Am 10. August 1918 nahm das neue Ministerium für Volksgesundheit in der Wiener Gluckgasse 1 seine Tätigkeit auf. Dieses Ministerium, Vorgänger des heutigen Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, gilt als erstes Sozialministerium in Europa. Bereits am 24. November 1917 erging die "Allerhöchste Entschließung" Kaiser Karls zur Errichtung des Ministeriums; am 27. Juli 1918 wurde das entsprechende Gesetz beschlossen, das am 10. August 1918 in Kraft trat. Die Wiener Zeitung veröffentlichte am 10. August 1918 im "amtlichen Teil" alle relevanten Informationen über das neue Ministerium (Beamtenschaft, Wirkungskreis und Aufgaben usw.). Allerdings stürzten sich die damaligen Zeitungen vor allem auf eine der ersten Verordnungen des Ministeriums für Volksgesundheit:
"Die Wiener Zeitung veröffentlicht eine Verordnung des Ministeriums für Volksgesundheit vom 8. d. M. über die Uniformierung der dem Ressort dieses Ministeriums angehörenden Staatsbeamten (Sehr wichtig!)..."
(Grazer Tagblatt am 10. August 1918).
Tatsächlich lautete die Verordnung wie folgt: "Auf Grund Allerhöchster Entschließung vom 8. August 1918 wird in Ergänzung des §5 der mit der Verordnung des Gesamtministeriums vom 20. Oktober 1889, R.G.Bl. Nr. 176, erlassenen Vorschrift über die Uniformierung der k.k. Staatsbeamten als Farbe für die Uniformkragen und für die Ärmelaufschlage, dann, für die an den Uniformen anzubringenden Passepoils und die Parolis am Mantelkragen der dem Ressort des Ministeriums für Volksgesundheit angehörigen Staatsbeamten 'Schwarz' festgesetzt."
Mit schwarzem Humor verwiesen einige Journalisten darauf, dass die Farbe "Schwarz" gut in die Zeit passe (Krieg, Spanische Grippe, Hungersnot…).
Beamtenuniformen mussten in der Monarchie privat angeschafft werden, genossen aber hohes Sozialprestige, sodass deren Anschaffungskosten von den "Berechtigten" bereitwillig in Kauf genommen wurden. Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Gründung der Republik brachten das Ende der Beamtenuniformen, wobei deren Wiedereinführung während der Kanzlerdiktatur unter Engelbert Dollfuß angedacht aber nicht umgesetzt wurde.
Zum letzten Mal trat ein österreichischer Beamter – der Gesandte Anton Retschek – bei einem offiziellen Anlass in Brasilien im Jahr 1948 in einer k.u.k Vizekonsuls-Uniform auf, was in Wien allerdings Verwunderung hervorrief. Noch im selben Jahr wurde diese Praxis untersagt. (Rudolf Agstner, Handbuch des österreichischen Auswärtigen Dienstes, Band 1: 1918-1938, Zentrale, Gesandschaften, und Konsulate, Wien 2015)
Links:
Die ersten Verordnungen des neuen Ministeriums (Grazer Tagblatt vom 10. August 1918)
Verordnung des Ministeriums für Volksgesundheit vom 8. August 1918 (Wiener Zeitung vom 10. August 1918)
Heute vor 100 Jahren berichteten die Innsbrucker Nachrichten von einer adeligen Dame, die als Kupplerin vor Gericht stand:
"Vor einem Erkenntnissenat unter Vorsitz des Oberlandesgerichtsrates Doktor Schulz hatte sich die gestern dem französischen Adel angehörende Sprachlehrern Dorothea d'Albuquerk wegen Verbrechens der Kuppelei zu verantworten. Die Angeklagte ist seit Beginn des Krieges Sprachlehrerin und unterhielt hier in Wien eine kleine Sprachschule. Ihr Mann weilt derzeit im Felde und sie hat für sich und den Unterhalt ihrer Tochter aufzukommen. Da es ihr im letzten Winter nicht besonders gut ging, kam sie, verleitet durch die seither flüchtig gewordene bekannte Kupplerin Herschmann, auf den Gedanken, ihre Tochter reichen Finanzleuten und Aristokraten zuzuführen. Wie die Erhebungen ergaben, hat die Beschuldigte daraus nachweislich einige tausend Kronen Nutzen gezogen. In der geheim durchgeführten Verhandlung wurde Dorothea d'Albuquerk durch das Beweisverfahren überführt und zu fünf Monaten schweren Kerkers, verschärft durch ein hartes Lager monatlich, sowie zum Adelsverlust verurteilt."
Der Straftatbestand der Kuppelei fällt im Strafgesetz aus dem Jahr 1852 unter den Punkt "Nothzucht, Schändung und andere schwere Unzuchtsverbrechen." Der Kuppelei strafbar machten sich Personen, die ein Autoritätsverhältnis ausnützten (Eltern, Vormund, Erzieher usw.) und Schutzbefohlene missbrauchten. Auch heute ist die Kuppelei in Österreich verboten und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft. Sollte aus dem Missbrauch des Autoritätsverhältnisses allerdings ein wirtschaftlicher Vorteil gezogen werden, handelt es sich um Zuhälterei, die mit bis zu 5 Jahren Haft bestraft wird.
Links:
Aus Not die Tochter verkuppelt (Innsbrucker Nachrichten vom 11. August 1918)
Weiterlesen: Strafgesetz 1852 (PDF, siehe dort das "Vierzehnte Hauptstück" ab Paragraph 125)
Das Salzburger Volksblatt berichtete am 12. August 1918 über die Wahl Dr. Ignaz Rieders zum neuen Fürsterzbischof in Salzburg. Sein Vorgänger Balthasar Kaltner, der erst 1914 sein Amt angetreten hatte, war rund einen Monat zuvor, am 6. Juli 1918, verstorben:
"Unter dem üblichen Gepränge hat heute vormittags in der Ruperti-Kapelle des Domes die Wahl des Nachfolgers Doktor Kaltners auf dem Bischofstuhle des Erzbistums Salzburg stattgefunden. Die Erinnerung an den dahingegangenen Kirchenfürsten läßt den innigen Wunsch haben, daß die über dem Portale des Domes in Stein gegrabenen Worte: 'In diesem Hause wird der Name Gottes angerufen', über der Stunde walteten, in der die Nachwahl sich vollzog. Das Recht der freien Bischofswahl steht in Österreich außer dem Metropolitankapitel in Olmütz nur noch dem von Salzburg zu […] Nach dem Gottesdienste vollzog sich der Wahlakt in der Ruperti-Kapelle. Es hatten sich eingefunden alle aktiven Mitglieder des Metropolitankapitels und die Ehrendomherren, deren es gegenwärtig in Salzburg drei gibt. Diese wohnten als Zeugen (ohne Stimmrecht) bei […] Nach vollendeter Wahl begaben sich die Domkapitulare Gruber und Msgr. Obweger in das Regierungsgebäude, um dem Landespräsidenten die Mitteilung zu machen, daß das Domkapitel den Weihbischof Dr. Ignaz Rieder zum Fürsterzbischof erwählt habe. Hierauf begab sich der Landespräsident in die Ruperti-Kapelle und beglückwünschte den Neugewählten, der erklärte, die Wahl anzunehmen. Mit einem feierlichen Te Deum fand die Feier in der Domkirche ihren Abschluß."
Ignaz "Ignatius" Rieder war der letzte Fürsterzbischof Salzburgs, der in freier Wahl vom Domkapitel gewählt wurde, später wurde der Fürsterzbischof (ab 1951 "Erzbischof") nach einem Dreiervorschlag durch den Vatikan ernannt.
In den wirtschaftlich schwierigen Jahren nach dem Zusammenbruch der Monarchie kümmerte sich betont konservative Rieder (er hielt bis zu seinem Tod 1934 Kontakt zu Mitgliedern der ehemaligen kaiserlichen Familie) vor allem um die Kindeswohlfahrt und den noch jungen Caritasverband. Besonders belastete Rieder die nach 1918 erstmals signifikant steigenden Kirchenaustritte.
Links:
Die Wahl des neuen Fürsterzbischofs (Salzburger Volksblatt vom 12. August 1918)
Weiterlesen: Ignaz Rieder (Salzburg-Wiki)
Im Krieg litten nicht nur Menschen unter dem Lebensmittelmangel. Auch Tiere blieben davon nicht verschont. Im Schönbrunner Zoo führte der Erste Weltkrieg zu einer ernsten Katastrophe, denn nach und nach mussten Gehege geschlossen werden, weil die Tiere verhungerten. Die Österreichische Volkszeitung berichtete am 13. August 1914 folgendes:
"Wie wir vor einigen Tagen berichteten, ist in der Schönbrunner Menagerie das Giraffenhaus geschlossen worden, da die letzte der Giraffen eingegangen ist. Es war ein junges Tier, das mangels anderer Futtermittel mit Pferdebohnen ernährt wurde, aber trotzdem nicht erhalten werden konnte […] Daß in einer Zeit, in der für die Menschen nicht genug Nahrungsmittel zu haben sind, die Not an den Schönbrunner Tierhäusern nicht vorübergeht, ist selbstverständlich. Die armen Tiere leiden jetzt stark unter dem Futtermangel, und wenn man die Wärter frägt, warum dieses und jenes Tierhaus geschlossen worden ist, heißt es lakonisch: 'Ausgestorben!' Viele der Lieblinge der Wiener sind dem über vier Jahre dauernden Krieg zum Opfer gefallen. Von der Elefantenfamilie ist nur mehr das 'Mädi', das in Wien zur Welt kam, am Leben; die Mama 'Mizzi' ging bereits 1916 ein, ihr folgten der trauernde Vater 'Pepi' und die Schwestern 'Gretl' und 'Lori' […] Von den zahlreichen Affen, die im Sommer die schaulustige Menge amüsierten, sind mangels der erforderlichen Nahrung (Südfrüchte, Brot, Obst re.) fast alle eingegangen. Nur mehr zwei Affen bewohnen das Affenhaus und nähren sich kümmerlich von dem bißchen Polenta, das sie bekommen […] Einige Löwen wurden an die Budapester Menagerie verschenkt. Die noch vorhandenen Raubtiere, von denen viele ein Vermögen gekostet haben, werden mit Pferdefleisch gefüttert […] Viele Rinderarten sind ganz verschwunden. Zum Teil sind die Tiere eingegangen, zum Teil sind sie an andere Institute verschenkt worden. Die Rehe und Hirsche werden ja nach dem Kriege leicht ersetzt werden können; nicht so leicht aber die Lamas, die Zebras, von denen nur mehr drei übrig blieben, und manche exotische Gattungen. Die Reptilien (darunter eine große Riesenschlange) sind ganz eingegangen, ebenso die kleinen Raub- und Nagetiere, viele Strauße, Papageien, Raub- und Sumpfvögel, die ohne Körnerfrüchte oder Fleischnahrung nicht erhalten werden können. Vielfach wurde mit Ersatzmitteln gefüttert, aber die Tiere gedeihen dabei ebensowenig als die Menschen."
Links:
Die hungrige Menagerie. Eingegangene Schönbrunner Lieblinge (Österreichische Volks-Zeitung vom 13. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Krieg und der Eisbär (11. Mai 1918)
"Heute nachts ist Ernst Thunstraße 9 Herr Hans Pöck, akademischer Maler, Vizepräsident des Salzburger Kunstvereines, 62 Jahre alt, gestorben" meldete am 14. August 1918 das Salzburger Volksblatt.
Der spätere Genre- und Landschaftsmaler Hans Pöck kam 1855 in Wiener Neustadt zur Welt und war als junger Künstler Mitglied der "Osternberger Kolonie", einer in Oberbayern – unweit vom österreichischen Braunau – gelegenen Künstlerkolonie, die von 1878 bis 1924 Bestand hatte. Die Künstler, unter ihnen Franz von Stuck, verbrachen die Sommermonate auf einem großen Gutshof in Osternberg, lebten aber nicht permanent in der Kolonie. Ab 1895 verlor die die "Osternberger Kolonie" an Bedeutung, übte aber trotzdem auf die Gründung der Münchner Sezession einen wichtigen Einfluss aus.
Hans Pöck, für den zu Jahresende 1918 in Salzburg im Künstlerhaus eine Gedächtnisausstellung veranstaltet wurde, galt unter Zeitgenossen als "guter, sauberer Arbeiter": "Es steckt in den Bildern Pöcks nichts Großzügiges, Unerhörtes oder Hinreißendes. Er war ein guter, sauberer Arbeiter, der eine gewisse Helligkeit und Freudigkeit schon in der Wahl seiner Motive bevorzugte und wahrscheinlich hatte er auch nie den Ehrgeiz, mehr zu sein und über die Grenzen seiner schönen, aber nicht eben umfangreichen Begabung hinauszulangen. Dabei liebte er es, als Landschafter stets stark profilierte Menschengruppen in den Hintergrund hineinzukomponieren, und besonders bei seinem 'Ackernden Bauer' und bei dem vortrefflichen, an Max Liebermann gemahnenden Bilde 'In Sorge', erzielt er damit starke Effekte."
Hans Pöck wurde am 16. August 1918 am Salzburger Kommunalfriedhof bestattet.
Links:
Todesfälle (Salzburger Volksblatt vom 14. August 1918)
Künstlerhaus (Salzburger Volksblatt vom 15. April 1919)
Über die Aktion "Kinder aufs Land" wurde bereits am 15. Juni berichtet, doch es wurde auch weitere Jugendliche zur Erholung aufs Land geschickt – nämlich Lehrlinge. Im Juli, August und September 1918 wurden 300 männliche und 300 weibliche Lehrlinge für vier Wochen in Hollabrunn (bis 1928 "Oberhollabrunn") untergebracht. Das Interessante Blatt berichtete am 15. August 1918:
"Sie gehören ja auch noch zu den Kindern, unsere Lehrlinge. Und bedürfen derselben Fürsorge, wie die schulpflichtigen Kleinen. Es ist deshalb zu begrüßen, daß eine Aktion für die Lehrlinge einsetzte, die, wie ersichtlich, mit schönem Erfolg schafft. Vorige Woche trat die erste Partie von Wiener Lehrlingen ihre Ferienreise an, die in das ehemalige Flüchtlingslager in Oberhollabrunn zogen, um in dem der Gemeinde Wien gehörenden Teil ein paar Wochen Erholung zu finden. […] Schulinspektor Rummelhart meldete dem Bürgermeister [Richard Weiskirchner, von 1913–1919 Bürgermeister von Wien], daß 300 jugendliche Lehrlinge nach Oberhollabrunn unter der Aufsicht eines pädagogischen Leiters und acht Begleitpersonen abgehen. Er dankte dem Bürgermeister, daß er als Präsident der Lehrlingsfürsorgekommission diese Aktion, welche von hervorragender sozialer Bedeutung sei, so tatkräftig unterstützte und für die Beistellung der Lebensmittel sorgte. In seiner Erwiderung wies der Bürgermeister auf die hohe Wichtigkeit der Erhaltung des Gewerbestandes hin. Ohne den Handwerkerstand sei ein tüchtiger selbstbewußter Bürgerstand nicht denkbar. Es sei aber ebenso notwendig für die Zukunft eines tüchtigen Gewerbestandes Sorge zu tragen, und die Entsendung von Lehrlingen erstrebe diesen Zweck."
Im 6.000 Personen fassenden Flüchtlingslager Oberhollabrunn waren vor allem Flüchtlinge aus der Bukowina und den rumänischsprachigen Gebieten der Monarchie untergebracht, die im letzten Kriegsjahr wieder in ihre jeweilige Heimat zurückkehren konnten. Das ehemalige Flüchtlingslager Lager wurde nach dem Ersten Weltkrieg von der Stadt Wien kurz Zeit für die Lehrlingsausbildung weiterverwendet. Anschließend wurde das Areal von der Stadt Hollabrunn erworben, parzelliert und für Wohnzwecke verbaut.
Links:
Wiener Lehrlinge aufs Land (Das interessante Blatt vom 15. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Kinder aufs Land (15. Juni 1918)
Im Sommer 1918 kam es vor allem in Niederösterreich und der Steiermark zu zahlreichen Unwettern und Hochwässern, die zu Ernteausfällen führten und sich auch auf die Tierwelt auswirkten. Die Innsbrucker Nachrichten berichteten am 16. August über das Verhalten der Wildtiere bei Hochwasser:
"Alles Schalenwild, einschließlich der Rehe, die entgegen der gewöhnlichen Annahme durchaus nicht wasserscheu sind, vermag sich in den meisten Fällen zu retten, wenn es nicht unvermutet hereinbrechenden Sturzbächen zum Opfer fällt. Dagegen legen die meisten Niederwildarten eine geradezu unbegreifliche Unbeholfenheit an den Tag. Hasen und Wildkarnikel gehen rettungslos zugrunde. Der Hase sucht, wenn die Wassersnot ihn überrascht, zunächst einen höher gelegenen Punkt, oder einen schräg liegenden gestürzten Baum zu gewinnen und verläßt diesen nicht mehr; steigt das Wasser weiter und ist kein schützendes Ufer in leicht erreichbarer Nähe, so ist er verloren. Noch unbegreiflicher ist es, daß der Fasan sich ganz ähnlich verhält. Als die Salzach einmal über ihre Ufer getreten war und einen großen Teil der Felder und Wiesen überschwemmt hatte, sah man auf einem höher gelegenen Punkt, der sich als kleine Insel aus dem Wasser erhob, eine Anzahl Hühner, die sich hin und her bewegten. Als das Wasser immer höher stieg und nur noch wenige Quadratmeter daraus hervorragten, behaupteten sie ihren Platz weiter; erst am fünften Tage war die kleine Insel verschwunden und mit ihr die Hühner, deren Schicksal jedoch nicht festgestellt werden konnte. Die Feldhühner, die oft stundenlang streichen, suchten jedenfalls längere Zeit nicht auf dem nächstliegenden Wege, durch die Luft zu entrinnen. Bei Hochwasser werden in der Regel auch tote Hühner und Fasanen gefunden."
Links:
Wild in Hochwassernot (Innsbrucker Nachrichten vom 16. August 1918)
Heute vor 100 Jahren: Das Unwetter in den Gemeinden Gschaid bei Birkfeld, Weiglhof, Außeregg und Weißenegg (16. Juli 1918)
Am Samstag, dem 17. August 1918, beging das offizielle Österreich-Ungarn den 31. Geburtstag Kaiser Karls. Der einfachen Bevölkerung war allerdings weniger zu Feiern zumute. Die Fotografie vom Markt Am Hof in der Wiener Inneren Stadt, die genau an diesem Tag aufgenommen wurde, zeigt Personen, die mit aller Wahrscheinlichkeit um eine kleine Ration Kartoffeln anstehen:
"Heute Samstag, morgen Sonntag und Montag den 19 d. werden in der Inneren Stadt, in der Leopoldstadt, auf der Wieden und auf der Landstraße Frühkartoffeln, und zwar ein halbes Kilogramm für den Kopf zum Preise von 54 Heller abgegeben."
So lautete die Ankündigung in der Arbeiter-Zeitung an diesem Samstag im August 1918. Die Lebensmittelsituation war in Österreich knapp vor Kriegsende katastrophal, sodass es vor allem in den Städten praktisch an Allem mangelte; also folgte auf den fleischlosen Freitag das Wochenende mit der frugalen Kartoffelabgabe, wobei die Kartoffeln trotz Bezahlung jeweils nur gegen Abgabe des entsprechenden Abschnitts der "Kartoffelkarte" ausgefolgt werden durften. Aber auch auf dem Land war der Hunger mittlerweile allgegenwärtig. In derselben Ausgabe der Arbeiter-Zeitung vom 17. August ist unter dem Titel "Gefallen für Rüben und Aehren" folgendes zu lesen:
"Am Sonntag ging die Mutter des Bergmannes Piflik in Bisen bei Schlan [heute Slaný in Böhmen] auf ein Rübenfeld und riss etwas Rübenkraut ab. Als der Wächter Sokol das sah, nahm er ihr den Rückenkorb weg. Daraufhin kam der Bergmann selbst und versuchte, dem Wächter den Korb zu entreißen. Dabei kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Wächter einen Revolver zog und den Piflik durch einen Schuß niederstreckte. – Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich beim Sammeln von Aehren in Großkowitz bei Schlan, wo ein Wächter eine Frau mit einem Spaten bearbeitete, so daß sie bald darauf den Verletzungen erlag."
Links:
Kartoffelabgabe (Arbeiter-Zeitung vom 17. August 1918)
Gefallen im Kampfe um Rüben und Aehren (Arbeiter-Zeitung vom 17. August 1918) Heute vor 100 Jahren: Heute vor 100 Jahren: Die Einführung von Kartoffelkarten (20. Oktober 1917)
Am 18. August 1918 erschienen zwei durchaus originelle Werbeannoncen im Allgemeinen Tiroler Anzeiger:
"100 Kronen Belohnung – demjenigen, der nachweist, daß auch nur ein Glückspackerl den Preis von 20 Heller nicht wert ist. Restenkönig. Neben Café Katzung."
"Hausierer – finden einige billige Partien beim Restenkönig. Neben Café Katzung. Schriftliche Anfragen werden nicht beantwortet."
Tatsächlich wurde im Jahr 1914 in der Innsbrucker Herzog-Friedrich-Straße 14 unmittelbar zwischen dem bis heute bestehenden Café Katzung auf Nummer 16 und dem Weinhaus Happ ein Wäschegeschäft mit dem Namen "Zum Restenkönig" gegründet. Heute befindet sich genau an der Stelle, wo damals der Eingang des "Restenkönigs" war, nach wie vor ein Wäschefachhandel.
Gegründet wurde der "Restenkönig" von Ludwig Palmers, der ursprünglich Ludwig Perlhefter hieß, sich aber nach seiner Konvertierung vom Judentum zum Protestantismus ab 1904 Palmers nannte. Schon wenige Jahre nach der Gründung expandierte das Unternehmen in andere österreichische Städte und wurde ab 1926 unter dem Namen "Palmers und Söhne" zu einer der bis heute bekanntesten und wertvollsten österreichischen Marken.
Jüdische Österreicherinnen und Österreicher als auch Kovertierte waren bereits im späten 19. Jahrhundert antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt, die in den letzten Kriegsjahren solche Ausmaße annahmen, dass sich die jüdischen Gemeinden Österreichs im Juli 1918 dazu veranlasst sahen eine Resolution an die Regierung zu verfassen. In der Ersten Republik verschlimmerte sich die Situation allerdings weiter. Gegen Palmers beziehungsweise den "Restenkönig" gab es in Innsbruck konkrete antisemitische Kampagnen, sodass eine von Ludwig Palmers persönlich gezeichnete Anzeige im Tiroler Anzeiger vom 5. September 1923, in dem das Unternehmen versicherte, dass im "Restenkönig" nur Christen und "niemals ein Jude" beschäftigt gewesen sei, als Versuch zu werten ist antisemitischen Geschäftsboykotten zu entgehen (seit 1918 wurden sogar "deutschösterreichische", später "arische Geschäftsweiser" veröffentlicht, um jüdische Geschäftsleute oder solche mit jüdischen Wurzeln zu boykottieren).
Nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wurde das Unternehmen "Palmers und Söhne" auf nichtjüdische Familienmitglieder übertragen. Ludwig Palmers wurde zur Hinterlegung einer hohen Sicherheitszahlung für die "Reichsfluchtsteuer" sowie zur Zurücklegung der Gewerbeberechtigung gezwungen. Er starb 1943 in Dresden und wurde 1950 auf dem Grinzinger Friedhof in Wien begraben.
Links:
100 Kronen Belohnung (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 18. August 1918)
An die Verwaltung des "Tiroler Anzeiger" und "Volksbote" in Innsbruck (Tiroler Anzeiger vom 5. September 1923)
Heute vor 100 Jahren: Resolution der jüdischen Kultusgemeinde gegen den Antisemitismus (28. Juli 1918)
Am 19. August 1918 kritisierte die Illustrierte Kronen-Zeitung die Beschlagnahmung von Lebensmitteln und deren Verteilung. Die Lebensmitteln sollten den "Ortsarmen" zugutekommen – doch oftmals landeten die beschlagnahmten Waren nicht bei den Bedürftigen:
"Gar mancher wird sich schon den Kopf zerbrochen haben, was mit den vielen Lebensmitteln geschieht, die auf Bahnhöfen und auf Landstraßen, den armen Leuten, die sie mühsam erworben haben und im Rucksack mit sich schleppen, abgenommen werden. Man bezeichnet diese Leute, die von den Gendarmen oder Finanzern so schwer gestraft werden, als Hamster oder Schmuggler und findet, daß für solche Personen die Beschlagnahme der Lebensmittel noch die geringste Strafe ist. Und doch tut man diesen Leuten unrecht, wenn man sie Hamster oder Schmuggler nennt. Verdient eine Mutter den Namen Hamster oder Schmugglerin, die zu Hause drei Kinder hat und eine stundenlange Wanderung unternimmt, um sich in den glücklichen Besitz von 15 oder 20 Kilo Kartoffeln zu setzen? […] Der Wirrwarr, der auf diesem Gebiete herrscht, ist so groß, daß sich viele Schwindler das zunutze machen. Auf Lokalstrecken in Steiermark hat ein Gauner daraus Vorteil gezogen und mit einigen Komplizen die Reisenden regelrecht geplündert. Namentlich den Frauen wurden alle Lebensmittel abgenommen und die Schwindler, die widerrechtlich Uniformen trugen, verkauften dann die 'beschlagnahmten' Lebensmittel zu hohen Preisen. Gar oft heißt es, daß konfiszierte Eßwaren für die Ortsarmen bestimmt seien. Wie es aber in Wirklichkeit mit der Versorgung der Ortsarmen aussieht, darüber gibt ein Vorkommnis Aufschluß, das vor ganz kurzer Zeit in einem Orte Steiermarks, der nahe an der niederösterreichischen Grenze liegt, passiert ist. Hat dort ein biederer Steirer, der über den Besitz von vier Schafen verfügte, das Plänchen gefasst die geduldigen Lämmer in der Ghoam [Mundart für "Im Geheimen"] über die Grenze zu bringen und sie auf niederösterreichischem Gebiete mit tüchtigem Profit zu veräußern […] Schon schien das Unternehmen zu glücken, da wuchs plötzlich noch auf steirischem Boden ein Gendarm förmlich aus dem Boden und hielt den zu Tode erschreckten Schmuggler an. Nach kurzer Aufnahme des Tatbestandes brachte das Auge des Gesetzes den um seine schönsten Hoffnungen betrogenen Steirer mit seinen vier Schafen in den Heimatort zurück. Dort erkannte die Obrigkeit den Verhafteten der Gesetzesübertretung für schuldig und konfisziere ihm die vier Schafe mit der Anordnung, daß diese für die Ortsarmen abzugeben seien. Gegen die Entscheidung wäre nichts einzuwenden, hätte doch dadurch eine Anzahl armer und hungriger Leute unverhofft ein gutes Stück Fleisch erhalten, indessen Entscheidung und Erledigung ist zweierlei. Die Schafe wurden auch verteilt, aber an folgende 'Ortsarme': an die beiden Gastwirte und an die zwei Männer, welche die Aufgabe haben, als bewaffnete Vertreter des Gesetzes für Ruhe, Ordnung, Zucht und Sitte, Sicherheit und Redlichkeit im dortigen Bezirke zu sorgen."
Links:
Für die "Ortsarmen" (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 19. Juli 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Kampf um die Erdäpfel (7. August 1918)