Am 1. Juli 1918 berichtete die Neue Freie Presse über die Hauptversammlung des Vereins zur Errichtung und Erhaltung von Gemeinschaftsküchen. Von der Pädagogin und Gründerin der nach ihr benannten Schwarzwaldschule Eugenie Schwarzwald konstituiert, richtete der Verein im November 1916 seine erste Gemeinschaftsküche in den Räumen des früheren Restaurants "Newaldhof" im neunten Wiener Gemeindebezirk ein. Bis 1918 wurden fünf weitere Küchen eingerichtet. Das ambitionierte Projekt konnte allerdings nur einer kleinen Zahl an Bedürftigen helfen.
"Den Tätigkeitsbericht erstattete Frau Eugenie Schwarzwald, von der seinerzeit der Gründungsgedanke ausgegangen ist und die augenblicklich fünf Gemeinschaftsküchen des Vereines leitet. An der Hand eines reichen Tatsachenmaterials beklagte sie die späte Gründung, die Schwierigkeiten in der Beschaffung der Einrichtungsgegenstände mit sich gebracht und jede Vorratswirtschaft unmöglich gemacht hatte. Die Folge davon ist, daß es nicht genug Küchen gibt, so daß der Gemeinschaftsküchenverein etwa 28.000 Menschen abweisen mußte. Trotzdem hat der Verein viel Positives geleistet. Er verpflegt in seinen sechs Küchen, zu denen sich demnächst eine siebente gesellt, etwa 5000 Personen des Mittelstands."
Wie viele gemeinnützige Vereine und Projekte, lebten auch die Gemeinschaftsküchen von der ehrenamtlichen Arbeit aufopferungsbereiter Menschen: "Diese Arbeit wird liebevoll und sorgfältig getan, insbesondere gebühre den Küchenleiterinnen und den 165 Angestellten des Vereines für ihre hingebungsvolle Tätigkeit voller Dank. Der Grundsatz des Vereines, bescheidene Speisefolgen in möglich ansprechender Form, an weißgedeckten, blumengeschmückten Tischen, bei guter Bedienung zu bieten, habe sich sehr bewährt."
Eugenie Schwarzwald, die aus Galizien stammte, studierte an der Universität Zürich und erhielt als eine der ersten Österreicherinnen einen Doktortitel. Ab 1911 führte sie die "Schwarzwaldschule", an der – erstmals in Österreich – Mädchen die Matura ablegen konnten. Als Lehrer konnte sie unter anderem Oskar Kokoschka (Malen und Zeichnen), Adolf Loos (Architektur), Arnold Schönberg und Egon Wellesz (Musik) sowie den Juristen Hans Kelsen gewinnen. 1938 musste sie wegen ihres jüdischen Glaubens in die Schweiz flüchten, wo sie 1940 in Zürich 68jährig verstarb.
Im Jahr 2011 wurde in Wien Donaustadt der Eugenie-Schwarzwald-Weg nach ihr benannt
Link:
Verein zur Schaffung und Erhaltung von Gemeinschaftsküchen (Neue Freie Presse vom 1. Juli 1918)
In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1918 verstarb der bekannte christlichsoziale Wiener Kommunalpolitiker und enge Mitarbeiter des früheren Wiener Bürgermeisters Karl Lueger Hermann Bielohlawek.
Bielohlawek war als ungestümer Biertischpolitiker bekannt, der aus seinem Antisemitismus keinen Hehl machte, dessen Schlagfertigkeit aber sogar vom politischen Gegner anerkannt wurde. Karl Kraus, der Bielohlawek politisch absolut nicht nahe stand, brachte ihm eine gewisse Sympathie entgegen, obwohl er ihn in seinem Text "Der Hanswurst" als "Erbfeind der Bildung" bezeichnete und folgendermaßen zitierte: "Er hat einmal als Parlamentarier den Ausspruch gewagt, daß er die Bücherweisheit 'schon gefressen' habe, auf deutsch: nicht fressen wolle." Dieser Ausspruch, der auch als "Wann i a Biachl siach, hob i scho g'fressn" bekannt ist, war Bielohlaweks meist zitiertes Bonmot. Europaweites Aufsehen erregte er aber als er am 3. April 1908 im Wiener Reichsrat in aller Öffentlichkeit den berühmten russischen Schriftsteller Leo Tolstoy einen "alten Teppen" nannte. Als Literatur bezeichnete Bielohlawek "das, was ein Jud' vom andern abschreibt".
Am 2. Juli 1918 erschienen in mehreren Zeitungen Nachrufe auf den prominenten Politiker, darunter auch einer im Mährischen Tagblatt, das die Arbeiter-Zeitung zitierte, die Bielolahwek einen positiven Lerneffekt im Alter nicht absprechen mochte: "Einer seiner schärfsten Gegner die Wiener 'Arbeiter Zeitung' widmet ihm folgende Worte: Er hat sich mit der Zeit sehr verändert. Aus dem skrupellosen Demagogen war ein Verkünder der Autorität, selber eine Autorität geworden; aus dem Verächter von Kunst und Wissenschaft ein bildungseifriger Mensch, der sich ernstlich mühte, die Lücken seiner Bildung aufzufüllen und zur Kunst sogar in ein innigeres Verhältnis trat."
Links:
Hermann Bielohlawek † (Mährisches Tagblatt vom 2. Juli 1918)
Der Hanswurst (Karl Kraus über Bielohlawek, 1908)
Während des Weltkriegs nahmen okkulte Praktiken und Wahrsagerei zu, sei es in England (siehe die Illustration und den Artikel in der Illustrierten Kronen-Zeitung vom 30. April 1918) oder auch in Österreich-Ungarn.
Am 3. Juli 1918 berichtete die Linzer Tages-Post von einer Tiroler Wahrsagerin, die so sogar so beliebt war, dass sie wegen des großen Andrangs Vorbestellungen annehmen und Besuchsregelungen treffen musste:
"In Innsbruck befindet sich eine Frau, die seit langer Zeit schon leicht und unbeschwerlich sich den Lebensunterhalt mit Wahrsagen verdient. Sie benützt hiezu ausschließlich die Karten, verschmäht jeden anderen Hokuspokus und hat bei ihren Kunden großes Glück und viel Geschick. Ihre ganz besondere Geschicklichkeit, von unbekannten Personen, ihren Kunden, das eine und das andere aus der Vergangenheit zu erraten, brachte ihr so viel Vertrauen ein, daß man auch manches glaubt, was sie aus den Karten vorhersagt. Daher erklärt sich auch der große Zulauf und ihr guter ‚Ruf‘ als Kartenschlägerin. Aus allen Kreisen kommen Neugierige, um aus dem Munde der Arbeiterfrau zu wissen, was das Schicksal für sie bestimmt haben könnte. Ganz besonders während des Krieges hat sich die Zahl der Besucher vervielfacht, Krieger gehen aus und ein, Mannschaften und Offiziere, die vor allen anderen Dingen die Frage beantwortet wissen wollen, ob sie wiederkehren werden oder nicht. Der große Zuspruch bei der Kartenschlägerin brachte eine förmliche Regelung ihrer Besuchsstunden mit sich, so groß war manchentags der Andrang zu der simplen Behausung in der Vorstadt. Samstag und Sonntag sind künftig ihrer Erholung gewidmet, andere müssen sich vormerken lassen wie beim Zahnarzte oder bei anderen im menschlichen Leben wichtigen Personen, zudem wollte man auch das Ansammeln von Personen aller Stände in dem ärmlichen Warteraume, der Küche der kleinen Familie, künftig vermeiden. So sehr ist in manchen Kreisen der Aberglaube hochgewachsen!"
Zwar gibt es heute in Österreich keine Hellseherinnen oder Hellseher, die einen solchen Zulauf verzeichnen können, der Aberglaube ist aber dennoch fest in der Gesellschaft verankert – ob man nun Radio- oder Zeitungshoroskopen folgt, auf Holz klopft, an Feen oder Geister glaubt oder täglich die Sterne befragt.
Links:
Zunahme des Aberglaubens (Linzer Tages-Post vom 3. Juli 1918)
General und Wahrsagerin (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 30. April)
Das in Wien erscheinende Interessante Blatt berichtete am 4. Juli 1918 voller Bewunderung von einer sommerlichen Opernaufführung blinder Kinder aus Niederösterreich:
"Die Blinden, ob blind geboren oder später blind geworden, ganz gleich, die Blinden wollen den Gesichtssinn ersetzen. Und dazu verfeinern sie ihre anderen Sinne teils wissentlich, teils unwissentlich. Was sie auf diesem Wege erreichen ist oft staunenswert. So eine bewundernswerte Leistung vollbrachten am 15. Juni 1918 die Zöglinge der niederösterreichischen Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf, indem sie in einer der Blindenfürsorge dienenden Wohltätigkeitsaufführung die Hauptszenen aus Humperdincks Märchenoper 'Hänsel und Gretel' mustergültig vorführten. Dabei bewältigten sie nicht nur den gesanglichen und den für Blinde doppelt schweren darstellerischen Teil, sondern sie stellten auch die orchestralische Begleitung bei. Die zahlreichen Besucher konnten hören und sehen, wie hoch die Leistungen der blinden Kinder zu werten sind."
Im 19. Jahrhundert wurden in Österreich mehrere Anstalten für Blinde eingerichtet. Am 28. November 1872 beschloss beispielsweise der niederösterreichische Landtag die Errichtung einer Blindenanstalt im Wiener Stadtteil Ober-Döbling (1872 war Wien kein eigenes Bundesland). 1879 übersiedelte die Blindenanstalt nach Purkersdorf, wo sie bis zu ihrer Schließung im Jahr 1924 bestehen blieb und ihr Schützlinge wieder nach Wien zurückkehren mussten. Die Anstalt in Purkersdorf wurde sehr schnell zu einem Aushängeschild österreichischer Wohlfahrtspolitik, an der Koryphäen der Blindenpädagogik wirkten. Unter ihnen befanden sich Matthias Pablasek, der an der Durchführung des ersten Europäischen Blindenlehrer-Kongresses 1873 in Wien maßgeblich beteiligt war oder Josef Libansky, der wegweisende Arbeit in der Entwicklung der Blindenbildung leistete.
Links:
Eine Opernaufführung blinder Kinder (Das Interessante Blatt vom 4. Juli 1918)
Weiterlesen: Zweihundert Jahre Blindenbildung im deutschsprachigen Raum (PDF; Informationsblatt des Bundes-Blindenerziehungsinstitutes BBInfo 3/2004, Seiten 11-23)
Die bis heute beliebte Gmundner Keramik war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit über die Grenzen der Monarchie hinaus bekannt. Das das Unternehmen während des Weltkriegs wegen des Arbeitskräftemangels in Produktionsschwierigkeiten kam, gründete der Inhaber Franz Schleiß 1917 eine Lehrwerkstätte in Gmunden – aus Sicht der Redaktion der Linzer Tagespost längst überfällig, wie diese am 5. Juli 1918 feststellte:
"Freilich gab es in neuerer Zeit einen Verfall der altkeramischen Produktion. Und merkwürdig war es, daß die Regierung zur Wiedererweckung derselben nichts tat, denn alle keramischen Fachschulen, welche der Staat errichtet hat, haben ihren Sitz in Böhmen, Mähren oder Galizien, keine aber in den Alpenländern. Nunmehr aber ist die Wiederbelebung des keramischen Kunstgewerbes bei uns wieder im besten Gange. Und wieder nehmen die keramischen Erzeugnisse von Gmunden, wo die alte Werkstätte von Schleiß unter neuer, jugendlich kräftiger Führung emporblüht, dem ersten Rang ein. Und da sich dort reiche Lager guten Tones finden, so sind die Vorbedingungen zu weiterer Blüte in Gmunden ebenso wie früher auch jetzt gegeben. Die alte Tradition, die in Gmunden fortlebt, gibt uns die Sicherheit, daß sich dort ein in heimatlichem Boden wurzelnder Stil erhalten wird, der seine Eigenart wahrt und jedem fremden Einschlag den Eingang verwehrt. Die Erzeugnisse der neuen Gmundener Keramik haben bei zahlreichen Ausstellungen im In- und Auslande allgemeine Zustimmung und allgemein Gefallen gefunden. Leider fehlen aber, bei der Neubelebung dieser alten Hafnerkunst in Gmunden, wie in Oberösterreich und den Alpenländern überhaupt, die nötigen Arbeitskräfte. Dieser Mangel verhindert es, daß die Gmundener Keramik zahlreichen Bestellungen aus dem Auslande, die nach verschiedenem Ausstellungen, einliefen, gar nicht nachzukommen vermag. Um diese Arbeitskräfte wenigstens für die Zukunft zu sichern, hat Herr Franz Schleiß in Gmunden eine Lehrwerkstätte für Keramik gegründet, für die auch eine staatliche Unterstützung erwirkt wurde. Sie soll nur eine beschränkte Schülerzahl aufnehmen, damit der Unterrichtende sich mit jedem einzelnen Schüler befassen und dessen Eigenart studieren und pflegen könne."
Die Gmundner Keramik geht bis auf das Jahr 1492 zurück. Franz Schleiß erwarb 1843 die Gmundner "Hafnerhäuser" am See und übergab sie 40 Jahre später seinem Sohn Leopold. 1913 erfolgte der Zusammenschluss der Wiener mit der Gmundner Keramik unter dem Namen "Vereinigte Wiener und Gmundner Keramik und Gmundner Tonwarenfabrik Schleiß GmbH". Die Manufaktur blieb bis 1968 in Familienbesitz und wird heute vom Salzburger Johannes Moy geführt.
Noch heute gilt die Gmundner Keramik als einer der bedeutendsten Geschirrhersteller Österreichs. Täglich werden rund 10.000 Geschirrteile hergestellt, wovon ein Viertel (also eine knappe Million) ins Ausland, vorrangig nach Deutschland und in die Vereinigten Staaten, exportiert wird. Laut eigener Angabe ist die Gmundner Keramik bis heute der einzige Betrieb, der Lehrlinge zu Keramikmalerinnen und -Malern ausbildet.
Links:
Die keramische Lehrwerkstätte in Gmunden (Linzer Tages-Post vom 5. Juli 1918)
Weiterlesen: Gmundner Keramik – Schleiss Keramik
Weiterlesen: Firmengeschichte
Am 6. Juli 1918 erschien in der Wiener Allgemeinen Zeitung eine besonders genaue Schilderung einer Kriegspropagandaveranstaltung am Wiener Heldenplatz. Es handelte sich um den "Ersten Mörser-Tag" am Wochenende, Samstag, 6. Juli, und Sonntag, 7. Juli, 1918:
"An dem der Ringstraße zugekehrten Gitter des Volksgartens sind jetzt weiße Plakate angebracht, auf welchen zu lesen ist: 'K.u.k. Militär-Witwen- und -Waisenfonds – Zugang zum Mörser' Einer der berühmten österreichisch-ungarischen 30,5-Zentimeter Motormörser ist auf dem mittleren Gehweg zum Erzherzog Karl-Denkmal auf dem Heldenplatz postiert. Im Hintergrund stehen zwei riesige Motorwägen der Daimler-Werke. Zu Exerzierübungen mit dem Geschütz, das von der Piavefront zur Reparatur nach Wien gekommen ist und dem 6. ungarischen Artillerie-Regiment (Budapest) angehört, ist ein Bataillon dieses Regiments gestellt. Auf der vorderen Wiese des Heldenplatzes hat die Musikkapelle der Deutschmeister Aufstellung genommen und lässt in kurzen Abständen ihre flotten Weisen hören. Nicht weit von dem Motormörser und den dort kampierenden Soldaten befindet sich eine Zeichnungsstelle der 8. Kriegsanleihe, ein schön drapiertes Zelt, in dem sämtliche Wiener Banken vertreten sind, und zwar derart, daß je zwei Herren, die von den einzelnen Banken delegiert werden, sich in drei Schichten täglich ablösen; man kann also dort zu jeder Zeit auf jedes beliebige Bankkonto 8. Kriegsanleihe zeichnen.
Die Mörser-Aktion, mit der die Propaganda des Militär-Witwen- und -Waisenfonds Hand in Hand geht, wurde heute um 10 Uhr vormittags auf dem Heldenplatz eröffnet. Die Passanten, die, meist unvorbereitet über die neue Aufstellung des Mörsers, den Platz durchquerten, ließen sich von der Musik und dem zur Schau gestellten mächtigen Geschütz anlocken. Um halb 12 Uhr wurde die erste Exerzier-Übung, das Laden der Kanone, abgehalten. Ein zahlreiches Publikum hatte sich bereits angesammelt. Darnach trat Oberleutnant Tippmann des k.u.k. Kriegspressequartiers vor den Mörser und richtete eine Ansprache an die dicht gescharte Menge. In ebenso einfachen wie dringlichen Worten wies er auf die Bedeutung der 8. Kriegsanleihe hin. Er pries zunächst das 30,5-Zentimeter-Geschütz als technische Errungenschaft und als Zeugnis österreichischen Unternehmungsgeistes, besprach dann seine Rolle im Kriege als machtvolle Waffe. 'Wer Kriegsanleihe zeichnet, der bringt dem Vaterland kein Opfer, sondern trägt zur Beschleunigung des Friedens und zum Abbau der Teuerung bei. Der Kampf, der zum Siege führt, erfordert Waffen, die Waffen kosten Geld. Wer also ein baldiges siegreiches Ende wünscht zeichne 8. Kriegsanleihe.' Diesen Redner löste sodann ein schneidiger Feuerwerker ab, der in einem schwäbelnden Dialekt – wohl ein Siebenbürger Sachse – die Technik des Motormörsers erklärte und seine prüfenden Blicke in das Auditorium warf, ob man ihn auch richtig verstehe.
Wer also um diese Zeit den äußeren Burgplatz passierte, kam unerwartet und billig – es kostet nämlich nichts – zu einem artilleristischen Lehrkurs. Die erste Exerzierübung, die einigemal im Tag wiederholt wird, wurde von einer Film-Expositur des k.u.k. Kriegspressequartiers kinematographisch aufgenommen. Der Wachtmeister des Bataillons meinte schmunzelnd: 'Jetzt kommen wir auch ins Kino!' Wie eine Anfrage um die Mittagsstunde ergab, war der Zeichnungsverkehr am ersten Halbtag, der von schönem Wetter begünstigt war, ein recht zufriedenstellender. Der Hauptandrang ist für morgen Sonntag zu erwarten."
Link:
Der erste Mörser-Tag (Wiener Allgemeine Zeitung vom 6. Juli 1918)
Am 7. Juli 1918 zitierte Der Tiroler einen Leserbrief eines Kärntners, der sich über die Umweltverschmutzung an der kärtnerisch-italienischen Grenze südlich des Mittagskogels beschwerte:
"Es ist ganz unbeschreiblich, welche Unmengen von verschiedenen Gegenständen dort herumliegen und dem Verderben preisgegeben sind, trotzdem ist deren Mitnahme verboten. Patronen liegen zu hunderttausenden herum: nun, daran wäre nicht schade, aber daß Wäschestücke, Uniformen, Schafpelze, Schuhe, Werkzeuge, Kochkisten, Feldflaschen, Kotzen, Decken, Lederzeug, Sandsäcke, Zwilchtaschen, Fensterscheiben, ungebrauchte Drähte, Blechgeschirre und eine Menge weiß Gott noch was für anderer Gebrauchsgegenstände in Unmassen zu Grunde gehen müssen, ist ein Staatsverbrechen. Wolfsbach ist nur mehr ein Ruinenort, auch die Seiserhütte ist bis auf den Grund niedergebrannt."
Die kleine Kärntner Gemeinde Wolfsbach (italienisch Valbruna) im Kanaltal wurde bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs von italienischer Artillerie zerstört. Das vorwiegend slowenischsprachige Kanaltal, und somit auch Wolfsbach, wurde nach dem Krieg an Italien abgetreten. Der Leserbriefschreiber ärgerte sich vor allem darüber, dass die Bevölkerung während des Weltkriegs ständig dazu aufgerufen wurde verschiedenste Dinge zu spenden, aber offenbar eine Menge ungenutzt liegen blieb:
"Fortwährend wird in den Zeitungen zur Metallablieferung aufgefordert, hier läßt man Metall in Massen verderben. Da heißt es: 'Sammelt Wäsche!' Hier liegt sie herum, man läßt sie zu Grunde gehen. Sammelt Wolle und Wollabfälle. Da werden sie dem Verderben preisgegeben! Warum wird das nicht alles sorgfältig gesammelt? Dazu braucht man doch keine frontdiensttaugliche Mannschaft! Auf der einen Seite fortwährende Bettelei um die verschiedensten Sachen, auf der andern Seite gibt man sie dem Verderben preis! Da ist aber nur die Rede von einer Stelle, nun war doch die Front hunderte Kilometer lang, was mag da erst alles umgekommen sein aus Schlamperei. Solch ein Vergehen ist einfach unverantwortlich, ja geradezu ein Verbrechen am Volke und am Staate!"
Noch heute findet man an der ehemligen Front des Ersten Weltkriegs im Kärntner Grenzgebiet, etwa am Plöckenpass, Unmengen an Kriegsschrott.
Links:
Noch nichts gelernt (Der Tiroler vom 7. Juli 1918)
Weiterlesen: Die gezielte Vernichtung von Natur
Am 8. Juli 1918 erschütterte eine schwere Explosion den 6. Wiener Gemeindebezirk. Im Geschäft des Büchsenmachers Robert Linsbauer in der Gumpendorferstraße 88 war aufgrund unsachgemäßer Aufbewahrung eine große Menge Munition explodiert. 7 Todesopfer waren zu beklagen. Das Linzer Volksblatt berichtete über den Vorfall:
"Die Explosion, die die in den Magazinen Linsbauers aufbewahrten Munitionsmengen betraf, hat sieben Todesopfer gefordert. Es sind dies Geschäftsinhaber Norbert Linsbauer, einer seiner Lehrlinge, zwei Geschäftsfrauen aus der Nachbarschaft und eine ihrer Kundinnen, ferner zwei Straßenpassantinnen. Die eine der letzteren wurde als die etwa 60jährige Französin Manguet erkannt, die lm Hause nebenan wohnte und eben dabei war, an einem Gaskocher ihr Mittagessen zu bereiten. Sie lief bei der ersten Detonation auf die Straße und kam eben an, als weitere Detonationen ertönten. Sie wurde an eine Wand geschleudert und blieb mit vielfachen Verletzungen tot liegen. Die zweite Frau ist auch zufällig beim Hause vorübergegangen. Sie ist durch die Flammen ganz unkenntlich geworden. In einer Ecke des Geschäftes wurde Linsbauers verkohlte Leiche gefunden. Gleichfalls im Laden lag auch die Leiche eines Lehrlings. An das Geschäft Linsbauers grenzt der Pfaidlerladen der Schwestern Leopoldine Kohn und Karoline Deutsch. In diesem Laden, der gleichfalls ganz zerstört ist, fand man die beiden Schwestern unter Schutt vergraben gleichfalls tot auf. Ferner lag in dem Laden noch eine weibliche ganz unkenntliche Leiche, von der vermutet wird, daß sie die einer Kundin der Schwestern ist, die zufällig im Geschäfte war."
"Pfaidlerladen" ist eine heute veraltete Bezeichnung für ein Bettwaren-, Hemden- oder Kurzwarengeschäft.
Link:
Großes Explosionsunglück (Linzer Volksblatt vom 10. Juli 1918)
Der Allgemeine Tiroler Anzeiger berichtete am 9. Juli 1918 davon, dass Kleidung aus Papierfasern nunmehr technisch soweit perfektioniert wäre, dass sie gefahrlos gewaschen werden konnte:
"Die technische Vervollkommnung in der Herstellung von Papiergeweben, die in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht hat, gestattet es nunmehr, daß Papiergewebe auch unbedenklich gewaschen werden. Dies ist natürlich insbesondere für die Verwendung von Papierwäsche von größter Bedeutung. Allerdings muß beim Waschen von Papiergeweben auf die Eigenart des Stoffes entsprechend Bedacht genommen werden und empfiehlt es sich daher, die nachstehende vom Kriegsverband der Baumwollindustrie erlassene Waschvorschrift genau zu beachten: 'Waschvorschrift für Wäsche aus Papiergewebe.' Die Wäsche ist in lauwarmem, nicht kochendem Wasser mit einer schwachen Lösung von Seife, Soda oder einem anderen nicht ätzenden Waschpulver bis zu 15 Minuten einzuweichen, auf einem glatten Tisch mit einer weichen Bürste zu reinigen und dann in reinem, lauwarmem Wasser durchzuspülen. Die Wäsche darf keinesfalls ausgewunden, sondern muß vollständig naß aufgehängt und in noch etwas feuchtem Zustands gebügelt werden. Nach dieser vorsichtigen Behandlung erlangt der Stoff in trockenem Zustande seine alte Festigkeit wieder."
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste innerhalb kurzer Zeit ein Massenheer mit Uniformen ausgestattet werden. Damit rückte die bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert bestehende Papier-Textilindustrie für eine kurzen Zeitraum in den Mittelpunkt der zivilen Modeindustrie, um nach dem Krieg wieder zu verschwinden. Heutzutage gewinnt aber Papiergewebe, das aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird, wieder an Bedeutung.
Links:
Das Waschen der Papierwäsche (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 9. Juli 1918)
Weiterlesen: Prekäre Kleidung: Textil und Papiergewebe
Am 10. Juli 1918 berichtete das Neuigkeits-Welt-Blatt von gefälschten Morphium- und Kokainrezepten:
"Da in der letzten Zeit häufig auf Grund gefälschter Rezepte aus Apotheken Morphium und Kokain bezogen wurde, fordert das Apothekergremium in einer Zuschrift an die Aerztekammer die Aerzte auf, Morphiumrezepte für Injektionen und größere Dosen Kokain nur auf Rezepten zu verschreiben, die mit gedruckter Angabe des Namen- und der Wohnung des Arztes versehen sind."
Zur Zeit des Ersten Weltkrieges war zwar schon bekannt, dass Morphium, Kokain und andere Drogen abhängig machten, jedoch wurde das beliebte Kokain weiterhin als unbedenklich eingestuft. Im Ersten Weltkrieg wurde damit begonnen Kokain und später Amphetamine gezielt an Soldaten zu verabreichen. Manch einem Kampfpiloten wurde sogar heimlich Kokain in die Verpflegung gemischt, um ihn wach und kampflustig zu halten.
Hergestellt wurde das Suchtmittel erstmals 1859/60 vom deutschen Chemiker Albert Niemann und wurde ursprünglich für medizinische Zwecke eingesetzt. Etwa, um Morphinabhängigkeit zu behandeln oder zur Betäubung der Augen bei Augenoperationen. Da Drogen bald als gesellschaftliche Gefahr erkannt wurden, kam es unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg zur ersten internationalen Opiumkonferenz, an der 13 Staaten teilnahmen. Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich sagten ihre Teilnahme allerdings ab.
10 Jahre nach Ende des Weltkriegs kam es 1928 auf Initiative der USA erstmals zu einer internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogen. Man kann also hier schon den Beginn des "war on drugs" setzen. Dieser Begriff fand aber erst 1972 Eingang in die Politik, als ihn der US-amerikanische Präsident Richard Nixon für eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen der amerikanischen Drogenpolitik verwendete.
Links:
Gefälschte Morphium- und Kokainrezepte (Neuigkeits Welt-Blatt vom 10. Juli 1918)
Weiterlesen: Drogen im Kriegseinsatz