Am 11. Februar 1918 berichtete die Salzburger Chronik für Stadt und Land über die Einweihung des neuen Bürogebäudes der 1848 gegründeten k.k. Landwirtschafts-Gesellschaft in Salzburg "durch Seine Exzellenz Landeshauptmann Winkler unter Assistenz des Domzeremoniars Lunkofler". Vorbild für die damals 70 Jahre alte Institution war die von Erzherzog Johann 1819 gegründete Steiermärkische Landwirtschaftsgesellschaft.
Schon 1918 wurde aber der Gegensatz zwischen Stadt und Land, wohl auch aufgrund der kriegswirtschaftlich bedingten prekären Lebensmittelversorgung, thematisiert: Landeshauptmann Winkler richtete "an Bürgermeister Ott (...) herzliche Worte des Dankes und der Bitte, dahin wirken zu wollen, daß der von mancher Seite inszenierte Gegensatz von Stadt und Land gemildert werde. Bürgermeister Ott gab die Versicherung, daß die Stadt Salzburg stets vor Augen halten wird, daß es in ihrem eigensten Interesse gelegen sei, wenn sie in ihrem Hinterlande einen gesunden, aktionsfähigen Bauernstand habe."
Die k.k. Landwirtschafts-Gesellschaft in Salzburg errichtete die "Erste Österreichische Central-Anstalt für künstliche Fischzucht", die erste Salzburger Obstbaumschule und den ersten Salzburger Stadtbienenstand. Ende 1924 löste sie sich auf, findet aber im Landesverein für Imkerei und Bienenzucht bis heute Kontinuität.
Link:
Einweihung des neuen Heims der k.k. Landwirtschaftsgesellschaft (Salzburger Chronik für Stadt und Land vom 11. Februar 1918)
Während des Krieges ging die Zahl an Eheschließungen in den kriegsführenden Staaten zurück. Umso berichtenswerter erschien die Zunahme der Eheschließungen am Faschingsdienstag des Jahres 1918 in Wien. Am 12. Februar wurde nicht nur der Friedensschluss mit Russland und der vermeintlich nahe Sieg der Mittelmächte gefeiert, deren Truppen in Italien auf dem Vormarsch waren; der nahende Friede wurde auch dahingehend interpretiert, dass er sich positiv auf Eheschließungen auswirke: "Erst wenn diese Erscheinungen [Krieg, Teuerung usw.] vollständig überwunden sind, oder wenn die Hoffnung vorhanden ist, daß sie verschwinden, erfolgt eine Vermehrung der Eheschließungen. Die Brautleute in Wien zählen nun augenscheinlich zu jenen, die mit den frohesten Hoffnungen in die Zukunft blicken."
Allerdings war die Ausrichtung einer Hochzeit im letzten Kriegsjahr wegen der Lebensmittelkrise nicht einfach. Am 12. Februar 1918 berichtete etwa die Arbeiter-Zeitung über einen Erlass der Bezirkshauptmannschaft von Hallein über "Festessen auf dem Lande": So musste ein Hochzeitsmahl 10 Tage im Voraus angezeigt und bewilligt werden. Die Art der Speisen und deren Preise mussten bekanntgegeben werden, das Festmahl durfte höchstens 3 Stunden dauern und es wurde untersagt, das Fest nach Ablauf der 3 Stunden an einem anderen Ort fortzusetzen.
Links:
Mehr Eheschließungen. Die Hochzeiten am Faschingsonntag (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 12. Februar 1918)
Festessen auf dem Lande (Arbeiter-Zeitung vom 12. Februar 1918)
In der Österreichisch-Ungarischen Buchhändler-Correspondenz vom 13. Februar 1918 wurde auf das kriegsbedingt verzögerte Erscheinen des berühmten Wiener Wohnungsanzeigers, kurz "Lehmann", dem Klassiker der Wiener Telefon- und Adressbücher von 1859 bis 1942, hingewiesen. Dieses jährlich erscheinende mehrbändige Nachschlagewerk enthielt die Anschriften sämtlicher Wohnungen, Behörden und Firmen Wiens.
Das besondere an diesem Verzeichnis war, dass nicht nur die Einwohnerschaft der Reichs- Haupt- und Residenzstadt samt den damals gängigen Berufs- und Standesbezeichnungen (unter anderem "Privatbeamter" oder "Hofratsgattin") alphabetisch geordnet aufgelistet wurden, sondern auch umgekehrt die Häuserverzeichnisse mit ihren jeweiligen Bewohnern. Deshalb ist der "Lehmann" für Historikerinnen und Historiker, aber auch für Personen, die wissen wollen, wer vor 100 Jahren in ihren Wohnungen lebten, von unschätzbarem Wert. Seit einigen Jahren ist der "Lehmann" auch online einsehbar.
Links:
Österreichisch-Ungarische Buchhändler-Correspondenz (Ausgabe vom 13. Februar 1918)
Lehmann online (Wienbibliothek)
Am 14. Februar 1918 titelte das humoristische Blatt Die Muskete mit der emotionalen, blutig-schaurigen Zeichnung Fritz Gareis' mit dem mehrdeutigen Titel "Der Weltkater" und dem auf den seit 4 Jahren hin und her wogenden Weltkrieg bezugnehmenden Untertitel: "Das schöne Blut! Das viele Blut! Und alles für die Katz…"
Der 1872 in Wien geborene Gareis war schon früh mit kriegskritischen Illustrationen aufgefallen und gilt als Pionier der europäischen Comicszene. Anfang November 1923 erschien in der politisch links orientierten Wiener Satirezeitung Der Götz von Berlichingen die erste Episode des von Gareis gezeichneten "Bilderbogen des kleinen Lebens", in dem – erstmals in Europa mit Sprechblasen – Szenen aus dem Leben einer kleinbürgerlichen Familie, den Riebeisels, erzählt wurden. Der "Bilderbogen des kleinen Lebens" gilt als der erste regelmäßig erscheinende Comicstrip Europas. Fritz Gareis starb am 5. Oktober 1925.
Links:
Der Weltkater (Die Muskete vom 14. Februar 1918)
Bilderbogen des kleinen Lebens: Frau Riebeisel kauft einen Hund (Der Götz von Berlichingen vom 2. November 1932)
Unter dem Titel "Die Morgenröte des allgemeinen Friedens" berichtete das Neuigkeits Welt-Blatt vom 15. Februar über die triumphale Rückkehr des österreichisch-ungarischen Außenministers von den Friedensverhandlungen mit Russland in Brest-Litowsk. Schon am Wiener Nordbahnhof wurde der Minister vom Wiener Bürgermeister Weiskirchner und dessen Stellvertretern empfangen. An seinem Amtssitz am Wiener Ballhausplatz 2 angekommen, heute Sitz des österreichischen Bundeskanzlers, musste Czernin auf den Balkon hinaustreten, um die Huldigungen der Wiener Frauen entgegenzunehmen:
"Mit ungewöhnlichen Ehren ist Graf Czernin bei seiner Ankunft aus Brest-Litowsk in Wien empfangen worden — Ehrungen, an denen nicht nur die gesamte Stadtverwaltung mit den vier Bürgermeistern, sondern auch viele Tausende aus dem Volk teilgenommen haben. Bürgermeister Dr. Weiskirchner hat dem Minister in heißen Worten dafür gedankt, daß er den Brotfrieden des Ostens gebracht habe. Und Graf Czernin hat als echter Friedensmann in seiner Antwort hervorgehoben, daß der Friede von Brest uns dem allgemeinen Frieden einen Schritt näher bringe, daß es nach langer Nacht zu tagen beginne, daß sich am Horizont die erste zarte Morgenröte der kommenden besseren Friedenszeit zeige."
Czernin, der sich in der "Sixtus Affäre" (Kaiser Karls Versuch eine Friedenslösung über Vermittlung seines in der belgischen Armee dienenden Schwagers Sixtus zu finden) äußerst ungeschickt verhielt, musste im April 1918 demissionieren und den Ballhausplatz verlassen.
Ein besonderes Kuriosum des Ballhausplatzes 2 ist, dass dort nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sowohl das Außenministerium der jungen Republik residierte als auch der alte kaiserliche auswärtige Dienst, der dort noch zwei Jahre lang die wenigen verblieben Geschäfte abwickelte, um am 8. November 1920 die Monarchie endgültig zu begraben.
Link:
Die Morgenröte des allgemeinen Friedens (Neuigkeits Welt-Blatt vom 15. Februar 1918)
Geradezu hymnische Kritiken erntete Alexander Girardi nach seinem späten Burgtheaterdebüt im Februar 1918 als Fortunatus Wurzel in Ferdinand Raimunds "Der Bauer als Millionär". Dank Girardi, so der zweiseitige Artikel in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 16. Februar 1918, sei die Premiere zu einem wahren Erweckungserlebnis geraten: "Es war, als ob Dämme rissen, als ob Schleusen aufsprängen und ein Meer von Zärtlichkeit sich ergösse zu dem Einzigen hin, der für eines Augenblickes Weile diese Blut-Welt in eine Insel der Glücklichen zu wandeln wusste."
Alexander Girardi, 1850 als Sohn eines italienischen Schlossers in Graz geboren, feierte seine größten Erfolge als jugendlicher Buffo und Gesangskomiker am Theater an der Wien, wo er in den Operetten von Johann Strauß auftrat und die sogenannte goldene Ära der Wiener Operette maßgeblich mitprägte. Zu seinem Paradestück wurde das noch heute bekannte "Fiakerlied", das er 1885 erstmals sang.
Girardi gilt heute als einer der populärsten Schauspieler der Donaumonarchie. Nach ihm wurde ein flacher Strohhut und der Girardi-Rostbraten benannt (Rindfleisch mit Gemüse bedeckt). In der Friedrichstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk steht ein Girardidenkmal und in Wien-Mariahilf wurde 1918 eine Gasse nach ihm benannt.
Links:
Girardi am Burgtheater (Wiener Allgemeinen Zeitung vom 16. Februar 1918)
Weiterlesen: Das Fiakerlied (Tonaufnahme Alexander Girardis)
Weiterlesen: Künstlerblut (Filmaufnahme Alexander Girardis)
Die Illustrierte Kronen Zeitung beschäftigte sich am 17. Februar 1918 mit dem massiven Geburtenrückgang insbesondere seit Kriegsbeginn. Wurden 1905 in Wien noch 55.716 Lebendgeburten verzeichnet, so betrug die Gesamtzahl im Jahr 1909 schon deutlich weniger, nämlich 50.096. Von diesen Kindern waren 35.362 ehelich und 14.731 unehelich geboren. Bereits im ersten Kriegsjahr 1914 fiel die Geburtenziffer Wiens auf 40.149. Die Säuglingssterblichkeit stieg dagegen im Krieg kontinuierlich an: 1914 starben von je 1000 Lebendgeborenen 13,9 vor Vollendung des ersten Lebensjahres, im Jahr 1917 waren es bereits 17,1.
Um die Kindersterblichkeit zu senken, griff der Artikel die Einrichtung der "Drehlade" auf, die bereits Ende des 18. Jahrhunderts kurzfristig mit der Errichtung eines Findelhauses in Wien realisiert worden war: "Die junge Mutter, die das Kind nicht aufziehen wollte, der das Neugeborene eine schwere, unerträgliche Last war, trug den Säugling zum Findelhaus, legte ihn in die Drehlade und zog an der Glocke. Auf das Klingeln erschien eine Schwester, drehte die Lade mit ihrer kleinen und doch so schweren Last um und der junge Erdenbürger war geborgen und dem Leben erhalten."
Eine ähnliche Politik verfolgte bis 1899 die Wiener "Gebär- und Findelanstalt", wo überlastete Mütter ohne Preisgabe ihrer oder des Vaters Identität Kinder in die Obhut der Stadt Wien übergeben durften. Ein Nebeneffekt war, dass diese Kinder unabhängig von ihrer Herkunft das Wiener Heimatrecht erwarben, das einen ungestörten Aufenthalt, den Anspruch auf Armenunterstützung, die Benützung des Gemeindeguts sowie eine beschränkte Teilnahme an der Wahl des Gemeindeausschusses ermöglichte.
Seit dem Jahr 2000 sind die ehemaligen "Drehladen" als "Babyklappen" wieder in österreichischen Spitälern zu finden. Neugeborene Kinder können darin unbeobachtet und anonym in ein Wärmebettchen gelegt werden, um anschließend medizinisch versorgt und später zur Adoption freigegeben zu werden. Im Gegensatz zur Aussetzung eines Neugeborenen ist das Abgeben eines Kindes in einer Babyklappe nicht strafbar.
Links:
Die Drehlade (Illustrierte Kronenzeitung vom 17. Februar 1918)
Weiterlesen: Die Geschichte der Wiener Jugendwohlfahrt (PDF)
Weiterlesen: Das Findelhaus, der Vorläufer der Babyklappe
Weiterlesen: Wiener Gebär- und Findelhaus
Am 18. Februar wurden Reisende nach Landeck in Tirol darauf aufmerksam gemacht, dass der gesamte Bezirk in das Kriegsgebiet einbezogen wurde. Das bedeutete, dass man das Gebiet ab sofort nur mehr mit einem militärischen Passierschein sowie einem gültigen Reisepass betreten durfte, in dem sich ein "Visum" für Landeck befand (eine vom Innenministerium ausgestellte "Klausel zum Betreten bzw. Verlassen des weiteren Kriegsgebietes").
Heute kann man im Bezirk Landeck entlang des 3 Kilometer langen "Kaiserschützenwegs" oberhalb von Nauders eine Zeitreise in die Kriegstage vor 100 Jahren unternehmen. Ausgehend von der 1834 erbauten historischen Festung, die als einzige noch vollständig erhaltene Befestigungsanlage aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie gilt, führt der Rundwanderweg an verfallenen Stellungen und begehbaren Felskavernen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs vorbei. 30 Schautafeln liefern dazu die Erklärungen.
Links:
Wichtig für Reisen in das Gebiet von Landeck (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 18. Februar 1918)
Weiterlesen: Der neue Kaiserschützenweg – Eine spannende Zeitreise mit Mehrwert
Am 19. Februar 1918 berichtete die in Wien erscheinende Neue Zeitung über die in Salzburg endlich anlaufende staatliche Unterstützung des Mittelstands und deren Ausbleiben in Wien. Aus dem Artikel erschließt sich aber auch die Entsolidarisierung der österreichisch-ungarischen Gesellschaft, die im Herbst 1918 den Untergang der Monarchie dramatisch beschleunigte.
Hatte zwar schon im Jänner 1918 die Arbeiterschaft mit landesweiten Streiks protestiert, murrte nun der Mittelstand leise, aber von Mal zu Mal lauter. Beklagt wurde vor allem die subjektiv wahrgenommene Besserstellung der Arbeiterschaft und überhaupt der Mittellosen durch Sozialmaßnahmen, die der Mittelschicht vorenthalten blieben. Kritik an den vom Krieg profitierenden Unternehmen oder gar dem Kaiserhaus übten die österreichischen Medien allerdings nur ganz leise oder gar nicht.
Das oben abgebildete Wahlplakat der bürgerlich-demokratischen Partei für die Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919, an der sich unter anderem Helene Granitsch ganz prominent beteiligte, dokumentiert die Entfremdung des bürgerlichen Mittelstandes von der Monarchie ganz deutlich.
Links:
Die Einkommensgrenzen für den Mittelstand (Die neue Zeitung vom 19. Februar 1918)
Weiterrechnen: Inflationscockpit der Österreichischen Nationalbank
Heute vor 100 Jahren: Helene Granitsch (3. Februar 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Jännerstreik (16. Jänner 1918)
"Marmelade, Powidlabgabe für Mitglieder am Montag – Kaffeewürfel, Kümmel, Kümmelersatz, Senf, Sardellen, Grog, Schwämme, Honig zur Selbstbereitung, Honigkuchenpulver, Pfefferkuchenpulver, Götzolin [ein um 1900 verbreitetes Putz-Pulver], Schuhpasta." Das war am 20. Februar 1918 das Angebot der Ortsgruppe Baden bei Wien der Rohö (Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs) für "Rayonnierte", also für Personen, die rationierte Produkte ausschließlich nur mit Lebensmittelmarken und nur in ganz bestimmten in ihrer unmittelbaren Wohngegend gelegenen Greisslerläden kaufen durften.
Spannender war an diesem Tag allerdings der Bericht aus dem Jubiläums-Stadttheater der Stadt Baden, das heute als eines der am besten erhaltenen und schönsten Theater des Fin de Siècle in Österreich gilt. Dort wurde in diesen Tagen Max Oberleithners Oper "Der eiserne Heiland" gegeben. Das bis in die 1930er-Jahre sogar an der Wiener Staatsoper aufgeführte, heute aber vergessene Werk, thematisiert den Volksgruppenkonflikt in Südtirol ganz im Sinne der österreichischen Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs, allerdings mit tragischem Ausgang sowohl für den deutsch sprechenden Bass-Bariton ("Andreas Reutterer, Schmied") als auch für den italienischen Sopran ("Anninna", die italienische Frau des Schmieds). Die Handlung wird in der Badener Zeitung vom 20. Februar in knappen Worten gut auf den Punkt gebracht.
Die Aufführung am Badener Jubiläums-Stadttheater verlief allerdings nicht ganz reibungslos: "Die Aufführung ging glänzend, der Totaleindruck von Werk und Wiedergabe war ein so nachhaltig günstiger, daß ihn selbst die verschiedenen unverschuldeten Unglücksfälle dieses Abends, als deren größter der elektrische Kurzschluß erwähnt sei, der nach dem Mägdequartett die Vorstellung für die Dauer einer Stunde unterbrach, nicht das geringste anzuhaben vermochte."
Links:
Theater: Jubiläums-Stadttheater in Baden (Badener Zeitung vom 20. Februar)
Weiterlesen: Der eiserne Heiland (Libretto)