Inneren Stadt:
"Eine ganz eigenartige Betrugssache hat das Polizeikommissariat Innere Stadt eben zum Abschlusse gebracht. Es handelt sich um die Herauslockung einer Summe von 103.000,- Kronen [50.817,- Euro] mittels gefälschter Schecks durch einen jungen Kontoristen. […] Am 8.d.M. erschien in der Wechselstube einer hiesigen Großbank ein junger Mann und legte einen Scheck einer Kaffee-Importfirma, der auf 21.602,- Kronen [10.659,- Euro] lautete, zur Auszahlung vor. Der Beamte sah den Scheck an und fand, daß er bedenklich erscheine. Ohne seine Bedenken zu äußern, ging er vom Schalter weg, als ob er den Scheck einlösen wollte; heimlich aber ging er in das anstoßende Bureauzimmer und fragte von dort aus durchs Telephon bei der betreffenden Firma an […] Er erhielt die erwartete Auskunft, daß ein Betrug vorliege und daß der Präsentant des Schecks sofort angehalten werden möge; der Scheck habe ursprünglich auf 1.602,- Kronen [790,- Euro] gelautet und sei auf den höheren Betrag gefälscht worden […] Da stellte sich heraus, daß der junge Mann in den letzten fünf Monaten auf gleiche Weise bei der Stadtfiliale einer anderen Großbank, bei der seine Firma auch ein Depot hat, 79.000,- Kronen [38.976,- Euro] und bei einer dritten Großbank auch auf den Namen der Firma 24.000,- Kronen [11.840,- Euro] zu Unrecht behoben hat."
Überraschend war Kleinfingers Motiv:
"Man fand aber bei ihm einen Briefwechsel, der Licht in die Sache brachte. Aus der beschlagnahmten Korrespondenz ging hervor, daß Kleinfinger seit längerer Zeit mit dem 23jährigen Partieführer für Bahnbau Rudolf Flieger, Hernals, Sautergasse 13 wohnhaft, sträfliche Beziehungen unterhielt. Den größten Teil der Beute hat Kleinfinger ihm zugewendet. Er überhäufte ihn mit Geschenken, die nicht nur in Bargeld, sondern auch in Schmuckgegenständen, feinen Likören, edelsten Weinen und so weiter bestanden."
Erstaunlich ist, dass die damaligen Zeitungen die vollständigen Namen und Adressen der handelnden Personen veröffentlichten – heute undenkbar. Ursprünglich wurde auch Rudolf Flieger verhaftet, der aber nichts von den Machenschaften seines Lebensgefährten wusste. Am 27. Februar 1919 endete der Prozess gegen Kleinfinger, der von einem Geschworenengericht zu zehn Monaten schweren Kerkers verurteilt wurde. Die Schuldfrage hinsichtlich des "Sittlichkeitsverbrechens" wurde allerdings mit neun von 12 Stimmen verneint – Homosexualität blieb in Österreich aber bis 1971 strafbar, letzte Sondergesetze wurden erst 2002 vom Verfassungsgericht aufgehoben.
Link:
Der Scheckfälscher und sein "Freund" (Neue Zeitung vom 17. Juli 1918)
"Essen und Trinken, das muss der Mensch immer!" Gastronomen könnten sich eigentlich immer sicher sein, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, ausreichend Nachfrage zu haben. Allerdings führte die Mangelwirtschaft des Ersten Weltkriegs dazu, dass Gastwirte ihre Gäste nicht mehr versorgen konnten. 1918 spitzte sich die Lage zu und es kam zu massenhaften Schließungen von Gasthäusern:
"Die täglich zunehmenden Schwierigkeiten der Versorgung der Gasthäuser mit Lebensmitteln haben in Wien einen Umfang angenommen, der viele Inhaber zur zeitweiligen oder dauernden Sperrung ihrer Betriebe nötigt. Nach einer in der vorigen Woche vorgenommenen Schätzung betrug die Zahl der infolge Mangels jeglicher Vorräte sowie infolge der Unmöglichkeit genügenden Einkaufes geschlossenen Wiener Gasthäuser insgesamt hundert. Diese Ziffer hat sich innerhalb weniger Tage verdoppelt, und die Befürchtung ist berechtigt, daß eine weitere, ziemlich rasche Zunahme erfolgen wird."
Doch nicht nur die Mangelwirtschaft sorgte für Frust und Verdruss bei den Gastwirten, sondern auch gesetzliche Verordnungen. So trat etwa im Februar 1918 die "Verordnung über die Verköstigung außerhalb des Haushaltes" in Kraft, die die Ausgabe von Speisen und Getränken pro Gast beschränkte. Auch die zwangsweise Abgabe von Metallen brachte manche Gastronomen in Bedrängnis, da etwa Zinnleitungen zum Ausschank von Bier benötigt wurden.
Links:
Sperrung von 200 Wiener Gasthäusern (Linzer Tages-Post vom 18. Juli 1918)
Heute vor 100 Jahren: Beschlagnahme von Lebensmitteln in Gast- und Kaffeehäusern (5. Februar 1918) Heute vor 100 Jahren: Requisition von Zinnröhren in Gasthäusern (26. Februar 1918)
Vor hundert Jahren ereignete sich ein tragischer Unfall im Dianabad im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Ein Brüderpaar aus Konstantinopel ertrank und wurde erst nach Auslassen des Wassers am Beckengrund gefunden:
"Wie berichtet, sind vorgestern im Dianabad nach Entleerung des Schwimmbassins auf dem Grunde die Leichen zweier Badegäste gefunden worden. Sie dürften während das Bad im vollen Betriebe war ertrunken sein […] Es sind zwei Brüder, der 33jährige Kaufmann Vitale Haim Gambasch und der 19jährige Abraham Gambasch. […] Die Brüder, große Freunde des Wassers, waren vorgestern gegen 5 Uhr nachmittags ins Bad gekommen. Es wird angenommen, daß sie ohne sich recht abgekühlt zu haben ins Wasser sprangen, bei der herrschenden großen Hitze von einem Unwohlsein befallen wurden und ertranken. Badegäste sagen aus, daß der Schwimmmeister aufmerksam gemacht wurde, daß jemand ins Wasser gesprungen und nicht mehr zum Vorschein gekommen sei. Der Schwimmeister soll daraufhin das Bad mit Stangen abgesucht aber nichts gefunden haben. Er hielt einen Unfall für ausgeschlossen und meinte noch beruhigend: 'Da schwimmt gerade wieder jemand heraus, der untergetaucht ist…!' Die Badegäste beruhigten sich und niemand dachte mehr an den Zwischenfall. Erst als dann am Abend das Wasser des Bassins abgelassen wurde, fand man die beiden Leichen."
Was heute verwunderlich erscheint, dass nämlich 2 Leichen bei vollem Betrieb eines Schwimmbads trotz Suche unentdeckt blieben, kann mit dem trüben Wasser erklärt werden, da das Dianabad mit filtriertem Wasser aus dem Donaukanal gespeist wurde. Wie die Reichspost am 19. Juli 1918 berichte, sparte die Betreibergesellschaft des Dianabads wo sie nur konnte, worunter besonders die Wasserqualität litt. Wenige Tage nach dem oben geschilderten Vorfall tauchte das Gerücht auf, dass eine dritte Leiche im Abflussschacht des Dianabads gefunden worden wäre. Dieses Gerücht konnte aber vom zuständigen Polizeikommissariat nicht bestätigt werden. Als Todesursache der Gebrüder Gambasch ergab die Obduktion "Erstickung durch Ertrinken".
Links:
Die Ertrunkenen vom Dianabad (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 19. Juli 1918)
Mitteilungen eines Badegastes (Augenzeugenbericht in der Illustrierten Kronen-Zeitung vom 20. Juli 1918)
Heute vor 100 Jahren: Das Wiener Nobelschwimmbad (20. Mai 1918)
Mitte Juni 1918 trat die Tabakrationierung in Wien in Kraft, der 16. Juli 1918 war der erste Geltungstag der "Raucherkarte" in Graz und am 20. Juli bedauerte die Badener Zeitung "die armen Raucher in Baden":
"Früher bekam man wenig, jetzt aber fast nichts. Einen positiven Besitz bedeutet aber nur die Raucherkarte selbst, als eines der interessantesten Dokumente des Staatsbürgers. Gegen Abtrennung eines Wochenabschnittes erhält der bedauernswerte Raucher 6 Zigarren oder 18 Zigaretten oder ein kleines Päckchen Rauchtabak. Damit soll er in weiser Einteilung eine ganze Woche auskommen, denn die Bittgänge als Ladenkunde in die einzelnen Trafiken sind ein mühsames und dabei meist aussichtsloses Unterfangen. Einen schlechten Trost bereitet der Gedanke, daß die Raucher in Wien viel besser daran sind, denn sie erhalten das Doppelte von dem, was in Baden verabreicht wird."
Besondere "Raucherkarten" wurden an die Stammkunden, also Personen, die nachweislich in der Nähe der jeweiligen Tabaktrafik lebten, abgegeben. Sie erhielten Karten der ersten Nummerngruppe, um zuerst bedient zu werden, sodass für die Laufkundschaft oft wenig oder gar nichts mehr übrig blieb. Der Tabakmangel hielt noch lange nach dem Krieg an, sodass erst ab 1923 auf die Neuauflage der Raucherkarten verzichtet wurde, Stammkunden aber weiterhin eine bevorzugte Bedienung genossen.
Links:
Die armen Raucher in Baden (Badener Zeitung vom 20. Juli 1918)
Offizielle "Todeserklärung" einer Vergessenen. Ein Erlaß über die Raucherkarte (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 21. Dezember 1922)