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Ihre Position: Oesterreich100.at - Von Tag zu Tag 1917 bis 1919
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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

Die Handgranate als Faßschläger
"Die Handgranate als Faßschläger"; © Illustrierte Kronen-Zeitung vom 30. August 1918

Am 30. August warnte die Illustrierte Kronen-Zeitung davor als Souvenir aus dem Feld mitgebrachtes Kriegsmaterial zuhause aufzubewahren oder gar damit zu hantieren. Immer wieder kam es zu Unfällen mit Geschoßen oder Handgranaten, wobei sehr oft Kinder betroffen waren. Ein besonders krasser Fall ereignete sich im August in der Klagenfurter Rudolfskaserne in der Mießtalerstraße 11 (heute befindet sich dort neben Wohnungsneubauten das Militärkommando Kärnten):

"Der Feldwebel Josef Ebner benützte in der Kantine der Rudolfskaserne in Klagenfurt eine Handgranate, die sich seit Jahr und Tag in der Kantine als Blindgänger befand, dazu, damit – ein Faß Wein anzuschlagen. Die Granate explodierte und richtete schreckliches Unheil an. Der Feldwebel wurde in Stücke zerrissen. Der Wirtin, einer Feldwebelswitwe, wurden durch die Sprengstücke Brust und Unterleib aufgerissen. Die Kantine wurde zum Teil zerstört. Die Frau ist kurz nach ihrer Ankunft im Krankenhaus verschieden. Bemerkenswert ist, daß schon wiederholt Offiziere und Mannschaftspersonen verschiedene Versuche mit der Granate gemacht hatten, ohne daß sie explodiert wäre."

Link:
Die Handgranate als Faßschlögel (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 30. August 1918)

Gustav Mäurer, Wien 1927
Gustav Mäurer, Wien 1927; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 31. August kündigte die Floridsdorfer Zeitung den Beginn des neuen Unterrichtsjahres der Musikschule Gustav Mäurer in Wien-Floridsdorf tags darauf an:

"Die Musik- und Gesangschulen Maeurer, 21. Bezirk, Floridsdorfer Hauptstraße Nr. 29 und Nr. 26, beginnen morgen, den 1. September d. J. ihr neuntes Schuljahr. Der Inhaber und Direktor der Schulen, Violin-Virtuose Gustav Maeurer, hat als neue Lehrkräfte für die vollständige Ausbildung im Sologesang für Oper, Konzert und Oratorium die Assistenten der k.k. Kammersängerin Frau Prof. Papier-Paumgartner, die Konzert- und Opernsängerin Frau Mary Fischer-Stern engagiert. Es ist dies abermals ein Beweis, wie sehr es Herrn Maeurer daran gelegen ist, auch in unserem Bezirk das Musikstudium in der künstlerischsten Weise zu pflegen. Maeurer kündigt auch die Gründung einer Chorschule unter Leitung der Gesangmeisterin Frau Fischer-Stern an. Die Lauten- und Gitarre-Kurse, Fachlehrer Herr Karl Kolatschka, zeigen bereits eine solch außerordentliche Beliebtheit, daß die Einrichtung zweier Parallelklassen notwendig wurde. Auch alle übrigen Lehrfächer weisen eine steigende Schülerfrequenz auf, was von der Beliebtheit des Instituts Maeurer und dessen bekannt tüchtigen Lehrkörpers zeugt."

Gustav Mäurer kam 1880 in Wiesbaden zur Welt, studierte Violine unter anderem in Leipzig, London und bei Karl Prill in Wien. Seit seinem 13. Lebensjahr trat Mäurer öffentlich als Musiker auf, spielte 1905 erstmals in Wien und unternahm ausgedehnte Konzertreisen. Im Jahr 1910 gründete er in Wien eine Musik- und Gesangsschule und 1924 eine weitere Schule für Violine. Bereits 1920 wurde er zum Präsidenten des Weltmusik- und Sängerbundes gewählt und konnte 1927 das Internationale Musikarchiv und die Beethoven-Schubert-Gedächtnisstiftung gründen. Mäurer betätigte sich auch als Komponist und war mit zahlreichen Größen der Musik freundschaftlich verbunden, darunter Arnold Schönberg und der berühmte finnische Komponist Jean Sibelius, der in jungen Jahren ebenfalls in Wien studierte. Zuletzt lebte Gustav Mäurer er an der vornehmen Wiener Adresse Tuchlauben 17. Er Mäurer verstarb 88-jährig im Oktober 1968 und wurde am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Links:
Die Musik- und Gesangsschulen Maeurer (Floridsdorfer Zeitung vom 31. August 1918) 
Inserat der Musikschule Mäurer (Floridsdorfer Zeitung vom 31. August 1918)

Französischunterricht in der Schwarzwaldschule, dem ersten Mädchenrealgymnasium Wiens
Wien – Innere Stadt, Wallnerstraße 9, um 1935: Französischunterricht in der Schwarzwaldschule, dem ersten Mädchenrealgymnasium Wiens; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 1. September 1918 berichtete der Niederösterreichische Grenzbote von der dringenden Notwendigkeit der Erziehung weiblicher Jugendlicher zu mehr Selbstständigkeit:

"Obwohl schon viele Leute vor Ausbruch des Krieges die Notwendigkeit erkannt haben, auch den Mädchen nach Abschluß der Schule eine weitere Fortbildung zu ermöglichen, haben die meisten erst jetzt erfahren müssen, was ihnen an Wissen und Kenntnissen noch fehlt, um im Leben – nötigenfalls auch ohne fremde Hilfe – bestehen zu können. Für die Fortbildung der schulentwachsenen Mädchen muß heute der Grundsatz gelten, daß jedes Mädchen für irgend einen Beruf ganz ausgebildet sein muß, um sich nötigenfalls eine Lebensstellung erwerben zu können."

Unter Kaiserin Maria Theresia wurde bereits 1774 die Allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Knaben eingeführt. Allgemeinbildung für Mädchen wurde aber trotzdem stiefmütterlich behandelt; durch hausfrauenspezifische Ausbildungen wurden Mädchen und junge Frauen in gesellschaftlich untergeordnete Rollen gedrängt. Die noch im 18. Jahrhundert gegründeten Mädchenschulen, etwa das Offizierstöchter-Institut oder das Zivil-Mädchen-Pensionat, waren hauswirtschaftlich ausgerichtet. Von höherer Bildung und einem Studium an einer Universität blieb der Großteil der Frauen ausgeschlossen. Erst ab 1878 war es Mädchen erlaubt die Matura zu absolvieren und ab 1897 wurden Frauen vereinzelt zum Studium zugelassen.

Im Jahr 1911/12 gründete Eugenie Schwarzwald das erste Mädchenrealgymnasium in Wien, für das sie zahlreiche prominente Lehrkräfte gewinnen konnte (unter ihnen Oskar Kokoschka, Adolf Loos und Arnold Schönberg). In der Ersten Republik wurden die "Schwarzwaldschule" zusammen mit weiteren Mädchenschulen von der öffentlichen Hand gefördert. Die nun beginnende höhere Frauenbildung bedeute einen weiteren Schritt zur Emanzipation und brachte den Frauen mehr Selbstständigkeit und wohl auch Selbstbewusstsein.

Links:
Die Erziehung der weiblichen Jugend zur Selbstständigkeit (Niederösterreichischer Grenzbote vom 1. September 1918) 
Heute vor 100 Jahren: Eugenie Schwarzwald und der Verein zur Errichtung und Erhaltung von Gemeinschaftsküchen (Kurzbiografie von Eugenie Schwarz; 1. Juli 1918)
Weiterlesen: Frauenbildung 
Weiterlesen: Demokratie und Volksbildung in Wien um 1900

Der Mädchenmord in Hernals
"Der Mädchenmord in Hernals"; © Illustrierte Kronen-Zeitung vom 3. September 1918

Vor hundert Jahren ereignete sich – in dem an Gewaltverbrechen reichen Jahr 1918 – ein grauenhafter Mord an dem Wiener Stubenmädchen Maria Drda, die als Findelkind vom Gastwirt Vinzenz Wurm groß gezogen wurde. Als der Ziehvater Drdas das Verschwinden der jungen Frau  bemerkte, erstattete er eine Vermisstenanzeige. Bald wurde der 61-jährige Hundemaulkorb-Erzeuger Josef Fischer eines Gewaltverbrechens an Maria Drda verdächtigt. Maria Drda kannte Fischer bereits von Kindestagen an, denn letzterer war Stammgast im Gasthaus ihres Onkels. Nach einem Streit mit ihrem Onkel wandte sich Maria Drda an eben diesen Josef Fischer und übergab ihm sogar ihre Sparkassenbücher zur Verwahrung.

Josef Fischer, der sich im kriegsbedingten Schleichhandel betätigte, der ihm aber zu wenig einträglich erschien, beschloss Drdas Ersparnisse an sich zu bringen. Allerdings ging Fischer dabei nicht besonders geschickt vor: er fälschte Drdas Sparbücher und nahm die echten an sich. Als Maria Drda den Schwindel erkannte und ihr Geld zurückforderte, sollte das ihr Schicksal besiegeln. Die Illustrierte Kronen-Zeitung berichtete 2. September 1918:

"Die unterschlagenen Gelder hat Fischer seinem Geständnisse zufolge im kleinen Lotto und für Klassenlose verausgabt. Er hoffte immer wieder, doch einmal einen Treffer zu machen, sich damit aufzuhelfen und dann auch die Unterschleife gutmachen zu können. Der Treffer wollte sich aber nicht einstellen und in Fischer stieg allmählich die Furcht auf, dass die Drda ihm auf seine Lumpereien kommen könnte […] Das schwindende Vertrauen des Mädchens ließ nun den Plan in dem Manne reifen, die Unglückliche zu beseitigen, um so mehr, als Marie Drda schließlich auch das zweite Sparkassabuch, für das sie ihm im Laufe der Zeit die Summe von 9.500 Kronen [4.696 Euro] übergeben hatte, zurückverlangte […] Die Vorbereitungen zum Morde hat Fischer sorgsam und mit schlauer Ueberlegung getroffen. Seine Frau überredete er, zu ihrer Mutter nach Tystin zu fahren, um Lebensmittel zu holen […]. Dann traf er alle Vorbereitungen für die Tat […] Er holte aus der Küche eine scharfe Hacke und legte sie unter dem Tischchen im Wohnzimmer zurecht. Ehe die Drda kam, war Fischer noch im Hotel 'Wilhelmshof' gewesen und hatte dort mitgeteilt, die Drda werde längere Zeit nicht in den Dienstplan zurückkehren, da ihre Mutter im Sterben liege. Vom Hotel kehrte er zurück und bald danach kam die Drda in die Wohnung […] Kaum hatte sie zu schreiben begonnen, als Fischer heimlich die Hacke unter dem Tisch hervornahm und von der Seite aus einen Hieb gegen ihre linke Schläfe führte. Dar Hackenhieb trennte ihr die linke Ohrmuschel ab, und das Mädchen sank bewußtlos zu Boden. Gegen die auf dem Boden Liegende führte er mit der Hacke noch mehrere Hiebe, bis er sah, dass sie tot war."

Fischer zerstückelte den leblosen Körper, um ihn unter dem Lehmboden des Kellers seines Hauses in der Haslingergasse 74 in Wien-Ottakring zu verscharren. Die Illustrierte Kronen-Zeitung:

"Die Küche und das Zimmer, deren Fußboden mit Blut bedeckt waren, hatte er schon am Donnerstag nach der Tat ausgewaschen. Aber die Blutflecken hatten sich immer wieder auf dem Boden gezeigt. Deshalb hat er am Freitag den Fußboden des Zimmers lackiert."

Als die Polizei Fischers Wohnung durchsuchte wurden ihm Blutflecken, die er übersehen hatte, zum Verhängnis. Über das weitere Schicksal Drdas, dem im Zuge der gerichtlichen Untersuchungen ein zweiter Mord nachgewiesen werden konnte, den er im Alter von 17 Jahren begangen hatte, ist nichts weiter bekannt. Seine Spuren verlieren sich in den Wirren des Zusammenbruchs Österreich-Ungarns im November 1918.

Links:
Der Mädchenmord in Hernals (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 2. September 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Blaubart von der Brigittenau – Morde in Wien im Jahr 1918 (13. Juni 1918)

Jozef Israëls (1827-1911): "Die jüdische Hochzeit"
Jozef Israëls (1827-1911): "Die jüdische Hochzeit", ursprünglich in Wiener Privatbesitz, heute im Rijksmuseum, Amsterdam, Fotografie aus 1903; © Gemeinfrei

Staatliche Sozialpolitik war in österreichisch-ungarischen Monarchie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig ausgeprägt, sodass zahlreiche Initiativen ärmeren Menschen zu helfen, darunter auch wohltätigen Stiftungen, von Privaten ausgingen. Eine dieser Stiftungen, die "Siegmund und Regine Kauderssche Heiratsausstattungsstiftung für mittellose jüdische Bräute" lobte am 3. September 1918 2 "Plätze" für mittellose jüdische Bräute aus, damit sich diese für ihre Hochzeit ausstatten konnten. Die Höhe der Unterstützung betrug jeweils 220 Kronen (etwa 100 bis 150 Euro). Antragsberechtigt waren nicht nur Angehörige der weit verzweigten Familie Kauders – Mitglieder der Familie lebten unter anderem in der damals noch zu Ungarn gehörenden Gemeinde Eisenstadt, in Körmend oder im heute slowakischen Trnava (damals auch als Tyrnau bekannt) – sondern auch "Bräute österreichischer oder ungarischer Staatsangehörigkeit, unter welchen bei gleichen Verhältnissen nach Wien zuständige oder daselbst geborene und bis zur Zeit der Bewerbung in Wien wohnhaft gewesene Einschreiterinnen bevorzugt werden."

Mittellose jüdische Bräute, die sich um Unterstützungsgeld für ihre Heiratsausstattung bewerben wollten, mussten dies unter Beibringung von "Geburtsschein, Heimatschein, Armutszeugnis, Sittenzeugnis, Verlobungsnachweis, eventuell Verwandschaftsnachweis und Meldezettel" tun. Unter einem "Sittenzeugnis" versteht man heute übrigens eine Strafregisterbescheinigung.

Link:
Siegmund und Regine Kauderssche Heiratsausstattungsstiftung für mittellose jüdische Bräute (Wiener Zeitung vom 3. September 1918)

Gassel-Tropfsteinhöhle
Gassel-Tropfsteinhöhle, Eingang, undatiert; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

1918 machten Forscher im oberösterreichischen Ebensee eine Entdeckung, für die sich die Öffentlichkeit rasch begeisterte – die Gasselhöhle, eine Tropfsteinhöhle im Gasselkogel, einem Ausläufer des Erlakogels. Der Eingang der Höhle war den Einheimischen zwar bekannt, doch niemand wagte den Einstieg in das dunkle Loch. Erst die vier Ebenseer Franz Pergar, Emil Hofinger, Johann Pollanschütz und Johann Reinbacher unternahmen vor 100 Jahren den ersten Versuch. Aufgrund der im Vergleich zu heute dürftigen Ausrüstung der Höhlenforscher war das Unterfangen schwierig und gefährlich. Das Neuigkeits-Welt-Blatt berichtete am 4. September über die Erstbegehung:

"Nachdem wegen ungünstigen Wetters die Entdecker der Gaßl-Tropfsteinhöhle eine Pause hatten verstreichen lassen, unternahmen sie nun einen neuen Vorstoß. Beim ersten waren sie, wie berichtet, zu einem tiefen Abgrund gekommen, in den sie probeweise einen Stein fallen ließen, um die Tiefe annähernd abschätzen zu können. Dieser Abgrund wurde nunmehr überwunden. Herr Pergar ließ sich am Seil hinab und kam in 60 Meter Tiefe. Wie die Erforscher vermutet hatten, begann von der großen Höhle ab erst eigentlich das Tropfsteingebiet. Pergar entdeckte eine neue große Höhle mit herrlichen Tropfsteingebilden, die in Form und Größe zu den interessantesten Gebilden gehören dürften. Auch den neu entdeckten Dom schließt ein steil abfallender Abgrund ab, der bei der nächsten Forschung überwunden werden soll. Pergar vermutet, daß sich dort neue Höhlen anschließen werden. Wie in der erstentdeckten Höhle fließt auch durch die jetzt entdeckte ein Gewässer, daß jedenfalls die Speisung des Röthelsees vornimmt."

Nach der Erstbegehnung wollte man die Gasselhöhle für die Öffentlichkeit zugänglich machen, was allerdings bis zum 6. August 1933 dauerte. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Höhle geschlossen. Der Führungsbetrieb wurde 1947 wieder aufgenommen und ist, nach einer zwischenzeitlichen Schließung von 1963 bis 1973, bis heute aufrecht (da es zu jeder Jahreszeit in der Höhle nur etwa 6,5° kalt ist, ist bei einem Besuch der Schauhöhle warme Kleidung anzuraten).

Die Erforschung des Höhlengebietes geht bis zum heutigen Tag weiter. Die jüngsten Entdeckungen neuer Gangsysteme gehen auf das Jahr 2006 zurück, wobei aber zahlreiche weitere, noch nicht erschlossene Kammern im Tropfsteinhöhlengebiet des Erlakogels vermutet werden.

Links:
Neue Entdeckung in der Gaßl-Tropfsteinhöhle (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 4. September 1918) 
Weiterlesen: Die Gassel-Tropfsteinhöhle (Besucherinformation)
Weiterlesen: Die Geschichte der Gasselhöhle

Den toten Sohn im Rucksack heimgetragen
"Den toten Sohn im Rucksack heimgetragen"; © Illustrierte Kronen-Zeitung vom 5. September 1918

Der Erste Weltkrieg, an dem 56 Staaten beteiligt waren, wird als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Die Todeszahlen waren enorm, über 9 Millionen Soldaten aus allen kriegsführenden Staaten erlitten den sogenannten "Heldentod", über 8 Millionen zivile Verluste und mehr als 20 Millionen Verwundete waren zu beklagen. Nahezu jede Familie in Österreich-Ungarn hatte mindestens einen Toten zu beklagen. Man kann also davon ausgehen, dass es täglich zu herzzerreißenden Szenen gekommen sein muss. Solch eine Szene wurde in einem Artikel der Illustrierten Kronen-Zeitung vom 5. September 1918 geschildert:

"Aus Innsbruck wird berichtet: In der Gegend des Colbricon wurde ein Heldengrab gefunden. Vier Kaiserjäger hatten dort im Herbst 1916 den Heldentod erlitten und lagen seit dieser Zeit an einer schwer zugänglichen Stelle unbeerdigt. Die Innsbrucker Blätter melden nun folgende interessante Einzelheiten über die Auffindung dieses Heldengrabes: Der Vater eines der vier Helden, der Pichlerbauer aus dem Eggental, durchstreifte mit vier Landsleuten aus dem Fleimstal das Gebiet der Bus Alta, um nach dem seit dem Herbst 1916 verschollenen Sohn zu forschen. Vor einem italienischen Drahtverhau entdeckten sie nun vier, schon bis zur Unkenntlichkeit verweste Leichen. Aus einer bei einer der Leichenüberreste vorgefundenen Postkarte erkannte der Pichlerbauer, daß dies sein Sohn ist. Verschiedene Merkmale an der Uniform bestätigten die Vermutung des Vaters. Der Vater besann sich nicht lange, packte die Ueberreste seines Sohnes in den Rucksack und schleppte sie in die Heimat nach dem Eggental, wo sie nun mit militärischen Ehren im Friedhof beigesetzt wurden."

Link:
Den toten Sohn im Rucksack heimgetragen (Illustrierte Kronen-Zeitung vom 5. September 1918)

Kriegstelefonzentrale des Landesverteidigungskommandos 1916
Kriegstelefonzentrale des Landesverteidigungskommandos, Wien, 1916; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 6. September 1918 beschwerte sich das Fremden-Blatt bitter über die schlechte Qualität des österreichischen Telefonnetzes. In Apparate und Leitungen würde zu wenig investiert, lautete die Klage und Telefonistinnen, die die Verbindungen händisch herstellten, wären heillos überfordert und überdies unterbezahlt:

"Um es zum xtenmal zu wiederholen: wenn man eine Verbindung wünscht und die Zentrale aufkurbelt, kann man die Wette halten, daß unter 100 Verbindungen 80 versagen. Die sich daraus ergebenden Folgen sind sowohl für den privaten als geschäftlichen Verkehr außerordentlich schwerwiegend. Es brennt irgendwo, und man will telephonieren; jemand stirbt, man braucht dringendst einen Arzt, und man will telephonieren; man hat ein Geschäft abzuwickeln, das Geld ist verloren, wenn man nicht sofort telephonischen Anschluß bekommt – kurz, man will und muß in ungezählten Fällen telephonieren. Man will. Und man glaubt, daß man es wollen darf, weil man ja hohe Preise fürs Telephonieren zahlt […] Man kurbelt an, ruft und ruft und ruft in den Apparat und hört nichts; oder man Hort die aufgeregte Stimme der Telephonistin, die behauptet, daß sie einen schon längst verbunden hat; oder man hört und wird nicht gehört, sowohl von der Telephonistin als auch vom Angerufenen. Und zum Gespräch kommt es nie. Das Telephon ist wirklich der moderne Folterapparat, dem alles zum Opfer fällt. Die Uebelstande sind grauenhaft. Darum wiederholen wir die Warnung, das Telephon je eher einer tauglichen Reparatur zu unterwerfen, die Leitungen und Apparate, wo es nötig ist, zu vervielfachen und zu erneuern; die Angestellten besser zu zahlen und neue Angestellte aufzunehmen! Warum versucht man es nicht mit Kriegsinvaliden? Ein Teil von ihnen wäre gut zu brauchen und es wäre eine gute Lebensversorgung für sie. Kurz: so geht es nicht mehr weiter, sonst verelenden wir vollständig."

Links:
Der Telephonskandal (Fremden Blatt vom 6. September 1918)
Heute vor 100 Jahren: Telephonie in Österreich-Ungarn (2. August 1918)

Ankündigung des Monumentalfilms "Der Mandarin"
Ankündigung des Monumentalfilms "Der Mandarin"; © Neue Kino-Rundschau vom 21. September 1918

Vor hundert Jahren kam der Monumentalfilm "Der Mandarin", ein Filmspiel in vier Akten von Fritz Freißler, in die österreichischen Kinos. In dem Streifen geht es um den reichen Baron von Strom, der sich unglücklich in die schöne Schauspielerin von Gaalen verliebt. Von Strom verkraftet seine Zurückweisungen nur schwer und verfällt nach und nach dem Wahnsinn. Eine chinesische Tonfigur im Besitz von Stroms erwacht aber plötzlich zum Leben und bietet ihm an ihm alle Frauen gefügig zu machen. Schwarze Magie hat aber einen Preis und deshalb muss Baron von Strom seine Seele an den lebendig gewordenen tönernen Mandarin verkaufen. Viele Liebschaften später endet Baron von Strom im Wahn in der Irrenanstalt am Wiener Steinhof. Der Film wurde potentiellen Verleihern Anfang September 1918 vorgeführt und stieß dort auf große Begeisterung, was sich in der Presse wiederspiegelt. Die Neue Kino-Rundschau berichtete am 7. September 1918 über die Vorführung für Filmverleiher:

"Paul Frank, der bekannte Verfasser exotischer Romane, hat hier im Verein mit Fritz Freißler einen Sensationsfilm geschaffen, der mächtig die Phantasie aller Zuseher anregt. In einer erstaunlich spannenden Handlung wird uns die Leidensgeschichte eines armen Irren vorgeführt, der aus unglücklicher Liebe ein Opfer des Wahnsinns geworden ist. In der Darstellung reichen sich Burgschauspieler Harry Walden und Karl Goetz, Mitglied des Deutschen Volkstheaters, die Hände. Harry Walden, in seinem Fach der Beste an deutschen Bühnen, bereitet uns durch die kraftvolle Darstellung seiner Rolle einen künstlerischen Genuß, wie wir ihn selten sonst durch ein Filmwerk erhielten. Erschütternd spielt Walden den übervehementen Lebemann, den seine Leidenschaft der Irrenanstalt in die Arme wirft. Karl Goetz dagegen gibt in der Rolle des Mandarin einen Mephistopheles aus dem Reiche der Mitte. Sein eindrucksvolles Mienenspiel, unterstützt durch eine äußerst bizarre Maskierung, macht unser Herz erschaudern. Auch die anderen Rollen, durchwegs von Wiener Bühnengrößen dargestellt, heben in hervorragendem Maße den guten Gesamteindruck des Stückes. Ein Separatlob verdient auch die umsichtige Regie Fritz Freißlers, die besonders in dem Treiben in der Irrenanstalt Bilder aus der Wirklichkeit darstellt und so den überaus nachhaltigen Erfolg des Films nur vergrößert."

Der Film, eine aufwendige Produktion der Sascha-Film, war eine der letzten Filmproduktionen in der österreichisch-ungarischen Monarchie und kam am 22. November 1918, 10 Tage nach der Ausrufung der Republik, in die österreichischen Kinos.

Seit 1945 galt "Der Mandarin" als verschollen, doch vor einigen Jahren fand man im Nachlass eines italienischen Filmsammlers eine gut erhaltene Kopie. Zwischen 2002 und 2004 konnte das österreichische Filmmuseum gemeinsam mit dem US-amerikanischen George Eastman House den sensationellen Fund restaurieren und zur neuerlichen Vorführung bringen.

Links:
Der Mandarin. Drama in vier Akten (Neue Kino-Rundschau vom 7. September 1918) 
Weiterlesen: Der Mandarin (Entstehungsgeschichte und Handlung)

Der Kurort Sauerbrunn im heutigen Burgenland, 1918
Der Kurort Sauerbrunn im heutigen Burgenland, 1918; © Österreichische Nationalbibliothek, Ansichtskarten Online AKON

Am 8. September 1918 erschien in der Wiener Zeitung im Feuilleton ein ausführlicher Text über die "Bucklige Welt" im südöstlichen Niederösterreich. Von Wiener Neustadt wanderte der Autor in Richtung Lanzenkirchen, wo sich das Schloss Frohsdorf befindet, das 1844 in bourbonischen Besitz gelangte. 1918, so der Autor, war dort der "Herzog von Madrid" zuhause: "Im Sommer 1916 war an dessen Eingang eine Kundgebung angeschlagen, die die Parteinahme des Schloßherrn für die Sache der Mittelmächte aussprach."

Die Wanderung führte den Feuilletonisten weiter nach Süden, vorbei am "Schleinzer Kreuz". Dieser steinerne Bildstock mit vorgebauter Kapelle wurde 1800 von Graf Hoyos, dem damaligen Eigentümer von Schloss Frohsdorf, errichtet und im Jahr 2000 originaltgetreu renoviert. Entlang des Weges weiter gegen Osten stieß der Feuilletonist der Wiener Zeitung auf eine Siedlung der Volksgruppe der Roma:

"Auf den Wiesen, die sich rechts zur Leitha senken, haben Zigeuner ihr Lager aufgeschlagen, ein in diesen Gegenden, die ja hart an der ungarischen Grenze liegen, nicht seltener Anblick. An diesem Völkchen scheinen auch die ungeheuersten Ereignisse der Weltgeschichte spurlos abzugleiten, es stellt sich uns heute noch so dar, wie wir es in unserer Kinderzeit sahen, wie es in den Geschichten der romantischen Periode geschildert wird, der junge Goethe in einem flüchtigen Bild seines 'Götz' gezeichnet hat: man fühlt sich versucht, ihnen zuzurufen: Lebet! Es lebten wie ihr des Geschlechts urälteste Väter – ! Läßt man sich aber mit ihm in ein Gespräch ein, so erfährt man freilich, daß er nicht mehr ganz so lebt: seine jüngeren männlichen Angehörigen stehen auch im Felde, auch sie stehen unter der Herrschaft der Brotkarte und der übrigen Gesetze der neuen Kriegswirtschaft."

Die Wanderung endete in Bad Sauerbrunn, dem 1901 die Bezeichnung Kurbad verliehen wurde. Heute wird in der Kurstadt das Heilwasser mit dem höchsten Magnesiumgehalt Österreichs gewonnen: "Durch Laubwald von fast südlichem Gepräge zwischen echten Kastanien und Obstbäumen, Weingärten und zuletzt zwischen Wiesen und Ackerland gelangt man in den ungarischen Kurort Sauerbrunn, von wo einen die Bahn in einer kurzen Fahrt nach Wiener-Neustadt zurückführt."

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der größte Teil Westungarns unter der Bezeichnung Burgenland österreichisch, so auch Sauerbrunn. Da die Stadt Sopron (Ödenburg), die nach dem Ersten Weltkrieg als Hauptstadt des Burgenlands vorgesehen war, 1921 an Ungarn abgetreten werden musste, war Sauerbrunn 4 Jahre lang provisorischer Sitz der burgenländischen Landesregierung.

Link:
Wanderung durch die "Bucklige Welt" (Wiener Zeitung vom 8. September 1918)