Am 13. November 1917 veröffentlichte die von Anna Boschek herausgegebene Arbeiterinnenzeitung die Beschlüsse der sozialdemokratischen Frauenkonferenz, in der Anna Boschek eine führende Rolle spielte. Unter anderem wurde das Frauenwahlrecht thematisiert und dabei auf das revolutionäre Russland verwiesen, das dieses bereits eingeführt hatte: "Dadurch ist aber auch die Frage des Frauenwahlrechtes allerorts eine dringende Gegenwartsfrage geworden und das um so mehr, als in den vorgeschrittensten Staaten den Frauen bereits politische Rechte eingeräumt sind und das vom Zarismus befreite Rußland jedem Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes das gleiche Wahlrecht vom 20. Lebensjahr verleiht!" An die Mitglieder der eigenen Partei wurde appelliert: "Deshalb fordern wir die Genossen und die Genossinnen auf, nicht zu ruhen, bis sie dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht aller Staatsangehörigen vom zwanzigsten Lebensjahr an zum Sieg verholfen haben."
Ein Jahr später sollte es endlich soweit sein: Am 12. November 1918 wurde das allgemeine und gleiche Frauenwahlrecht auch in Österreich eingeführt, wobei das Wahlalter mit 20 Jahren festgelegt wurde. Heute beträgt es 16 Jahre. Damit ist Österreich unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das einzige Land, das 16-Jährigen auf allen Ebenen das aktive Wahlrecht einräumt.
Die 1874 geborene Anna Boschek, die aufgrund ihrer Armut bereits als elfjähriges Kind in einer Perlenbläserei arbeiten musste, wurde 1919 als eine der ersten Frauen in den Nationalrat der Republik Österreich gewählt. Heute ist der Anna-Boschek-Hof im 10. Wiener Gemeindebezirk nach ihr benannt.
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Frauenwahlrecht (Die Arbeiterinnenzeitung vom 13. November 1917)
Weiterlesen: Frauenwahlrecht in Österreich
Einen Monat vor Weihnachten wandte sich der Feldkircher Jugendfürsorgeverein an die Öffentlichkeit, um Spenden für die Weihnachtsfeier für bedürftige "Kriegerwaisen" zu sammeln, deren Väter im Krieg gefallen waren: "Große Mittel sind hiezu erforderlich, weshalb an die Öffentlichkeit wieder die Bitte gerichtet wird, durch ihren Opfersinn unserer gefallenen Helden und ihrer Hinterbliebenen zu gedenken. Jede kleine Gabe ist ein Beitrag für die winterliche Ausstattung eines Kriegswaisenkindes. Bei der Bescherung werden nur bedürftige Kriegerwaisen berücksichtigt, damit ja nicht zu deren Nachteil die gesammelten Mittel zersplittert werden." Spenden konnten in den Magistraten und den Seelsorgeämtern in ganz Vorarlberg abgegeben werden.
Noch trauriger war das Schicksal der Kinder im städtischen Waisenhaus von Feldkirch: "Die Kinder im städtischen Waisenhaus müssen die Liebe der Eltern entbehren, einsam stehen sie in der Welt und alle Sorgfalt der Waisenhausschwestern kann ihnen nur ein kleiner Ersatz sein für die Herzenswärme des Elternhauses. Doppelt schwer würden die Waisenkinder ihr Los des Verlassenseins empfinden, wenn der Weihnachtsmann vorüber ginge ohne auch bei ihnen Einkehr zu halten." Deshalb rief auch das Waisenhauskomitee zu Spenden auf, um eine Weihnachtsbescherung zu ermöglichen.
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Weihnachtsbescherung bedürftiger Kriegerwaisen in Tirol und Vorarlberg (Feldkircher Anzeiger vom 14. November 1917)
Weiterlesen: Die Kriegskinder des Ersten Weltkriegs
Im Herbst 1917 fand der 8. Militärabiturientenkurs für junge Soldaten aus den polnischen und ukrainischen Teilen der Monarchie statt. Die jungen Männer mussten die 7. Gymnasialklasse absolviert haben, um an den Kursen teilnehmen zu dürfen, und im Anschluss daran die Reifeprüfung zu absolvieren. Die Kurse für junge polnische k.u.k. Soldaten wurden auf Betreiben eines Gymnasialdirektors aus Stanislau (heute Iwano-Frankiwsk in der Ukraine) vom niederösterreichischen Landesschulrat organisiert.
Seit Oktober 1914 bestand auch die Möglichkeit einer "Kriegsmatura" auf freiwilliger Basis. Diese formal erleichterte Reifeprüfung wurde Gymnasiasten nach Absolvierung der 7. Klasse angeboten, damit sie schon im Alter von 17 in die Armee einrücken konnten. Die "Kriegsmatura" wurde bis zum Ende des Krieges 1918 von zahlreichen jungen Männern angenommen.
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Militärabiturientenkurse in Wien (Das interessante Blatt vom 15. November 1917)
Am 16. November berichtete die Eggenburger Zeitung vom Begräbnis des Austauschinvaliden Johann Knapp, der es aufgrund der Strapazen, die er in russischen Kriegsgefangenschaft durchlitten hatte, nicht mehr bis in seinen Heimatort Pernegg in der Nähe der niederösterreichischen Stadt Horn schaffte, und im tschechischen Kolin verstarb.
Austauschinvalide aus Russland wurden wochen- und manchmal monatelang aus den zumeist weit im Osten Russlands gelegenen Kriegsgefangenenlagern mit der Eisenbahn über Moskau, St. Petersburg, Finnland (das damals zu Russland gehörte) bis an die weit im Norden liegende schwedische Grenze bei Haparanda gebracht, von wo sie das neutrale Schweden bis ganz nach Süden durchquerten, um mit dem Schiff von Trelleborg nach dem deutschen Sassnitz auf der Insel Rügen überzusetzen, von wo es mit dem Zug weiter nach Österreich ging. Dort wurden die Invaliden von hochrangigen Angehörigen der Armee und des Kaiserhauses begrüßt. Der Austausch im Westen verlief viel weniger aufwändig über die neutrale Schweiz.
Austauschinvalide wurden von den jeweiligen Kriegsgegnern unter der Annahme ausgetauscht, dass diese nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht mehr an der Front eingesetzt würden. In der Regel verhielt es sich auch so, allerdings wurden vereinzelt Invalide, die sich gut erholt hatten, neuerlich in die österreichisch-ungarische Armee einberufen. Im Sommer 1917 kursierten in diesem Zusammenhang Gerüchte, dass ein russischer Befehl existiere, nach dem reaktivierte Kriegsinvalide, die von Russland an Österreich übergeben worden waren, bei neuerlicher Gefangennahme durch die russische Armee, kriegsrechtlich erschossen werden sollten.
Link:
Pernegg (Eggenburger Zeitung vom 16. November)
Wie viele andere kulturelle Etablissements warb auch das 1914 ursprünglich als Theater eröffnete Haydn-Kino medial um Aufmerksamkeit. Für den Film "Der tanzende Tor" hatte das Haydn-Kino, heute ein auf englischsprachige Filme spezialisiertes Kino, das alleinige Aufführungsrecht für den 6. Und 7. Bezirk. "Der tanzende Tor" war ein Stummfilmdrama mit dem damals als Filmstar gefeierten Dänen Waldemar Psilander in der Titelrolle. Als Zweitfilm wurde eine Folge von Victor Bergdahls schwedischer Zeichentrickserie "Kapitän Grogg" gegeben.
Durch den Krieg verringerte sich in Österreich-Ungarn und Deutschland der Einfluss der Filmwirtschaften der Kriegsgegnerstaaten. Das bedeutete einen Rückschlag für die Filmgroßmacht Frankreich, bot aber für die Mittelmächte die Gelegenheit zur Förderung ihrer eigenen Filmproduktion: In Deutschland entwickelten sich die ursprünglich zu Kriegspropagandazwecken gegründeten UFA-Studios in der Zwischenkriegszeit zu einer der weltweit wichtigsten Filmproduktionsstätten. Und in Österreich entstand im 7. Wiener Gemeindebezirk in der Neubaugasse das "Filmviertel", wo bis 1938 fast alle Filmfirmen ihren Sitz hatten und in fast jedem Haus ein Filmverleih, ein Produktionsbüro oder ein Film-Café untergebracht war.
Links:
Eröffnung des Haydn-Kinos (Der Kinobesitzer vom 1. September 1917)
Als Victor Bergdahl Kapitän Grogg porträtierte (Animationsfilm aus dem Jahr 1917, in dem "der echte" Bergdahl die Hauptrolle spielte)
Am Vormittag des 18. November 1917 ereignete sich ein schwerer Unfall am Wiener Ostbahnhof. Während Kriegsgefangene Verladearbeiten durchführten, brachen plötzlich einige von ihnen bewusstlos nieder. Ein rasch herbeigerufener Arzt stellte bei ihnen eine schwere Vergiftung fest: "Die Kriegsgefangenen haben in der Meinung, Alkoholgetränke finden zu können, ein Fass, das Chloroform enthielt geöffnet und von dem betäubenden Gifte getrunken, ohne durch den durchdringenden Geruch gewarnt zu sein." Von den sieben betroffenen Gefangenen verstarben zwei an Ort und Stelle.
Mit der Fortdauer der Kampfhandlungen machte sich der Arbeitskräftemangel in allen am Krieg beteiligten Staaten immer stärker bemerkbar, sodass verstärkt Kriegsgefangene zu Arbeitsdiensten eingeteilt wurden. Zur Jahreswende 1916/17 waren in Österreich-Ungarn etwa 70 bis 80 Prozent der gefangenen gegnerischen Soldaten im Arbeitseinsatz. Vor allem in der Agrar- und Kriegsindustrie wurde vermehrt auf den Einsatz Kriegsgefangener gesetzt, sie waren aber auch an größeren Bahnhöfen im Einsatz.
Link:
Sieben Kriegsgefangene durch Chloroform vergiftet (Illustrierte Kronen Zeitung vom 19. November 1917)
Die Lebensmittelversorgung während des Krieges war, wie in den anderen Teilen der Monarchie, auch in Tirol problematisch. Insbesondere das Mitspracherecht der Heeresverwaltung bei der Verteilung von Lebensmittelvorräten und die häufige behördliche Requisition von Lebensmittellieferungen erschwerte die Versorgung der zivilen Bevölkerung.
Am 19. November 1917 befasst sich der Allgemeine Tiroler Anzeiger mit der Molkereiprodukten und Schlachtviehlieferungen im Bezirk Kitzbühel: "105 Stiere, 58 Ochsen, 627 Kalbinnen und 688 ältere oder weniger milchergiebige Kühe" wurden der Heeresverwaltung übergeben. Hinsichtlich der Aufbringung und Verteilung der Molkereiprodukte meinte der Redakteur des Anzeigers: "Rücksichtlich der Molkereiprodukte finden gegenwärtig die Verhandlungen in den einzelnen Gemeinden statt, wobei insbesondere die Errichtung von Sennereien sowie die so sehr bestrittene Frage über das Ausmaß der Milchergiebigkeit der Kühe eine große Rolle spielt. Den Behörden käme es hierbei wohl mehr zugute, wenn sie Landwirtschaft statt Jus studiert hätten."
Link:
Schlachtviehlieferung aus Kitzbühel (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 19. November 1917)
Schon unmittelbar nach Kriegsbeginn 1914 verschlechterten sich die Lebensumstände der österreichischen Arbeiterschaft. So wurden beispielsweise die gesetzlichen Bestimmungen über die Sonn- und Feiertagsruhe gelockert, die Arbeitszeit in kriegswirtschaftlich wichtigen Betrieben auf bis zu 13 Stunden täglich angehoben, und die seit 1885 verbotene Nachtarbeit von Frauen und Jugendlichen wieder eingeführt.
Die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft wurde größer und äußerte sich in Arbeitsniederlegungen. Nach dem großen Jännerstreik 1918, an dem etwa 370.000 Arbeiterinnen und Arbeiter teilnahmen, stellte sich für die österreichisch-ungarischen Unternehmer die Frage, wie man den Arbeitsniederlegungen der immer kriegsmüder werdenden Arbeiterschaft Herr werden könne. Auf Seiten der Unternehmerschaft gab es "Scharfmacher" und "Beschwichtiger", also jene, die Streiks mit dem Standrecht und Hinrichtungen bekämpfen wollten, beziehungsweise diejenigen, die die Situation mit sozialen Zugeständnissen in den Griff bekommen wollten.
Die "Scharfmacher" feierten im Herbst 1917 einen kleinen Erfolg, wie die Arbeiter Zeitung am 20. November berichtete. Aufgrund des "Kriegsleistungsgesetzes" hatten die Belegschaften der kriegswichtigen Industrie (1917/18 waren das in der österreichischen Reichshälfte 1,3 Millionen Menschen in 4.500 Betrieben, darunter 363.000 Frauen) ab sofort allen Befehlen der militärischen Leiter Folge zu leisten und unterstanden militärischer Disziplinar- und Strafgewalt. Bei "Widersetzlichkeit" wie etwa Unpünktlichkeit oder "Krankfeiern" konnten Arreststrafen bis zu 30 Tagen verhängt werden, die mit zeitweiligem Fasten bei Wasser und Brot oder in "Schließen und Spangen" verschärft werden konnten.
Links:
Die Militarisierung der Arbeiter (Arbeiter Zeitung vom 20. November 1917)
Weiterlesen: Der Jännerstreik 1918
Am 21. November 1917 jährte sich zum 1. Mal der Todestag Kaiser Franz Josef I, der von 1848 bis 1916 regierte. Entsprechend groß war die mediale Aufmerksamkeit.
Neben zahlreichen Zeitungskommentaren und offiziellen Zeremonien wurde dieses Datum auch für kriegerische Durchhalteparolen genützt: "Ein Jahr, ein einzelnes Jahr erst ist seit dem Todestag des Kaisers Franz Josef und dem Regierungsantritt des Kaisers Karl abgelaufen. Und doch, welche Bedeutung besitzt gerade dieses Jahr für die lebenden und kommenden Geschlechter der Monarchie. Erst in diesem Jahre war es uns vergönnt, die weiten Gebiete des Reiches fast völlig aus der feindlichen Invasion zu befreien. Tief im Feindesland stehen heute überall unsere Armeen! Wir aber dürfen in Zuversicht dem Kriegsende entgegensehen und so friedensbereit wir uns auch jederzeit gezeigt haben, so können wir andererseits auch in Ruhe – warten!" (Hervorhebung im Original)
Link:
Ein Jahr nur… (Neues 8 Uhr Blatt vom 21. November 1917)
Anlässlich ihres 50. Hochzeittags bat das Ehepaar Franz und Josefa Werner, das im 4. Wiener Gemeindebezirk zuhause war, Kaiser Karl seinen 6, an der Kriegsfront stehenden, Söhnen Heimaturlaub zu gewähren. Der Urlaub wurde vom Kaiser auch tatsächlich gewährt und die 6 Soldaten reisten von der rumänischen, russischen und italienischen Front nach Wien.
Bereits im Vorfeld der Familienfeier berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung: "Die sechs Brüder haben sich seit Beginn des Krieges nicht mehr gesehen. Die einzelnen kamen auf Urlaub im Laufe des Krieges nach Hause, aber noch nie hat es sich bisher getroffen, daß mehrere Brüder gleichzeitig ihre Eltern besuchen konnten. Erst der Gnade des Kaisers verdanken es die Söhne, daß sie alle gemeinsam dem Freudenfeste ihrer greisen Eltern beiwohnen können."
Tatsächlich wählte Kaiser Karl, der erst ein Jahr zuvor die Nachfolge Kaiser Franz Josefs angetreten hatte, einen den einfachen Soldaten gegenüber großzügigeren Zugang, der sich unter anderem darin zeigte, dass er Familienväter mit einer größeren Anzahl unversorgter Kinder sowie die letzten überlebenden Söhne von Familien, die bereits einen oder mehrere Söhne im Krieg verloren hatten, von der Front in die Etappe versetzen ließ.
Link:
Goldene Hochzeitsfeier (Illustrierte Kronen Zeitung vom 22. November 1917)