Das zentrale Ereignis der Wiener Gesellschaft im Jänner 1918 war ein "Historisches Konzert", veranstaltet von der musikhistorischen Zentrale des k.u.k. Kriegsministeriums zugunsten der Witwen und Waisen der gefallenen österreichischen und ungarischen Soldaten im Wiener Konzerthaus.
Wie die Neue Freie Presse – ohne auf die Witwen und Waisen weiter einzugehen – berichtete, erhielt das Konzert, das am Samstagabend am 12. Jänner stattfand, "Glanz und besondere Bedeutung durch die Anwesenheit der Kaiserin Zita. Ein erlesenes Publikum füllte den Saal, und eine erlesene Künstlerschar war von dem künstlerischen Leiter Dr. Bernhard Paumgartner zur Ausführung des interessanten Programms aufgeboten. Militärmärsche und Soldatenlieder aus alter und neuer Zeit verhieß dieses Programm, also Kriegsmusik, die durch die großen Ereignisse der letzten Jahre aktuell geworden ist."
Interessant ist die Geschichte der Musikhistorischen Zentrale. Sie wurde im April 1917 auf Initiative des damaligen Direktors des Salzburger Mozarteums Bernhard Paumgartner gegründet und sammelte im Auftrag des k.u.k. Kriegsministeriums monarchieweit Soldatenlieder. Zu ihren Mitarbeitern zählte auch der ungarische Komponist Béla Bartók.
Größere Bestände wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört; erhaltene Teile der Sammlung der Musikhistorischen Zentrale befinden sich heute unter anderem im Österreichischen Staatsarchiv.
Links:
Historisches Konzert (Neue Freie Presse vom 13. Jänner 1918)
Weiterlesen: Musikhistorische Zentrale
Am 13. Jänner wies die Satirezeitschrift Der Floh drastisch auf die Schwierigkeiten des Zeitungsverlagswesens als auch der allgemeinen Versorgungskrise hin:
"Soeben erschienen! Nirgends zu haben! Neue Kriegs-Märchen-Ersatzbücher
Das Märchen vom Wruckenzahl* – Das rayonierte Schlaraffenland Tischlein deck’ dich nicht – Das Fettgänsemädchen – Aschenmaisbrödel – Die beschlagnahmten Galoschen des Glücks – Notkäppchen – Der gestiefelte Hasen-Ersatz – Aladins Wundersparlampe – Das torpedierte Gespensterschiff – Das Märchen vom... Schwein – Ali Baba und die 40 Kriegsgewinner.
Preise verstehen sich in Mark mit 300 % Teuerungszuschlag. – Liebhaberausgabe auf echtem Papier."
Die österreichischen Zeitungen gerieten schon bald nach Kriegsbeginn wegen fehlender Fachkräfte, sinkenden Abonnentenzahlen, weniger werdenden Inseraten und stetig steigender Papierpreise in die Krise. Davon war auch die Zeitschrift Der Floh betroffen, die auch in Deutschland erhältlich war; daher der Verweis auf die Währung "Mark" statt "Krone", wobei eine Mark einer Krone entsprach (also heute etwa 5,50 Euro).
* "Wrucken", auch "Steckrüben", sind minderwertige Rüben, die bis heute vor allem als Futtermittel Einsatz finden. Während der kriegsbedingten Hungerwinter kamen Steckrüben häufig als Ersatzlebensmittel zum Einsatz, da sie beim Verkochen fast jeden Geschmack annehmen. So konnte man mit einigen Steckrüben und wenigen Äpfeln etwa Ersatz-Apfelmus herstellen.
Link:
Neue Kriegs-Märchen-Ersatzbücher (Der Floh vom 13. Jänner 1918)
http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Musikhistorische_Zentrale.xml
Ein für seine Zeit typisches Inserat vom 14. Jänner 1918 macht deutlich, dass die vielgepriesene staatliche Unterhaltszahlung für Angehörige von eingerückten und gefallenen Militärpersonen in Wirklichkeit dürftig ausfiel.
Die Höhe des Unterhaltsbeitrags bemaß sich im Ersten Weltkrieg an der "Militärdurchzugsverpflegung" und war länderweise unterschiedlich geregelt. Den höchsten Tagsatz gab es in Innsbruck mit 1,50 Kronen pro Person (entspricht heute etwa einem Gegenwert von etwa 7 Euro, zieht man die Vorkriegs-Krone als Berechnungsgrundlage heran). Für Kinder unter acht Jahren zahlte der Staat nur die Hälfte. Verdiente eine Frau mit zwei Kindern in Salzburg mehr als 60 Kronen (entspricht etwa einem Gegenwert von 330 Euro), so verlor sie die Anspruchsberechtigung auf Unterstützung.
Die genannten Tagsätze galten als Höchstwerte. Hatte ein Einberufener vor dem Krieg weniger verdient, so bekam seine Familie nicht die volle Unterstützung. Dasselbe galt auch für unehelich geborener Kinder: Wenn der leibliche Vater seine Alimente auf das Mindestmaß beschränkte, sah auch der Staat keine Veranlassung, in ausreichendem Maß für den Lebensunterhalt des Kindes zu sorgen.
Die öffentliche Unterhaltszahlung ermöglichte den Hinterbliebenen in der ersten Kriegszeit noch ein bescheidenes Auskommen; spätestens ab 1916 war sie jedoch durch die Teuerung aller Nahrungsmittel und Bedarfsgegenstände nicht mehr ausreichend.
Links:
Stellengesuch (Salzburger Volksblatt vom 14. Jänner 1918)
Weiterlesen: Staatliche, kommunale und freiwillige Fürsorge
Die alle zwei Wochen erscheinende Zeitung Der Bauernbündler, Organ des Niederösterreichischen Bauernbundes, warnte am 15. Jänner 1918 eindringlich vor Schwindlern, denen Landwirte im Tullnerfeld zum Opfer gefallen waren.
Die Betrüger hatten sich als Beamte oder Angehörige der Armee ausgegeben und Geld sowie Nahrungsmittel vorgeblich für Kriegsgefangene und Spitäler gesammelt. Sie waren zum Teil sogar mit gefälschten Ausweisen unterwegs und nutzten unbeobachtete Momente für Gelegenheitsdiebstähle. Den Bauern wurde empfohlen: "Mit solchen Leuten sich nicht einlassen, sondern sofort zur Gendarmerie schicken! (…) Wenn im Orte ein Telephon ist, sofort bei jener Stelle anfragen, woher der Herr Beamte oder Militär angeblich abgeschickt worden ist! Heute darf man keinem fremden Menschen trauen, es gibt zu viel Gesindel!"
In den Ankündigungen des Bauernbündlers für die kommende Faschingssaison machte sich aber auch die zunehmende Kriegsmüdigkeit bei der ländlichen Bevölkerung bemerkbar: "Die Welt will nicht tanzen, sie will sich nicht vergnügen — sie will Frieden und nochmals Frieden!"
Link:
Vorsicht wegen verschiedener Schwindeleien! (Der Bauernbündler vom 15. Jänner 1918)
Ab März 1917 kam es bei der niederösterreichischen und wienerischen Arbeiterschaft, die unter Hunger, Mangel an Kleidung und Schuhen, langer Arbeitszeit und hohem Arbeitstempo litt, immer wieder zu Streiks, darunter zu einem im Mai 1917 in Wiener Großbetrieben mit rund 42.000 Streikenden. Am 14. Jänner 1918 begann unter den mehr als 1.000 Arbeitern der Daimler-Motorenwerke in Wiener Neustadt der später als "Jännerstreik" bekannt gewordenen Streik, der bis zum 22. Jänner dauerte und fast eine halbe Million Arbeiterinnen und Arbeiter erfasste, darunter vor allem jene im in den Wiener, niederösterreichischen, böhmischen und ungarischen Industriegebieten.
Das Ziel der Streikenden war nicht nur eine bessere Versorgung der Arbeiter und deren Familie, sondern auch die Beendigung des Kriegs. Nach Zugeständnissen der Regierung am 20. Jänner 1918 stimmte der Wiener Arbeiterrat im Arbeiterheim Margareten einem Abbruch des Streiks zu.
Das liberale "Neue 8 Uhr Blatt" berichtete über den Erfolg des Streiks: "Er hat erreicht, was die Arbeiterschaft forderte: eine bindende Erklärung der Regierung in der Friedensfrage; Zusicherungen über die Reform der Ernährungsorganisation; das Versprechen, die Militarisierung der Betriebe auf gesetzlichem Wege aufzuheben; endlich die bestimmte Zusage, daß das Gemeindewahlrecht in sehr weit gehender Weise demokratisiert werde."
Links:
Von politischen Entscheidungen (Neues 8 Uhr Blatt vom 21. Jänner 1918)
Weiterlesen: Jännerstreik 1918
Am 17. Jänner 1918 veröffentlichte Das interessante Blatt ein Porträt der erst sechsjährigen Olga Reiß, Tochter eines Wiener Fotografen, die die Kunstsprache Esperanto verblüffend gut beherrschte, was sie bei einer "Vorführung" demonstrieren konnte.
Die Kunstsprache Esperanto wurde Ende des 19. Jahrhunderts vom russischen Augenarzt Ludwig Lazarus Zamenhof entwickelt. Er wollte durch die Einführung einer neuen, für alle verhältnismäßig einfach zu erlernenden Sprache, die Volksgruppenkonflikte seiner Heimat lösen. Esperanto überzeugte seine weltweit wachsende Schar von Anhängerinnen und Anhängern in erster Linie durch unkomplizierte Grammatikregeln. Bereits 1910 fand ein internationaler Esperanto-Kongress in Wien statt, ab 1917 gab es sogar ein Lektorat für Esperanto an der dortigen Technischen Hochschule. Vor allem in sozialdemokratischen Kreisen war Esperanto als Mittel der Völkerverständigung sehr beliebt und wurde in zahlreichen Brieffreundschaften intensiv gepflegt. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Sprache an allen Wiener Volkshochschulen erlernt werden und wurde sogar an öffentlichen Schulen unterrichtet. Der spätere Wiener Bürgermeister Franz Jonas gehörte zu den glühendsten Verfechtern des Esperanto-Gedankens.
In der Österreichischen Nationalbibliothek gibt es ein Esperantomuseum, in dem bis heute Intensivkurse angeboten werden.
Links:
Die sechsjährige Olga Reiß (Das interessante Blatt vom 17. Jänner 1918)
Weiterlesen: Esperantomuseum Wien
Weiterlesen: Friede und Sprache – die Friedens- und die Esperantobewegung
Am 18. Jänner 1918 griff das Neue Wiener Journal die "Dienstbotenfrage" auf und schlug vor Hausgehilfinnen zentrale Wohnstätten und geregelte Arbeitszeiten zu gewährleisten.
Vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete über ein Drittel der berufstätigen Frauen in Wien als Dienstbotinnen in bürgerlichen Haushalten. Sie stammten zum Großteil aus Böhmen, Mähren und Ungarn und lebten unter prekären Arbeits- und Wohnbedingungen. Schlecht bezahlt und ohne geregelte Arbeitszeiten, mussten sie sich mit provisorischen Schlafgelegenheiten begnügen, die abends im herrschaftlichen Vorzimmer, in der Küche oder im Bad aufgestellt wurden.
Die Dienstbotenfrage war deshalb sowohl für christlichsoziale Fürsorgeorganisationen als auch für die sozialdemokratische Frauenbewegung ein Dauerthema. Während des Ersten Weltkriegs wanderten Dienstbotinnen aber zunehmend in die Rüstungsindustrie ab, wodurch es für bürgerliche Haushalte schwieriger wurde, Personal zu rekrutieren.
Erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde aber mit dem Hausgehilfengesetz vom 26. Februar 1920 ein modernes einheitliches Arbeitsrecht für hauswirtschaftliches Personal geschaffen (Recht auf Ruhezeit und einen verschließbaren Schlafraum).
1927 wurde die Altersversorgung von Hausangestellten durch die allgemeine Einführung von Altersfürsorgerenten geregelt. Nach der Wirtschaftskrise 1929 verschwand das Berufsbild der Dienstboten fast vollständig. Ende 1931 gab es in Wien nur noch 12.054 Hausgehilfen.
Link:
Hauskulturzentralen (Neues Wiener Journal vom 18. Jänner 1918)
Unbeeindruckt von den schweren innenpolitischen Unruhen und Streiks, die zu Beginn des Jahres 1918 die Industriegebiete der Habsburgermonarchie erschütterten, berichtete das wöchentlich erscheinende Wiener Salonblatt am 19. Jänner 1918 über Klatsch und Tratsch aus Adelskreisen.
Sollte das Auge eines potentiellen Ehekandidaten nun auf die Portraitaufnahme von Agnes Gräfin Schönborn gefallen sein, so konnte er deren biographische Eckdaten im Blattinneren nachlesen. Im vorliegenden Fall war die Besagte 25 Jahre alt und stand im Dienste Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin. Sie hatte eine ältere Schwester, die ins Kloster gegangen war und drei jüngere Geschwister, Gräfin Maria und die Zwillinge, die Grafen Erwein und Franz. Ihr ältester Bruder, Graf Josef Karl Schönborn, war 1915 gefallen.
Das Wiener Salonblatt erschien ab 1919 nur mehr zweiwöchentlich, hielt sich aber bis 1938 am Zeitungsmarkt. Wer wissen will, wie es mit Gräfin Schönborn weiterging, kann sich in einer genealogischen Datenbank für Adelsgeschlechter informieren (siehe unten).
Links:
Agnes Gräfin Schönborn, Hofdame ihrer Majestät (Wiener Salonblatt vom 19. Jänner 1918)
Weiterlesen: Genealogisches Portal "Geni"
Nach den wochenlangen Friedensverhandlungen zwischen den Mittelmächten (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien) und Russland in Brest-Litowsk meldete eine Sonderausgabe der Grazer Mittags-Zeitung am 20. Jänner 1918 einen beruhigenden Verlauf der Wirtschaftsverhandlungen.
Hintergrund dieser Sonderausgabe war die Tatsache, dass der österreichisch-ungarische Außenminister Ottokar Graf Czernin kurz zuvor nach Wien abkommandiert worden war. Er sollte vor Ort die aufgrund des Jännerstreiks innenpolitisch höchst kritische Lage beruhigen. Vertreter der streikenden Arbeiterschaft, die Czernin einen Forderungskatalog überreichten, wollten endlich Frieden, politische Mitsprache und eine ausreichende Lebensmittelversorgung erreichen. Die Verhandlungen in Brest-Litowsk, lautete ihre dezidierte Forderung an Czernin, sollten keinesfalls an den territorialen Forderungen der Mittelmächte scheitern.
Links:
Brest-Litowsk (Sonderausgabe der Grazer Mittags Zeitung vom 20. Jänner 1918)
Weiterlesen: Friedensvertrag von Brest-Litowsk
Am 21. Jänner 1918 verkündete die Illustrierte Kronen-Zeitung das Ende der Streikbewegung, die fünf Tage zuvor im Wiener Neustädter Raum ausgebrochen war und sich über weite Teile der Monarchie ausgedehnt hatte. Der Parteivorstand der Sozialdemokraten rief dazu auf, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Tagesgespräch war der österreichisch-ungarische Außenminister Ottokar Graf Czernin, dem Vertreter der der Arbeiterschaft tags zuvor ihre Forderungen (Abschluss der Friedensverhandlungen mit Russland, bessere Verpflegung, Wahlrechtsreform sowie Aufhebung der Militarisierung der Betriebe) übergeben hatten.
Czernin, mit vollem Namen Ottokar Theobald Otto Maria Graf Czernin von und zu Chudenitz, entstammte einem böhmischen Adelsgeschlecht und vertrat als Minister des Äußeren Österreich-Ungarn bei den Friedensverhandlungen mit Russland in Brest-Litowsk.
Nur drei Monate später, im April 1918, musste Czernin von seinem Amt zurücktreten: Der französische Außenminister Georges Clemenceau hatte Dokumente veröffentlicht, in denen geheime Friedensbemühungen Österreich-Ungarns mit den Regierungen der Entente belegt wurden ("Sixtus"-Affäre).
In der Ersten Republik kehrte Czernin kurz in die Politik zurück und übte von 1920 bis 1923 ein Nationalratsmandat für die Demokratische Partei aus. Da er nach einer Bodenreform seinen Grundbesitz in Böhmen verloren hatte, lebte er im Salzkammergut. Er starb 1932 in Wien und wurde in Bad Aussee begraben.
Links:
Ende des Aufstandes (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 21. Jänner 1918)
Weiterlesen: Sixtus-Affäre, Darstellung Czernins 1918