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Ihre Position: Oesterreich100.at - Von Tag zu Tag 1917 bis 1919
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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

Hermann Bahr am Meer
Hermann Bahr am Meer, 1912; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 20. August 1918 machten sich die Wiener Caricaturen Sorgen über die unbesetzte Leitung des wichtigsten österreichischen Theaters, des Wiener Burgtheaters:

"Das Burgtheater hat noch immer keinen Direktor, aber eines wissen wir bereits, wer nicht Direktor wird. Herr v. Hofmannsthal und Herr Hermann Bahr haben feierlich erklärt, daß sie nicht daran denken, die Leitung des Burgtheaters zu übernehmen. Etwas komisch – nicht wahr: Ebenso gut hätte der Redakteur unseres Blattes erklären können, er denke nicht daran, das Burgtheater zu übernehmen. Welchen Sinn hat dieses Dementi? Ist es am Ende eine Form, doch wieder darauf hinzudeuten, daß man der geeignete Mann wäre, aber ... u.s.w. […] Nein, weder Herr v. Hofmannsthal noch Herr Bahr sind die Männer, welche das Burgtheater braucht. Herr v. Hofmannsthal liefere weiter Opernstücke für Herrn Richard Strauß, und Herr Bahr war ja immer nur eines der vielen Irrlichter, die über dem heimatlichen Sumpf tanzen. Wo hält Herr Bahr eigentlich heute. Nach den letzten Meldungen soll er klerikal geworden sein – unsern Segen hat er dazu – aber was soll das dem Burgtheater frommen, wenn der Direktor fromm ist?"

Bis 7. Juli 1918 war der ehemalige Leiter der Kunstsektion im Unterrichtsministerium Max von Millenkovich Direktor des Burgtheaters. Da sich dessen "christlich-germanisches Schönheitsideal" nicht mit der Politik Kaiser Karls vertrug, der sich um einen raschen Frieden und ein friedliches kulturelles Zusammenleben der Völker der Monarchie bemühte, wurde er abgelöst und erst Anfang September 1918 durch ein Dreierkollegium ersetzt, dem tatsächlich auch Hermann Bahr, neben Max Devrient und Robert Michel, angehören sollte.

Der ursprünglich deutschnationale, später liberale Schriftsteller, Dramatiker, Theater- und Literaturkritiker Hermann Bahr, der sich an den bürgerlich-literarischen Strömungen vom Naturalismus, über die Wiener Moderne bis hin zum Expressionismus führend beteiligte, war 1918 tatsächlich bereits "fromm" geworden. Bereits 1912 übersiedelte Bahr nach Salzburg, wo er im Schloss Arenberg wohnte. Dort konvertierte er zum katholischen Glauben und besuchte täglich die Messe. Freunde und Zeitgenossen vermeinten darin bloß eine neue Mode Bahrs, des "tanzenden Irrlichts" aus den Wiener Caricaturen, zu erkennen, die er – wie so oft – wieder ablegen werde. Allerdings blieb Bahr sein restliches Leben katholisch und publizierte in den letzten Lebensjahren sogar in betont katholischen Blättern, vor allem im Neuen Reich und in der Schöneren Zukunft. Hermann Bahr starb 1934 und wurde auf dem Salzburger Kommunalfriedhof begraben.

Links:
Theater (Wiener Caricaturen vom 20. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Freiherr v. Andrian-Werburg zum Generalintendanten der Hoftheater ernannt (1. August 1918)

Karl Auer Freiherr von Welsbach und dessen Gattin Marie
"Dr. Karl Auer Freiherr v. Welsbach und dessen Gemahlin Freifrau Marie"; © Sport & Salon vom 15. Juni 1901

Am 21. August 1918 berichtete das Grazer Tagblatt aus dem Klagenfurter Gemeinderat von dessen tags zuvor getroffenem Beschluss Karl Freiherr von Auer-Welsbach die Ehrenbürgerschaft der Stadt Klagenfurt zu verleihen:

"Anläßlich des auf den 1. September fallenden 66. Geburtstages des Herrn Dr. Karl Freih. Auer v. Welsbach in Treibach, der der gesamten Bevölkerung und besonders den Kindern schon seit Jahren durch vollkommen unentgeltliche Lieferung von einwandfreier Vollmilch, durch Förderung der Unternehmung 'Kinder aufs Land' u.s.w. das Ertragen der Not erleichtert, stellte der Bürgermeister in der heutigen Sitzung des Gemeinderates den Antrag, Herrn Dr. Karl Auer v. Welsbach den unauslöschlichen Dank für seine edlen Taten auszusprechen und durch Ernennung zum Ehrenbürger der Landeshauptstadt in die erste Reihe ihrer Bürger zu stellen. Der Antrag wurde unter lebhaftem Beifall einstimmig angenommen."

Der ursprünglich aus Wien stammende Chemiker, Erfinder des Gas-Glühlichts und des Auer-Metalls (Cerium-Eisen) lebte als Gutsbesitzer in Kärnten, wo er 1898 die Treibacher Chemischen Werke begründete. 1903 patentierte Auer von Welsbach den Zündstein, der bis heute als "Auermetall-Zündstein" von der Treibacher Industrie AG produziert wird. Die Erfindung des Zündsteins begründete nicht nur die Feuerzeug-Industrie, sondern auch die Seltenerd-Metallurgie, die heute bei der Herstellung von Glasfaserkabeln, Energiesparlampen, Photovoltaikanlagen, Mobiltelefone, Windgeneratoren und anderem mehr zum Einsatz kommt.

1893 erwarb Karl Auer von Welsbach im kärntnerischen Mölbling das Schloss Rastenfeld und errichtete 7 Jahre später das Schloss Welsbach, wo er 1929 verstarb. Auer von Welsbach wurde in Wien auf dem Hietzinger Friedhof bestattet. Heute erinnern zahlreiche Straßen- und Parknamen an den berühmten Erfinder und Unternehmer. Sogar eine Pflanzengattung (der Auerodendron aus der Familie der Kreuzdorngewächse/Rhamnaceae) wurde nach Auer von Welsbach benannt.

Links:
Ehrenbürgerernennung (Grazer Tagblatt vom 21. August 1918)
Weiterlesen: Das Auer von Welsbach Museum in Althofen, Kärnten
Heute vor 100 Jahren: Kinder aufs Land (15. Juni 1918)

Badefreuden in und um Wien
"1. Kinder baden im Wienfluß in Hietzing. – 2. Das von der Gemeinde kürzlich errichtete Kinderfreibad im Wienflußreservoir in Hütteldorf. – 3., 4. Und 5. Aufnahme aus dem Donaubad in Klosterneuburg. – Die Wasserrutschbahn im 'Gänsehäufel'. – 7. Unterm Spritzwagen, das kostenloseste Freibad, weil es den Kleinen in die Gassen entgegenkommt und so das Fahrgeld erspart."; © Das interessante Blatt vom 22. August 1918

Im Gegensatz zum Jahrhundertsommer 1917 waren der Juli und der August 1918 den "wassersehnsüchtigen Wienern, jung und alt" über weite Strecken nicht wohl gesonnen. Hatte es aber einmal über 25 Grad, waren die Bäder in und rund um Wien voll. Eine Besonderheit waren die beiden damals neu errichteten Kinderfreibäder im Wienflussbett in Hietzing und in Hütteldorf. Darüber wie es dort vor Errichtung der Freibäder zuging, berichtete am 22. August 1918 Das interessante Blatt:

"Durch eine Verordnung, die im Vorjahre erflossen ist, wurde den Kindern der Aufenthalt im Wienflußbett gestattet. Die große Öffentlichkeit hat diese Verordnung in dieser aufgeregten Zeit schnell vergessen, nicht so die Kinder. In diesen ersten heißen Tagen des Jahres sind sie wieder hinabgestiegen ins Wienflußbett, haben ihre Kleider ausgezogen und sich frisch-frank-fröhlich-frei entlang den steinigen Ufern oder im Wasser der Wien selbst herumgetummelt. Gewagte Bürschlein haben das früher auch getan, als die Verordnung noch nicht erlassen war, aber die echte Freude hat dabei doch niemals kommen wollen. Es hieß immer wachsam sein, daß man bei dem Vergnügen nicht erwischt wurde, von einem Straßenwärter oder gar von einem Wachmann. Ach, das war dann immer ein Schreck! Die größeren und flinken Buben liefen freilich wie die Katzen die Böschung hinan und auf und davon, aber die kleinen! Die standen unten, blaß vor Entsetzen, zitterten und warteten, bis sie der Wachmann zu sich heraufkommandierte, verhaftete und dann – aber das wußten sie nicht im voraus – bei der nächsten Straßenecke laufen ließ. Manchmal wurden sie vor Schreck kopfscheu. Liefen wie die Mäuse in der falle hin und her, während das gestrenge Aufsichtsorgan getreulich oben mitpendelte, schrie und schalt, und die Kleinen unten brüllten. Ach, es war ein rechter Jammer!"

Am lebhaftesten ging es damals im Wienflussreservoir in Hütteldorf zu, wo ein kleines, seichtes Becken aus Zement von der Gemeindeverwaltung errichtet wurde, durch das das Wasser des Wienflusses hindurchfloss. Die ersten "richtigen" Freibäder für Kinder bis zum 14. Lebensjahr entstanden in Wien allerdings erst nach dem Weltkrieg, vor allem in Wiener Parkanlagen. Bis 1931 wurden 20 solcher Kinderfreibäder errichtet; wobei der Höchststand 1972 mit 32 mittlerweile "Familienbäder" genannten Anlagen erreicht wurde. Auch der in den letzten Jahren teilweise renaturierte Wienfluss zieht wieder "wassersehnsüchtige" Wienerinnen und Wiener an, die dort im Sommer nach Abkühlung suchen.

Links:
Das badende Wien (Das interessante Blatt vom 22. August 1918) 
Heute vor 100 Jahren: Freibäder in Wien (13. September 1917) 
Weiterlesen: Renaturierung des Wienflusses (Video)

Am Gipfel des Großglockners, um 1912
Am Gipfel des Großglockners, um 1912; © Österreichische Nationalbibliothek, Ansichtskarten Online AKON

Am 23. August 1918 erschien folgende kurze Nachricht in den Kärntner Freien Stimmen:

"Das Großglocknergebiet ist dauernd in das Eigentum des D. u. O. Alpenvereines übergegangen. Einer Anregung des Großindustriellen Wirth in Villach folgend, haben die bisherigen Besitzer, die vier Töchter des verstorbenen Notars in Winklern Aicher v. Aichenegg, die das Großglocknergebiet umfassenden Teile des kärntischen landtäflichen Gutes Großkirchheim an den Alpenverein käuflich abgetreten."

Der 1874 in Villach geborene Holzindustrielle Albert Wirth war mit Maria Aicher, der Tochter von Josef Aicher von Aichenegg aus Winklern, verheiratet und hatte somit eine enges Naheverhältnis zu den Eigentümerinnen der kärntnerischen Anteile am Großglockner. Da Wirth das Gebiet, zu dem auch die Pasterze gehört, als Naturpark erhalten wollte, hatte er maßgeblichen Anteil daran, dass der Aichersche Besitz 1918 an den Alpenverein und nicht an einen deutschen Unternehmer verkauft wurde. Im Mai 1918 konnte er seine Ehefrau und deren Schwestern davon überzeugen das Areal um 10.000 Kronen (circa 55.000 Euro, nimmt man den Vorkriegswechselkurs von 1914 als Grundlage) dem Alpenverein zu überlassen, wobei Wirth die Kosten für den Alpenverein übernahm.

Seit 1981 ist das Gebiet, das Wirth für den Alpenverein erwarb, Teil des größten mitteleuropäischen Nationalparks Hohe Tauern; 1991 wurden auch die Tiroler und Salzburger Anteile des Bergmassivs in den Nationalpark eingegliedert. Anlässlich des 100. Jahrestages der Grundlegung des Nationalparks Hohe Tauern findet deshalb am Samstag den 1. September 2018 die "Jubiläumswanderung 100 Jahre Schenkung Albert Wirth" auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe statt.

Links:
Das Großglocknergebiet (Freie Stimmen vom 23. August 1918) 
Weiterlesen: Albert Wirth. Über Recht und Anstand (PDF, Alpenverein) 
Weiterlesen: Jubiläumswanderung: "100 Jahre Schenkung Albert Wirth" auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe, 1. September 2018 

Feldmesse der Kaiserjäger am Berg Isel
Feldmesse der Kaiserjäger am Berg Isel; © Wiener Illustrierte Zeitung vom 29. Jänner 1916

Am 24. August kündigte der Allgemeine Tiroler Anzeiger das patriotische Volksschauspiel "Der Tharerwirt" an, dessen Premiere tags darauf am Berg Isel stattfinden sollte. In dem Stück geht es um Peter Sigmayr, den Tharerwirt von Olang in Südtirol, der in den napoleonischen Kriegen gegen die Franzosen kämpfte. Er wurde 1810 hingerichtet. Der Berg Isel war damals Schauplatz mehrerer Schlachten, sodass er mit seinen Museen und Gedenkstätten bis heute einen hohen geschichtlichen Stellenwert für Tirol besitzt

Der Eintrittskartenerlös des Volksschauspiels sollte Kriegswitwen und -waisen zu Gute kommen, wobei die Kartenpreise bewusst günstig angeboten wurden (die teuersten Karten kosteten drei Kronen, heute wären das 1,50 Euro), um mit dem kriegerisch-patriotischen Stück eine möglichst hohe Besucherzahl zu erreichen:

"Auf dem blutgetränkten Boden Tirols, am Berg Isel, gibt es Neues für Innsbruck und Umgebung. Unter dem freien Himmel hat sich in der herrlichen Natur inmitten der dunklen Tannen eine Volksbühne gebildet, auf der lauter Männer aus dem Volke unserer Landeshauptstadt das bodenständige Erzeugnis eines tirolischen Dichters, ein echtes und wahres Volksschauspiel wiedergeben, den 'Tharerwirt' von Thankmar. […] Man muß sich unwillkürlich heimisch fühlen inmitten dieses Volkes, das uns entgegentritt, denn es ist unser Volk wie es leibt und lebt, voll köstlichen Humors und tiefen Gemütes; da wird einem wohl, unwillkürlich und unwiderstehlich, sobald man sich in seinen Bannkreis begeben. Wahrlich, unser Volk darf stolz sein und unsere Landeshauptstadt auf diese Volksschauspiele. Sie beweisen, wie viel Kunstsinn und künstlerische Anlagen in unserem Volke schlummern. Es bedarf nur des Machtwortes, sie zu wecken, und das Volk kann genußreiche Künstlerstunden bereiten, echte, ungeschminkte Volkskunst bieten. Dieses Schauspiel hat nicht der Gelderwerb ins Leben gerufen, sondern echt patriotisches Fühlen und Denken, das sorgenvolle Bestreben, die Wunden unseres Volkes heilen zu helfen."

Links:
Die Volksschauspiele auf dem Berg Isel (Allgemeine Tiroler Anzeiger vom 24. August 1918)
Weiterlesen: Der Tharerwirt von Olang. Ein Tiroler Freiheitsheld (Website des Landgasthofs Tharerwirt in Südtirol)

Aus dem Totenprotokoll der Stadt Wien aus dem Jahr 1997
"Extract Oder Kurtzer Außzug aus dem 1697-jährigen Todten-Prothocoll", Wien 1698; © Österreichische Nationalbibliothek

Die Bevölkerungszahl Wiens wuchs bis zum Ersten Weltkrieg, aber besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig an. Der Höhepunkt wurde 1916 mit 2.239.000 Einwohnerinnen und Einwohnern erreicht – bis heute die höchste Einwohnerzahl Wiens. Auch wenn diese Zahl mitten im Krieg erreicht wurde, hatte dieser eine negative Auswirkung auf die Demographie der Stadt. Das Neue Wiener Journal berichtete am 25. August 1918:

"Daß die sozialen Verhältnisse durch die einschneidenden Veränderungen der Lebensbedingungen, die der Krieg gebracht hat, sehr ungünstig beeinflußt werden, zeigen am besten die Matrikelbücher in den Wiener Pfarren. Es ist interessant, gelegentlich in solchen pfarramtlichen Aufzeichnungen zu blättern, die über die Frequenzziffern der drei wichtigsten Stationen auf der Reise durch das Leben, Geburt, Hochzeit und Tod, so lapidar Aufschluß geben. Wer noch daran zweifeln möchte, daß die Bevölkerungszahlen seit einigen Jahren stark zurückgehen, findet hier Beweise, gegen die es keinen Einwand gibt. Man wird nachdenklich, wenn man die letzten Jahresziffern der Taufen miteinander vergleicht, denn man sieht an ihnen deutlich, um wie viel der Nachwuchs geringer geworden ist, wie stark der Wunsch nach Kindern in den Ehe geschwunden ist und wie sehr einesteils die bekannten Krankheiten, andernteils die künstlichen Abwehrmittel die Fruchtbarkeit herabgesetzt haben. So fallen zum Beispiel die Jahresziffern der Taufen in einem der volkreichsten Bezirke Wiens, der Pfarre Hernals, von der Vorkriegszeit bis zur Gegenwart um mehr als die Hälfte, sie betragen nämlich im Jahr: 1913 1189, im Jahre 1914 noch 1118, im Jahre 1915 bereits nur mehr 838, da die meisten Männer eingerückt sind, im Jahre 1916 647. im Jahre 1317 523 und Heuer keinesfalls 500. […] Diese Ziffern sprechen eine deutliche Sprache, die um so verständlicher wird, wenn man auch die Hochzeits- und Sterbematrikeln aufschlägt und sich von dem Rückgang der Heiraten überzeugt. […] Der Rückgang beträgt hier also rund die Hälfte der Hochzeiten der Friedenszeit […] Was die Sterblichkeit betrifft, so betrugen die Sterbefälle in der Pfarre Hernals im Jahre 1913 486, im Jahre 1917 dagegen 636, sind also um 29% gestiegen. Als Todesursache trifft man jetzt häufig Unterernährung, Erschöpfung, Darmkrankheiten und Lungentuberkulose. Faßt man die Ergebnisse dieser Vergleiche zusammen, so gelangt man zu der Erkenntnis, daß in Wien nicht nur viel weniger geheiratet wird und daß die Zahl der Geburten infolgedessen durchschnittlich um die Hälfte zurückgeht, sondern daß auch anderseits die Sterblichkeit im Ansteigen begriffen ist. So entwickeln die Wiener Pfarrmatrikel das erschreckende Bild des Niedergangs der Großstadt in der Kriegszeit."

Pfarrmatrikel, die von den Kirchen über Jahrhunderte geführt wurden, waren lange Zeit die einzige Quelle für personenstandsbezogene Daten. Staatliche Vorschriften über das Meldewesen wurden auf dem Gebiet des heutigen Österreich erst im Jahr 1857 erlassen. Seit 2014 werden Personenstandsdaten im Zentralen Personenstandsregister gespeichert.

Links:
Was die Wiener Pfarrmatrikel beweisen (Neues Wiener Journal vom 25. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Eheschließungen im Krieg (12. Februar 1918)

Galgen in einem Gefängnishof, vermutlich in Graz
Galgen in einem Gefängnishof, vermutlich in Graz, 1934; Die Todesstrafe wurde in Österreich 1919 abgeschafft aber 1933 während der Kanzlerdiktatur Dollfuß-Schuschnigg wieder eingeführt; so wie in der Monarchie wurde die Todesstrafe bis 1938 am Würgegalgen vollstreckt; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 26. August 1918 berichteten die Innsbrucker Nachrichten über einen besonders makaberen Aberglauben – dass nämlich einem Strick, mit dem ein Verbrecher hingerichtet wurde, ein starker Zauber innewohne:

"Angesichts der Hinrichtung Rahners in Graz haben sich manche Leute an den früheren Brauch erinnert, daß mit dem Strick des Gehängten früher ein schwungvoller Handel getrieben wurde. Abergläubische Leute rissen sich geradezu um ein Stückel des Strickes, dem ein gewisser Zauber innewohnen soll. Man hätte bei den heute üblichen Bräuchen erwarten können, daß bei dem Strickhandel eine arge Preistreiberei einreißen werde. Dem beugte aber der Scharfrichter Lang vor, indem er den Strick sorgsam in seine Tasche einpackte, mit dem Bemerken, er müsse dieses Instrument sparen, weil kein Hanfstrick mehr zu bekommen sei. Die Raubmörder mögen also nicht jubeln, für einen guten Strick ist gesorgt und es besteht noch lange nicht die Gefahr, daß die Gauner mit einer Papierleine aufgeknüpft werden müssen."

Peter Rahner wurde wegen Diebstahl und Raubmord an der Wiener Touristin Hermine Preinfalk im Mai 1918 zum Tode verurteilt. Preinfalk war Ende September 1917 auf die steirische Pretulalpe in der Nähe von Mürzzuschlag gereist und galt seitdem als vermisst. Am 13. Oktober 1917 meldete der Holzknecht Rahner der Gendarmerie in Rettenegg einen Leichenfund. Es handelte sich tatsächlich um Hermine Preinfalk, deren Kopf durch Axthiebe zerschmettert worden war. Die Gendarmen stellten außerdem fest, dass die Tote nach dem Mord vergewaltigt wurde. Peter Rahner wurde bald zum Hauptverdächtigen, da er am Tag des Verschwindens von Hermine Preinfalk mit einer Axt gesehen wurde. Abgesehen davon galt er als roh und gewalttätig. Eine dem Mordopfer gestohlene Uhr mit silberner Kette entlarvte den Mörder schließlich, da er diese unvorsichtigerweise zur Reparatur gebracht hatte: Der Uhrmacher meldete den für einen Holzknecht ungewöhnlichen Reparaturauftrag nämlich der Polizei.

Rahner wurde am 22. August 1918 in Graz hingerichtet. Es war die erste Hinrichtung in Graz nach 15 Jahren. Die letzte Hinrichtung fand in Graz im Jahr 1949 statt; 1950 wurde die Todesstrafe in Österreich endgültig aufgehoben.

Links:
Der Strick der Gehenkten (Innsbrucker Nachrichten vom 26. August 1918)
Hinrichtung des Raubmörders Peter Rahner (Innsbrucker Nachrichten – Sonntagblatt vom 25. August 1918)

Landeck um 1905: Der Ausgangspunkt der geplanten Reschenbahn
Landeck um 1905: Der Ausgangspunkt der geplanten Reschenbahn; © Österreichische Nationalbibliothek, Ansichtskarten Online AKON

Am 1. April 1918 wurde in Tirol mit dem Bau einer Teilstrecke der bereits seit 1907 geplanten Reschenscheideckbahn (auch "Reschenbahn") begonnen. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden erste Ideen für einen Eisenbahnbau über den Reschenpass, um den Hafen Genua an Tirol und Süddeutschland anzubinden. Die Reschenscheideckbahn sollte dabei Tirol und Vorarlberg mit der norditalienischen Tiefebene verbinden. Das Projekt wurde aufgrund der Dringlichkeit anderer Verkehrsinfrastrukturprojekte immer wieder zurückgestellt. Als aber während des Ersten Weltkriegs Nachschubprobleme an der Südfront auftraten, gewann die Reschenbahn an strategischer Bedeutung, sodass die Bauarbeiten, an denen zahlreiche russische Kriegsgefangene teilnahmen, im Frühjahr 1918 begannen.

Nach dem Waffenstillstand vom 3. November 1918, dem verlorenen Krieg und der Teilung Tirols, wurden die Arbeiten eingestellt. Erst 1944 wurde wieder an einen Ausbau gedacht, der aber aus finanziellen Gründen nicht erfolgte. Trotzdem gibt es bis zum heutigen Tag immer wieder Überlegungen die alten Pläne aus dem Jahr 1907 umzusetzen.

Die Arbeitsbedingungen entlang der Trasse in den Tiroler Bergen waren im Sommer 1918 hart, insbesondere für die am Bau beteiligten Kriegsgefangenen. Der Allgemeine Tiroler Anzeiger versuchte am 27. August 1918 die Situation gewissermaßen zu erklären:

"Von Landeck angefangen bis hinauf zur Finstermünz regen sich tausend fleißige Hände, eine große Anzahl von Ingenieuren ist rastlos tätig und viele Abteilungen heimischer und fremder Arbeiter finden in den verschiedensten Beschäftigungen guten Verdienst. Die zum Teil durch frühere tirolerische Bahnbauten bekannten Baufirmen Mayreder, Kraus u. Co., Redlich und Berger, Dr. Karger und Ingen. Dr. Riehl teilen sich in die Bewältigung der Arbeit und die Oberleitung ist in die Hand eines Stabes technisch gebildeter Offiziere unter dem Kommando des Herrn k.u.k. Obersten Khu gelegt und sie alle sind mit ehrlich gutem Willen am Werke, den aus den verschiedensten Interessen heraus sich ergebenden Anforderungen und Wünschen gerecht zu werden. Schon heute jedoch scheint leider eine Bewegung im Zuge zu sein, welche diesen Willen zu stören sucht. In mehreren, in den Tagesblättern erschienenen Aufsätzen wurden Angriffe auf die am Bahnbau beteiligten Firmen und die Oberleitung des Bahnbaues unternommen, welche unter Umständen geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung zu untergraben […] In den erwähnten Aufsätzen wurde der Vorwurf erhoben, daß die beim Bahnbau beschäftigten fremden Arbeiter infolge zu geringer Fürsorge der Firmen in Lumpen gehüllt herumgehen müssen, daß sie die heimische Bevölkerung durch Betteln von Lebensmitteln belästigen und allerhand Diebstähle verüben. Die Arbeiter, heißt es, verdienen zwar viel Geld, dasselbe wird ihnen jedoch unter allerhand Titeln, wie Krankenkasse, Verpflegsartikelfassung usw., wieder aus dem Sacke gezogen. […] Es dürfte im Interesse der Bevölkerung des Bahnbaugebietes und seines Hinterlandes liegen, hiezu einige sachliche Aufklärungen zu geben. Daß fremde Arbeiter, besonders unter den gegenwärtigen schweren Zeiten der Lebensmittelknappheit, eine Belästigung der heimischen Bevölkerung darstellen, kann vernünftigerweise niemand in Abrede stellen. Jedoch sei die Tatsache hervorgehoben, daß nach Feststellung der in Frage gelangenden Gemeindevorstehungen von den am Bahnbau beteiligten Firmen stets in erster Linie darauf Rücksicht genommen wurde, die erforderlichen Hilfsarbeiter möglichst aus den Reihen der Einheimischen zu nehmen. […] So waren die Firmen also gezwungen, auf fremde Arbeiter zu greifen und sie unter Aufwand teilweise sehr großer Kosten von fernher, aus Polen usw., heranzuholen. Solche Leute kamen in vielen Fällen mit einer Bekleidung zum Bahnbau, die allerdings kein Festtagsgewand war. Das Kommando und die Einzelfirmen bemühten sich, die mangelnden Kleider und Wäsche, die heute auch für Einheimische im freien Ankauf nicht mehr erhältlich sind, durch die Kleider- und Stoffe-Zentralstellen zu beschaffen."

Links:
Zum Bau der Reschen-Scheideck-Bahn (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 27. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Die Gailtalbahn (30. Jänner 1918)

Die 4 schwedischen Holzhäuser in der Waldvogelgasse 2-8 in Wien-Hietzing
Die 4 schwedischen Holzhäuser in der Waldvogelgasse 2-8 in Wien-Hietzing; © Wiener Illustrierte Zeitung vom 28. Dezember 1918

Die Wohnungssituation war in Wien um die Jahrhundertwende bereits sehr angespannt. Während des Weltkrieges verschlimmerte sich die Situation weiter, da der Wohnungsbau nahezu zum Erliegen kam. Erschwert wurde die Situation durch den 1917 eingeführten restriktiven Mieterschutz, der Investoren keinen Anreiz bot neue Wohnungen zu errichten (Wohnungseigentum gab es damals noch nicht).

Um die Wohnungsnot zu lindern kam die Wiener Stadtregierung unter dem christlichsozialen Bürgermeister Richard Weiskirchner auf die Idee schnell zu errichtende schwedischen Holzhäuser versuchsweise zu importieren, von schwedischen Fachkräften errichten zu lassen und zu sozialen Konditionen zu vermieten. Die Neue Freie Presse berichtete am 28. August 1918:

"Die Gemeinde Wien hat sich bei dem Übereinkommen ausbedungen, daß kinderreiche Familien bevorzugt werden, und hat sich auch den Einfluß bei der Festsetzung der Mietzinse gewahrt. Der Beschluß wurde damals vom Gemeinderate unter Zustimmung sämtlicher Gemeinderatsparteien gefaßt. Die Übertragung der Bauten an eine gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft bürgt dafür, daß die Interessen der Gemeinde Wien in jeder Hinsicht gewahrt werden. Es werden vorläufig in Hietzing (Lainz) 4 Häuser und Kagran 3 Häuser, und zwar verschiedene Typen aufgestellt werden. Sollten sich die schwedischen Holzhäuser bewähren, so wird voraussichtlich in kürzester Zeit die Aktion in größerem Umfange aufgenommen werden. Da unsere Zimmerleute und Monteure mit der Zusammenstellung dieser Häuser infolge deren eigenartigen Konstruktionsweise nicht vertraut sind, wurden aus Schweden die erforderlichen Arbeitskräfte hierher berufen."

Das Projekt stieß aber auch auf Kritik: Die Arbeiterzeitung bemängelte etwa die "Einschiebung eines privaten Geschäftsmannes" und kritisierte, dass die Stadt das Projekt nicht selbst durchführte. Nicht ganz zu Unrecht merkte die Arbeiterzeitung außerdem an, dass die Wiener Wohnungsnot mit den vergleichsweise kleinen Holzhäusern nur schwer zu lösen wäre und die "sehr praktischen und schmucken schwedischen Holzhäuser" zu einem "neuen Spielzeug [für] bürgerliche Snobs" verkommen könnten.

Tatsächlich waren die importierten Häuser aufgrund von Inflation, Diebstählen und baulichen Problemen vergleichsweise teuer wie die Reichspost am 12. Dezember 1918 meldete; außerdem kam es bei der Errichtung der Häuser in Ober St. Veit zu Wassereinbrüchen in den Kellern, was die Kosten in die Höhe trieb. 1919 sollte die mittlerweile sozialdemokratische Stadtregierung die Holzhäuser trotzdem erwerben, um sie dem ursprünglichen Zweck zuzuführen und günstig zu vermieten.

Die 4 Holzhäuser für Arbeiterfamilien befanden sich in der Kagraner Maurischgasse gegenüber der Erzherzog Carl Kaserne (die 2006 großteils für einen Wohnpark abgetragen wurde). Die anderen 4 Häuser standen in der Waldvogelgasse 2-8 in Ober St. Veit und waren für mittelständische Familien gedacht. Heute existieren die Häuser nicht mehr; diejenigen in der Waldvogelgasse (siehe Abbildung), mussten 1962 einem schmucklosen Wohnblock weichen.

Links:
Aufstellung der ersten schwedischen Holzhäuser in Wien (Neue Freie Presse vom 28. August 1918) 
Schwedische Hausbauten in Wien (Arbeiterzeitung vom 27. August 1918) 
Die schwedischen Holzhäuser in Wien im 13. Und 21. Bezirk beinahe fertig (Reichspost vom 12. Dezember 1918)

Postwagen, der von Ochsen gezogen wird
"Aerger als in der guten alten Zeit. Der Ochsen-Postillion"; © Neuigkeits-Welt-Blatt vom 29. August 1918

Der Erste Weltkrieg brachte in vielen Belangen Mängel mit sich. Von der Lebensmittelnot über die Wohnungsnot und Materialnot betrafen die Einschränkungen auch den Verkehr. In Schwaz in Tirol griff man im letzten Kriegsjahr auf Postkutschen zurück, die von Ochsen gezogen wurden. Das Neuigkeits-Welt-Blatt berichtete darüber am 29. August 1918.

"Die Weltkriegszeit hat wahrlich genug Umwälzungen im Verkehrsleben gebracht. In der Großstadt mußte an der Stelle von Straßenbahnschaffnern und Postboten Frauen treten und statt den von Pferden gezogenen Postkarriols begegnet man ratternden Postautomobilen oder Straßenbahnwagen für Paketfrachttransport zu den Bahnhöfen. So gut hat man 's auf dem Land nicht. Dort muß die Post bei 'animalischen' Zug bleiben. Und weil 's nun an Pferden schon recht stark mangelt, greift sie notgedrungen zu andern Kräften. Die braven Ochsen müssen da herhalten, und richtig ist jetzt in Schwaz in Tirol die k.k. Post mit Ochsenbespannung in Betrieb. Auf dem Bock thront der Postillion in Feldgrau, ohne das traditionelle messingene Horn – das hat die Heeresverwaltung ins Feld geholt – neben ihm der Postdiener, und vor dem Karriol stehen zwei feste 'Schecken' im Zug, die Schritt vor Schritt das Postwagerl dahinziehen sollen. Langsam geht 's, aber – es geht! Wie so vieles in dieser harten Zeit schlecht und recht gehen muß. Aber wer weiß, wie bald bei der herrschenden Schlachtviehnot auch die stämmigen Ochsen zur Schlachtung 'requiriert' sein werden und was dann? Unser Titelbild führt das seltsame Kriegs-Postfuhrwerk in Schwaz vor Augen, das wohl auch an andern Orten schon bestehen mag. Nur gut, daß keine Fahrgäste mit dieser Post fahren müssen; sie kämen zu Fuß wohl ebenso schnell ans Ziel."

Links:
Aerger als in der guten alten Zeit. Der Ochsen-Postillion (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 29. August 1918) 
Heute vor 100 Jahren: Die Überlastung des öffentlichen Verkehrs (3. August 1918)