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Von Tag zu Tag 1917 bis 1919

Demobilisierte Soldaten an der Grenzstation Marchegg in Niederösterreich, 1918
Demobilisierte Soldaten an der Grenzstation Marchegg in Niederösterreich, November 1918; © Wiener Bilder vom 24. November 1918

In Erwartung des nahenden Waffenstillstandes zeichnete das Neue 8 Uhr-Blatt am 29. Oktober 1918 ein düsteres Bild von der Demobilisierung der k.u.k. Armee. Das planlose Zurückfluten hunderttausender Soldaten, deren Staatsangehörigkeit wegen des Untergangs des habsburgischen Vielvölkerstaates vielfach unklar war, würde zu "mittelalterlichen" Zuständen führen:

"Der Tag des Demobilisierungsbeginnes steht für uns nahe bevor, aber trotz der hervorragenden Beweise von Mut und Tapferkeit, die viele unsrer Truppenkörper in den letzten Tagen wieder gegeben haben, ist es aus verschiedenen Gründen fraglich, ob man in der österreichisch-ungarischen Armee an eine geregelte Mobilisierung wird denken können. Die Vorgänge der letzten Tage haben es mit sich gebracht, daß in vielen der Soldaten ein vollkommen unsicheres Heimatgefühl, das sich mit der 'k.u.k. Armee' keineswegs identifizieren wird, erwacht ist. Das wird – soweit es nicht schon geschehen ist – mit der ersten Stunde des Waffenstillstandes und der Lösung des Zwanges der Feuerdisziplin, nicht nur bei sehr vielen Mannschaften, sondern auch bei Offizieren zum Ausbruche kommen. (In Budapest hat gestern ein Generalstabshauptmann auf offener Straße eine nationale Hetzrede gehalten.) Die nächste Folge wird das stürmische Verlangen der Leute sein, möglichst rasch nach Hause zu kommen und es wird nicht angehen, diesen Wunsch der Leute etwa mit Waffengewalt zu unterdrücken. Aber selbst wenn dieser Massenwille nicht vorhanden wäre, würde der Kohlen-, Waggon und Lokomotivmangel der Demobilisierung große Schwierigkeiten entgegenstellen und sie über lange Zeiträume hinausziehen […] Zu erwarten und zu befürchten ist aber, daß große Teile, insbesondere der Regimenter aus jenen Ländern, die sich von dem alten Oesterreich so regellos losgesagt haben, einfach auf eigene Faust die Wanderung ins Hinterland aufnehmen werden. Man darf sich keiner Täuschung darüber hingeben, was es hieße, wenn viele Gruppen von Männern, die jahrelang im Felde gelegen sind, die Schweres erlitten haben, die noch dazu in der letzten Zeit nur mangelhaft ernährt wurden und plötzlich der Kommandogewalt ledig werden, nun plötzlich weite, zum Teile nur dünn besiedelte Gebietsteile – man denke an die Alpenländer – durchwandern. Wir könnten da Zustände öffentlicher Unsicherheit erleben, die an die wüstesten Zeiten des Mittelalters erinnern."

Tatsächlich sollte es nach dem Kriegsende am 11. November 1918 wegen der zurückströmenden Soldaten zu Unregelmäßigkeiten und fallweise sogar zu chaotischen Zuständen kommen. Aus diesem Grund sahen sich etwa die Wiener Bilder am 24. November 1918 dazu genötigt einen Aufruf des deutsch-österreichischen Staatsrats zu veröffentlichen, in dem plündernden und raubenden Soldaten mit der "unnachsichtlichen" Vollstreckung der Todesstrafe gedroht wurde.

Link:
Wie werden wir demobilisieren? (Neues 8 Uhr-Blatt vom 29. Oktober 1918)

Niederösterreichisches Landhaus in der Wiener Herrengasse am 30. Oktober 1918: Die Annahme der provisorischen Verfassung der Republik Deutsch-Österreich
Niederösterreichisches Landhaus in der Wiener Herrengasse am 30. Oktober 1918: Die Annahme der provisorischen Verfassung der Republik Deutsch-Österreich; © Das interessante Blatt vom 7. November 1918

"Wir haben eine Regierung gebraucht. Heute wurde sie gebildet." (Die Neue Freie Presse über die Ereignisse in Wien am 30. Oktober 1918)

Am 21. Oktober 1918 konstituierte sich im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse die Provisorische Nationalversammlung Deutsch-Österreichs, die aus den Reichsratsabgeordneten der deutschsprachigen Gebiete der österreichischen Reichshälfte der Monarchie bestand. Die Grundlage dafür bildete das "Völkermanifest" Kaiser Karls vom 16. Oktober 1918, das die Volksgruppen Cisleithaniens dazu aufforderte Nationalräte zu bilden, um den Staat auf Grundlage der Selbstbestimmung der Völker zu föderalisieren.

Das "Völkermanifest" hatte aber eine ganz andere Wirkung als von der kaiserlichen Regierung intendiert und beschleunigte sogar den Zerfall der Monarchie: Am 28. Oktober erklärte sich die Tschechoslowakei für unabhängig, am 29. Oktober folgten die Südslawen mit einer Unabhängigkeitserklärung im kroatischen Sabor in Zagreb und am 30. Oktober wurde in Wien die provisorische Verfassung von Deutsch-Österreich angenommen sowie ein Staatsrat unter Vorsitz Karl Renners eingerichtet, der die Regierungsgeschäfte des neuen Staates bis zur Abhaltung der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 führen sollte.

An diesem 30. Oktober 1918 versammelten sich in der Wiener Herrengasse vor dem Niederösterreichischen Landhaus Tausende Menschen, die großteils für die die Republik demonstrierten. Die Vertreter der politischen Parteien traten immer wieder auf den Balkon und hielten Reden und informierten die Menge über die Vorgänge im Landhaus. Wie die Tageszeitungen am nächsten Tag berichteten, kam es an den verschiedensten Orten zu republikanischen Kundgebungen, die bis in die frühen Morgenstunden dauerten. Die Neue Freie Presse berichtete tags darauf über den denkwürdigen Tag:

"Der neue Staat hatte noch einen anderen, besonders wichtigen Erfolg. Der Tag ist trotz der großen Ansammlung von Menschen ruhig, ohne wesentliche Störungen verlaufen. Hie und da mochte es aufsprühen und ein bewegter Augenblick war, als eine militärische Abordnung in das Landhaus kam und mancherlei Erinnerungen sich regten. Das ist vorübergezogen: eine der größten Umwälzungen, die jemals stattgefunden hat, ist in Ordnung durchgeführt worden. Vom Balkon des Landhauses sprachen die Abgeordneten zum Volke. Ein Strom gemeinsamer Empfindungen hat sie verbunden und die Erregung war nach so vielen Leiden der fünfzig Monate in den Gemütern. Die Männer und Frauen, die gekommen waren, die Geburtsstunde des neuen Staates zu begrüßen, hatten jedoch die Erkenntnis, daß die im Staatsrate und in den Staatssekretären veranschaulichte Notwendigkeit, die Krise gemeinsam zu überwinden, als Pflicht auf die Gasse getragen werden müsse. Die Nationalversammlung beriet im Landhause und Meldungen verbreiteten sich im Saale, daß die Armee nach einer großen Schlacht die besetzten Gebiete von Italien räume. Gerüchte wurden bekannt, daß die amerikanische Flotte gegen Triest heranrückt und daß die Stadt besetzt werden solle. Wenn es geschehen würde, könnte die Maßregel andeuten, daß Triest vielleicht in einer neuen Form bei Oesterreich bleiben und durch den Frieden nicht verloren gehen werde. Diese Meldungen und diese Gerüchte sind ein Zeichen, daß wir uns dem Ende des Krieges nähern. Wer durch ihn leidet, für seine Angehörigen bangt, den Hunger nicht stillen kann oder sonst durch seine Wirkungen niedergebeugt wird, muß fühlen, daß in diesem bedeutungsvollen Augenblick nichts geschehen dürfe, was den neuen Staat in den Augen der Feinde herabsetzen, das Ansehen schädigen und nach innen das Elend noch vermehren würde. Der heutige Tag hat gezeigt, wie stark die Erziehung zur Öffentlichkeit in Wien fortgeschritten ist […] Morgen übernimmt der Staatsrat die Verwaltung in sämtlichen Gebieten, wo die Deutschen in der Mehrheit sind. Er hat die Befehlsgewalt über die deutschen Truppen und ist der Träger der aus der Selbständigkeit hervorgehenden Rechte des Volkes. Er bestellt die Staatssekretäre und ihm gehorchen die Behörden. Er spricht im Namen der Deutschen von Oesterreich zu den feindlichen und zu den neutralen Völkern und will den Frieden im Einvernehmen mit dem Deutschen Reiche schließen, weil für ihn das Bündnis fortbesteht. Wie merkwürdig die Anpassung des Volkes ist. Veränderungen, die einem Märchen gleichen, wie die Befehlsgewalt über die Truppen, werden hingenommen, und in einigen Wochen dürften die jetzigen Verhältnisse durch die Gewohnheit wie selbstverständlich scheinen, obgleich sie eines der größten historischen Ereignisse sind. Wir haben eine Regierung gebraucht. Heute wurde sie gebildet."

Links:
Gründung des neuen Staates unter großer Teilnahme des Volkes. Ruhiger Verlauf der Straßenkundgebungen (Neue Freie Presse vom 31. Oktober 1918)
Heute vor 100 Jahren: Das Völkermanifest Kaiser Karls (18. Oktober 1918)
Weiterlesen: Aufruf des deutschösterreichischen Staatsrates an die Bevölkerung vom 30. Oktober...

Egon Schiele 1918
"Der expressionistische Maler Egon Schiele ist im Alter von 26 Jahren an der Grippe gestorben. Schiele war ein Schüler Klimts und zählte zu den besten Hoffnungen unserer jungen Kunstwelt" (tatsächlich war Schiele 28 Jahre alt); © Das interessante Blatt vom 14. November 1918

Egon Schiele, einer der bedeutendsten Maler der Wiener Moderne, erlag am 31. Oktober 1918 der in Wien  spanischen Grippe. Seine letzten Worte waren: "Der Krieg ist aus – und ich muss geh'n. Meine Gemälde sollen in allen Museen der Welt gezeigt werden!"

Schiele hinterließ über 350 Gemälde sowie rund 2.800 Aquarelle und Zeichnungen, die heute bei internationalen Auktionen Spitzenpreise erzielen. Das Gemälde "Häuser mit bunter Wäsche" wurde 2011 bei Sotheby's um den Preis von umgerechnet 27,6 Millionen Euro versteigert. Aufgrund der zeitlichen Nähe des Todes seiner schwangeren Frau, die drei Tage vor ihm ebenfalls an der spanischen Grippe gestorben war, konnte sein letzter Wille nicht umgesetzt werden: Der künstlerischer Nachlass Schieles ging an seine gesetzlichen Erben, also an seine Mutter und Schwestern. Diese bezahlten damit offenen Rechnungen. Robert Rieger, Sohn des Kunstmäzens Heinrich Rieger, der über Schieles Schwester – er war ihr Zahnarzt – auch mit Egon Schiele gut bekannt war, widmete dem Maler mehr als drei Wochen nach dessen Tod in der Wiener Illustrierten Zeitung vom 24. November 1918 einen geradezu hymnischen Nachruf:

"Von Monat zu Monat steigert sich seine zeichnerische Virtuosität zu einer Höhe, vor der wir bewundernd stehen und die unmittelbare Ausdruckskraft, durch welche sie entstanden, herausfühlen. Es sind keine Skizzen oder Vorstudien, sondern Gebilde des Augenblicks, voll vibrierender Lebendigkeit für sich allein wirkend, aufgetragen mit starkbetonten, sicheren Konturen, die alles in sich schließen, was die momentane Impression ausdrücken wollte. Diese für seine spätere Entwicklung ausschlaggebende zeichnerische Genialität findet ihre stärkste Unterstützung und Steigerung in der Farbe. Anfangs wirken sie in breiteren, fast dekorativ erscheinenden Flächen, später zergliedert, verfeinert, scheinbar willkürlich und doch geordnet nach ganz bestimmten Forderungen seiner tiefgehenden Empfindung; Farben, die eigentlich nichts anderes wollen und erreichen als ein einziges, mächtiges Gefühl zu illustrieren und immer wieder von dem Bestreben gedrängt, dem Ausdruckswillen bis zur künstlerisch möglichsten Konsequenz gerecht zu werden. Wir sehen es den Bildern an, daß sie aus einer Extase fast krankhaft heftigen Empfindens geboren wurden. Diese unaufhörliche geistige Unruhe macht es auch, daß Schieles Kunst nie heiter oder gefällig wirken kann. Ein ernster, bis zur Sentimentalität gesteigerter Zug haftet an den Bildern. Doch jedes Objekt, vom profansten Gegenstand bis zum kompliziertesten Menschenkörper gewinnt Form und Ausdruck seiner Leidenschaft. Am 31. Oktober starb Egon Schiele, kaum 28 Jahre alt. Wir trauern um ihn als einen großen Verlust und um das, was zu vollenden der Tod verhindert hat."

1942 wurden Heinrich Rieger, der zahlreiche Zeichnungen und Gemälde Schieles zu dessen Lebzeiten erworben hatte, und seine Frau Berta aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in Theresienstadt ermordet, während ihrem Sohn Robert die Flucht in die Vereinigten Staaten gelang. Riegers Nachlass beschäftigt die österreichische Provenienzforschung bis heute. Die komplizierten Besitzverhältnisse rund um Schieles Erbe zeigten sich zuletzt 1998 im Rechtsstreit um Schieles Gemälde "Wally", der erst nach zwölf Jahren  außergerichtlichen gelöst werden konnte.

Link:
Egon Schiele gestorben (Nachruf Robert Riegers in der Wiener illustrierte Zeitung vom 24. November 1918) 

Oberleutnant Egon Erwin Kisch und Infanterist Leo Rothziegel als Gründer der Roten Garden
Wien im November 1918: Oberleutnant Egon Erwin Kisch (links) und Infanterist Leo Rothziegel (rechts) als Gründer der Roten Garden; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Am 1. November fand in Drehers Gasthof in der Wiener Landstraßer Hauptstraße 97 (heute ein Einkaufszentrum) die Gründung der "Roten Garden" statt. Die von Korporal Stefan Haller (eigentlich: Bernhard Förster), Infanteristen Leo Rothziegel und Oberleutnant Egon Erwin Kisch gegründete radikale Wehrformation strebte eine Rätediktatur nach russischem Vorbild an, bestand ursprünglich aus etwa 200 Mann und quartierte sich in der Wiener Stiftkaserne ein. An ihrem Gründungstag marschierte die Rote Garde auf der Wiener Ringstraße auf, wobei es vor dem Deutschmeister Denkmal am Wiener Schottenring zu einer lebhaften Kundgebung kam. Unter den Rednern befanden sich nicht nur Haller und Kisch, sondern auch der Schriftsteller Franz Werfel. Alma Mahler, ab 1919 Werfels Ehefrau, beschrieb den Dichter, als er eines Abends nach Hause kam und ihr begeistert von seinen revolutionären Reden erzählte: "Seine Augen schwammen in Rot, sein Gesicht war gedunsen und er starrte vor Schmutz, seine Hände, seine Montur… alles war zerstört. Er roch nach Fusel und Tabak." (in: Daniel Schönpflug, Kometenjahre. 1918: Die Welt im Umbruch, Seite 120)

Das Neue 8 Uhr-Blatt berichtete über die Versammlung der Rotgardisten am Deutschmeisterplatz: "3 Uhr nachmittags begann auf dem Deutschmeisterplatz die Versammlung der 'Roten Garde'. In das vordere Relief des Deutschmeisterdenkmals war eine rote Fahne gesteckt worden, vor der die Redner sprachen. Es hatten sich aber nicht mehr als ungefähr zweihundert Soldaten eingefunden. Die Zivilisten wurden von den Ordnern der Roten Garde, die eine rote Binde am Arm trugen, auf den Ring verwiesen. Auch zahlreiches Wacheaufgebot war bemerkbar. Die Redner waren Mannschaftspersonen, die Abzeichen der Roten Garde, einen roten Streifen auf Arm oder Kappe trugen. Die Versammlung nahm stellenweise einen erregten Verlauf. Der erste Redner, ein Soldat, führte etwa folgendes aus: Wir wollen keine Räuber, Mörder und Plünderer sein, weil dabei nur zwecklos Werte vernichtet werden. Aber wir wollen Beschlag auf die von den Kapitalisten gestohlenen Güter legen, damit sie wieder der Allgemeinheit zugutekommen. Wir sind von keinem Parteivorstand, auch nicht von den Sozialdemokraten, abhängig. Wir sind die Rote Garde des Proletariats und gehorchen nur dem Volke. Proletarier im Waffenrock! Wer für die Rote Garde ist, erhebe die Rechte […] Während diese Rede teils mit Beifall aufgenommen wurde, machte sich bei dem andern Teil der Zuhörer eine entschiedene Mißstimmung gegen den Eintritt in einen Soldatenrat bemerkbar, da hauptsächlich die älteren Soldaten erklärten, mit einem Soldatenrat nichts zu tun haben zu wollen, sondern lieber möglichst bald wieder in Frieden zu ihrer Familie kommen wollen."

Heeresminister Julius Deutsch versuchte die Rote Garde in die Volkswehr zu integrieren, um sie unter Kontrolle zu bringen, was aber nur teilweise gelang. Am 12. November 1918 sollten die Rotgardisten besonders spektakulär in Erscheinung treten, als sie die Proklamation der Republik für die Ausrufung einer Räterepublik nutzen wollten. Dabei zerrissen sie die rot-weiß-roten Fahnen, sodass vor dem Parlament nur die zusammengeknoteten roten Streifen gehisst werden konnten. Die 1919 auf 700 Mann angewachsene Rote Garde blieb bis zu ihrer Auflösung im Sommer 1919 ein latenter Unruheherd im Heer der jungen Republik.

Links:
Eine Versammlung der "Roten Garde" (Neues 8 Uhr-Blatt vom 2. November 1918)
Weiterlesen: Literaten träumen die Revolution
Weiterlesen: Norbert Christian Wolf, Revolution in Wien. Die literarische Intelligenz im politischen Umbruch 1918/19, Böhlau Verlag 2018

Mitglieder des Sparvereins der Wiener Donauschiffer übergeben am Allerseelentag 1918 einen Kranz der Donau, um der namenlosen Ertrunkenen zu gedenken
Mitglieder des Sparvereins der Wiener Donaufischer übergeben am Allerseelentag 1918 einen Kranz der Donau, um der namenlosen Ertrunkenen zu gedenken; © Das interessante Blatt vom 14. November 1918

Am Tag nach dem Hochfest Allerheiligen wird am 2. November in römisch-katholisch geprägten Gegenden zu Allerselen der Verstorbenen gedacht. Besonders in Wien, dessen Bevölkerung ein gewisser Hang zum Morbiden nachgesagt wird und wo sich mit dem Zentralfriedhof der zweitgrößte Friedhof Europas befindet, spielt dieser Tag eine besondere Rolle.

Die oft unbekannten, also "namenlosen" Toten, die aus der Donau bei Wien geborgen wurden, fanden bis in die 1940er-Jahre ihre letzte Ruhestätte auf dem "Friedhof der Namenlosen" im Alberner Hafen im Süden Wiens. Da sie sonst niemanden hatten, übernahmen es die Wiener Donaufischer diesen "Namenlosen" zu gedenken, indem sie alljährlich am 2. November einen Kranz der Donau übergaben. Bis heute wird dieser Brauch – mittlerweile am ersten Sonntag nach Allerseelen – gepflegt. 2018 findet die "Wasserung des Floßes" mit Gebet am 4. November um 14:00 Uhr statt.

Vor 100 Jahren erschien im interessanten Blatt ein Bericht über die Zeremonie, die im Alberner Hafen am 2. November 1918 stattfand:

"Eine schöne Sitte hat sich seit langer Zeit in Wien eingebürgert; indem man der namenlosen Toten am Tage Allerseelen gedenkt, die in den Fluten der Donau ihren Tod gefunden. Jahr um Jahr, wenn in der Natur das Leben erlischt und grau die Nebel durchs Land ziehen, gedenken die Menschen am Allerseelentage ihrer Toten, suchen sie bei ihren Gräbern auf und bleiben bei ihnen in stiller Andacht. Die Freunde und Verwandten gehen da zu ihren Toten. Der vielen Namenlosen aber, die aus Lebensüberdruß, im Dienste der Pflicht oder im Kriege in den Wellen der Donau den Tod gefunden, dieser Toten gedenkt in Wien ein kleiner Verein, der Wiener Sparverein der Donaufischer, und alljährlich am Allerseelentage legt er im Beisein einer kleinen Gemeinde einen Kranz auf die Wellen, die dann die Blumen stromabwärts tragen. Auch heuer ist der Verein mit einem großen Blumengewinde hinab zur Donau gegangen und hat nach einem kurzen Gebet den Kranz, der die Aufschrift des Vereines und die Bitte trägt, die Blumen dem Strome zu lassen, der Donau gegeben. Und nun wandert der Kranz stromabwärts und bringt jenen Opfern, die am Grunde des Flusses ruhen, das Gedenken einer Schar von Menschen, die in der alten Wienerstadt am Allerseelentage auch ihrer nicht vergessen haben."

Links:
Allerseelenfeier an der Donau (Das interessante Blatt vom 14. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Das Allerseelenfest 1917 (4. November 1918)
Weiterlesen: Website des Friedhofs der Namenlosen in Wien

Die Wiener Automobil-Fabrik "WAF", der abgebildete Gebäudetrakt in der Bernhardtstalgasse in Wien-Favoriten besteht bis heute, wurde aber mittlerweile zu Wohnraum umgebaut; © Allgemeine Automobil-Zeitung vom 3. November 1918

"Nun kommen wir auf die Zukunft zu sprechen. Derzeit ist alles noch ungewiß, unbestimmt, nebelhaft. Das alte Reich der Habsburger soll in seiner bisherigen Gestaltung aufhören. Ob Bundesstaat oder Staatenbund oder durchaus selbständige Staaten ohne ein vereinigendes Band – wie das sein wird, das weiß heute niemand. Tatsache ist aber, daß alle Veränderungen, die mit der österreichisch-ungarischen Monarchie geschehen, auf die fernere Entwicklung des Automobilismus und der Motorluftschiffahrt besonderen Einfluß haben müssen."

Am 3. November 1918 machte sich die Allgemeine Automobil-Zeitung auf einem über 4 Seiten laufenden Artikel Gedanken über die Zukunft nicht nur der Automobilindustrie, sondern auch über die damit verbundenen düsteren wirtschaftlichen Aussichten, die den neuen mitteleuropäischen Kleinstaaten drohen könnten:

"Wir müssen immer wieder unser Steckenpferd reiten, das Steckenpferd von der wirtschaftlichen Betriebsführung, die sich auf alle Gebiete der Einrichtungen eines Staates erstreckt. Gehen wir auseinander, machen wir uns alle selbständig, ohne daß irgend ein einigendes Band uns umschlingt, so haben wir dann jeder unser eigenes Straßenwesen, unsere eigenen Automobilvorschriften, unsere eigenen Benzinstationen, unsere eigenen Wegzeichen, und so vieles andere eigenes, was wir hier nicht erwähnen wollen. Nichts wird mehr einheitlich sein, denn da wir selbständig sind, müssen wir uns doch von den anderen unterscheiden. In dem einen Lande werden dann die Straßen so angelegt, in dem anderen wieder so, in dem einen Lande wird man sie besser erhalten als in dem anderen, mit einem Worte, es wird nach jeder Richtung hin die unwirtschaftlichste Betriebsführung geben, die man sich vorstellen kann [...] Es wird vieler Klugheit, diplomatischen Geschickes und wirtschaftlicher Findigkeit bedürfen, um sich der ausländischen Konkurrenz zu erwehren. Wie würde dies aber erst sein, wenn wir gänzlich auseinander gehen, wenn die einzelnen Stäbe, die zusammen als Bündel noch schwer zu brechen wären, auseinander fallen? Dann ist zwar jeder Staat selbständig, es wird aber keiner besonderen Mühe bedürfen, jeden einzelnen zu zerbrechen oder, wenn schon nicht zu zerbrechen, so doch ganz einfach zur Seite zu schieben."

Die erste internationale Straßenverkehrsordnung wurde zwar bereits am 11. Oktober 1909 mit dem „Internationalen Abkommen über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ festgeschrieben, es sollte aber noch bis zum 24. April 1926 dauern, bis dieses Übereinkommen mit dem Pariser „Internationalen Abkommen über Kraftfahrzeugverkehr“ auf den neuesten Stand gebracht wurde (unter anderem hinsichtlich der Fahrzeugaustattung, der Größe und geometrischen Form von Warnschildern und der Führerscheine). Die Republik Österreich trat diesem Abkommen am 2. September 1930 bei.

Das Pariser Abkommen wurde mittlerweile vom „Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr" von 1968 abgelöst, das 50 Jahre nach Beschlussfassung novelliert wurde und seit 2018 auch Regeln für autonom fahrende Kraftfahrzeuge beinhaltet.

Übrigens machte sich die Allgemeine Automobil-Zeitung am 3. November vor 100 Jahren auch Gedanken über die Elektromobilität, die so klingen als wären sie von heute... (siehe Link) 

Links:
Die Zukunft (Allgemeine Automobil-Zeitung vom 3. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Das Automobil der Zukunft (22. September 1918)
Weiterlesen: Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (Konvention der Vereinten Nationen)
Weiterlesen: Rasches Auswechseln der Batterien bei Elektromobilen (Allgemeine Automobil-Zeitung vom 3. November 1918)

Demobilisierte k.u.k. Marinesoldaten kommen im November 1918 aus Pola (heute: Pula) am Wiener Südbahnhof an
Wien, Anfang November 1918: Demobilisierte k.u.k. Marinesoldaten kommen aus Pola (heute: Pula) am Wiener Südbahnhof an; © Das interessante Blatt vom 14. November 1918

Der Unabhängigkeitserklärung der Tschechoslowakei am 28. Oktober 1918 folgte das Ende der Doppelmonarchie am 31. Oktober 1918 mit der Aufkündigung der Realunion durch die ungarische Regierung. An demselben Tag akzeptierte Kaiser Karl die Gründung des südslawischen Staates und übergab die österreichische Marine dem in Gründung befindlichen SHS-Staat. Oberbefehlshaber der neuen jugoslawischen Marine sollte der Kommandant des größten k.u.k. Schlachtschiffes "Viribus Unitis" Janko Vuković-Podkapelski werden. Dazu kam es aber nicht mehr, da italienische Marinetaucher die Viribus Unitis am 1. November versenkten. Dieser Anschlag kostete Kommandant Vuković-Podkapelski und etwa 400 Seeleuten das Leben. Italien war nicht bereit an der Ostküste der Adria eine neue Seemacht zu dulden...

In Wien, wo Schulen und Vergnügungsetablissements wegen der grassierenden Spanischen Grippe schon längere Zeit weitgehend geschlossen blieben, wurde am 30. Oktober die provisorische Verfassung von Deutsch-Österreich angenommen. Tags darauf konstituierten sich in Wien die "Roten Garden" und am Samstag, den 2. November berichtete das Neue 8 Uhr-Blatt über die damit einhergehende Angst vor revolutionären Unruhen:

"Die Straßen der inneren Stadtteile boten heute ein verändertes Aussehen. Anstatt des lebhaften Treibens, das besonders an Samstag-Nachmittagen in der Inneren Stadt zu herrschen pflegt, herrschte eine ungewöhnliche Stille. Die Rolläden fast sämtlicher Geschäfte waren herabgelassen, bei Geschäften, die keine Rolläden haben, wurden die großen Spiegelscheiben in fieberhafter Eile mit Brettern vernagelt. Auch sämtliche kaiserlichen Adler, ferner die Aufschriften ‚k.k. Hoflieferant‘, wurden entweder mit Tüchern bedeckt oder mit Papier überklebt."

Der am 3. November in Padua unterzeichnete Waffenstillstand von Villa Giusti zwischen Österreich-Ungarn und der Entente hatte durch den voreiligen Befehl Kaiser Karls, die Kampfhandlungen sofort einzustellen, zur widerstandslosen Gefangennahme von 380.000 k.u.k. Soldaten durch italienische Truppen geführt. Kaiser Karl hatte die 24-Stundenfrist bis zum Inkrafttreten des Waffenstillstands übersehen...

Am 4. November wurde das k.u.k. Kriegsministerium in "Staatsamt für das Heereswesen" umbenannt, was an der Fassade des Ministeriums mit großen weissen Plakaten angekündigt wurde. Das Staatsamt diente mit sofortiger Wirkung als "Liquidierungsamt" für militärische Angelegenheiten der Nachfolgestaaten der Monarchie, insbesondere auch hinsichtlich der Repatriierung tausender Soldaten, die in diesen Tagen das Wiener Stadtbild prägten. Außerdem machte am 4. November Tag die Kunde von der Festnahme des Militärkommandanten von Graz wegen "Widersetzlichkeit gegen den Staatsrat" sowie über die Konstituierung der oberösterreichischen sowie der vorarlbergerischen Landesregierung die Runde.

Vor diesem von Chaos, totalem Zusammenbruch und ersten zaghaften Schritten der Nachfolgestaaten geprägten Hintergrund beging die untergehende Monarchie am Montag, den 4. November 1918 in einer bereits anachronistisch wirkenden Zeremonie im Wiener Stephansdom zum letzten Mal der Namenstag des Kaisers:

"In der altgewohnten Feierlichkeit wurden heute in sämtlichen Kirchen Wiens heute vormittag anläßlich des Namensfestes Kaiser Karls die Hochämter gehalten. Die Teilnahme der Gläubigen war heuer eine besonders rege, so daß diese kirchlichen Andachtsfeiern zu wirksamen Kundgebungen des christlichen Wiens wurden. Auch die offiziellen Persönlichkeiten fehlten nicht. Da die Schulen gesperrt sind, nahmen bis Schulkinder nicht korporativ teil. Das Kaiseramt bei St. Stefan um 11 Uhr hielt Kardinal-Fürsterzbischof Dr. Piffl unter Assistenz der Domprälaten Dr. Müller und Schöpfleuthner, der Domherr Prälat Cecconi Freiherr Spins-Booden, Msgre. Wolny. Es wohnten bei die Minister des Kabinetts Lammasch in Zivilkleidung, der Stadt- und Gemeinderat, die Spitzen der Behörden des Staates, des Landes und der Stadt, viele Offiziere. Im Presbyterium sah man den Apostolischen Nunzius Grafen Valfré mit Uditore Prälat Micara und Sekretär Msgre. Torricella, die Prälaten Schottenabt Amand Oppitz, Dr. Brenner u.v.a., im Hoforatorium Frau Erzherzogin Maria Theresia und Herzogin von Braganza. Obwohl eine öffentliche Auffahrt der Würdenträger diesmal unterblieb, waren doch die Zugänge zum Dom von zahlreichen Zuschauern umsäumt. Um die Mittagsstunde schloß mit Tedeum und Volkshymne das Kaiseramt."

Links:
Das Namensfest des Kaisers (Reichspost vom 4. November)
Das veränderte Stadtbild (Neues 8 Uhr-Blatt vom 2. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Die Gründung der Roten Garden (1. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der provisorische Verfassung von Deutsch-Österreich (30. Oktober 1918)
Heute vor 100 Jahren: Die spanische Grippe in Wien (10. Oktober 1918)

November 1918: Fliegender Markt in einer Straße nächst einem Wiener Bahnhofe: Soldaten verkaufen an Passanten Monturstücke und Lebensmittel
"Fliegender Markt in einer Straße nächst einem Wiener Bahnhofe: Soldaten verkaufen an Passanten Monturstücke und Lebensmittel aus Furcht, daß dieselben an den Landesgrenzen der neuen Nationalstaaten ihnen abgenommen werden"; © Das interessante Blatt vom 14. November 1918

Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommen mit der Entente durch das Oberkommando der k.u.k. Armee am 3. November 1918 strömten tausende Soldaten von den Fronten unkontrolliert und planlos ins Hinterland, um in ihre jeweiligen neuen Heimatländer zu gelangen. In Wien kam es auf den Bahnhöfen zu chaotischen Szenen, da von dort aus auch zahlreiche ehemalige Kriegsgefangene – vor allem aus Russland – die Heimreisen antraten. In der ersten Novemberwoche wurden zeitweilig überhaupt nur Militärzüge angefertigt und Zivilpersonen die Mitnahme verweigert. Vor den großen Bahnhöfen entstanden fliegende Märkte, an denen die verschiedensten, auch militärische, Güter verkauft wurden.

Ähnliche Szenen spielten sich auch in Innsbruck ab, das unweit der italienischen Front lag und daher zum Durchzugsort für tausende Heimkehrer wurde. Der Allgemeine Tiroler Anzeiger berichtete am 5. November 1918 von den Innsbrucker Straßen:

"Schwere Autos und leichte Wägen poltern dahin, hochaufgepackt mit allerlei Gerümpel, mit Kanzleieinrichtungen, selbst Hühnersteigen. Auf den Straßen stehen sie reihenweise umher und es entwickelt sich ein förmlicher Jahrmarkt. Aerarisches Gut wird verkauft so gut wie der Hausrat der Südtiroler, Decken, Betten, Matratzen, Kästen, Schuhe, Leintücher, Mehl, Sessel, Kuhketten, Pferdegeschirre, Ledersachen und Riemen, Eisenösen, alles Mögliche bis zu eingemachten Gurken und Geigen. Das gibt uns ein Bild, wie es in Südtirol ausschauen mag. Gestern waren auch zu Fuß geflüchtete Soldaten bereits zu sehen, die den Weg über den Jaufen genommen. Sie erzählen, das Kommando habe gelautet: alles liegen und stehen lassen und davongehen, jeder rette sich wie er kann. Das ist die Auflösung, wie sie die Wiener Regierung meldet. Es gibt nichts zu beschönigen. – Die hohen militärischen Gewalthaber haben die Katastrophe vielleicht vorausgesehen, aber nicht danach gehandelt, um zu retten, was kluge Sachwalter wohl hätten retten können. Vertuschen war ja System im Zeitalter der verrücktesten Zensur und ganz besonders in diesen Kreisen."

Links:
Von den Innsbrucker Straßen (Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 5. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Der Zusammenbruch (4. November 1918)

Anwerbungen für die neue Volkswehr in der Wiener Deutschmeisterkaserne im November 1918
Anwerbungen für die neue Volkswehr in der Wiener Deutschmeisterkaserne im November 1918; © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

"Dem Volke zur Wehr" titelte am 6. November 1918 das Neuigkeits Welt-Blatt:

"Auf Verfügungen des deutschösterreichischen Staatsrates wurden in allen Wiener Kasernen Werbekanzleien eröffnet, wo Anmeldungen zum freiwilligen Eintritt in die Volkswehr entgegengenommen werden. Körperlich rüstige Männer werden hier angeworben, die in diesen schweren Tagen ihrem Volk zur Wehr dienen sollen, um die nun so überaus nötige Ruhe und Ordnung im Innern des hochbedrängten Landes aufrechtzuerhalten."

Laut den Berichten verschiedener Zeitungen war der Andrang zur Volkswehr groß. Ehemaligen Soldaten wurde bei Eintritt in die Wiener Nationalgarde sogar die Fortzahlung des Unterhaltsbeitrags für Angehörige in Aussicht gestellt. Dies mag wohl auch ein Grund gewesen sein, warum oft ganze Truppenkörper geschlossen der Volkswehr beitraten. Sogar Deserteuren wurde nicht nur Straffreiheit, sondern auch eine anständige Ausrüstung, täglich 8 Kronen sowie drei Mahlzeiten täglich zugesichert. Die Einschreibung zur Volkswehr erfolgte in den Kasernen.

Unter den einfachen Soldaten war neben den Sozialdemokratischen Arbeiterräten auch die am 1. November 1918 gegründete kommunistische "Rote Garde" einflussreich. Als linksradikaler Wehrverband strebte sie eine Rätediktatur nach russischem Vorbild an. Um die "Rote Garde" unter Kontrolle zu bringen, setzte der sozialdemokratische Staatssekretär für Heerwesen Dr. Julius Deutsch am 4. November 1918 ihre Eingliederung in die staatliche Volkswehr durch.

Links:
Dem Volke zur Wehr (Neuigkeits Welt-Blatt vom 6. November 1918)
Heute vor 100 Jahren: Die Gründung der Roten Garden (1. November 1918)

Zeichnung über den Zusammenbruch der Monarchie in Analogie zu einem eingestürzten Haus
"Demoliert – aber wann wird der Neubau fertig sein?"; © Neuigkeits-Welt-Blatt vom 7. November 1918

"Österreich-Ungarns Schicksalstage!" titelte Das interessante Blatt am 7. November 1918, und weiter:

"Wir erleben jetzt Weltgeschichte, täglich, stündlich. Kaum folgen wir mit unserem Denk- und Empfindungsvermögen dem ungeheuerlichen Tempo der Ereignisse. Machen wir uns doch klar, was in diesen letzten Tagen geschehen ist! […] Oesterreich-Ungarn ist von einer militärischen Großmacht zu einem historischen Begriff geworden. Die ärgsten Pessimisten unter uns hätten in den kritischsten Stunden des Krieges solche Entwicklung für unmöglich gehalten. Wird auf dem Boden des ehemaligen Österreich-Ungarn in Zukunft wieder irgend etwas wie staatlicher Zusammenhang entstehen? Für die künftige Geschichtsforschung wird das Seelenleben der Menschen in Oesterreich-Ungarn in der Zeit des Zusammenbruches von höchstem Interesse sein. Sie werden aus den in den Zeitungen und Versammlungsberichten aufbewahrten Zeugnissen entnehmen, daß es auch jetzt noch Leute unter uns gibt die den Zusammenbruch mit eigenen Augen sehen und an ihn dennoch nicht glauben."

Im Neuigkeits-Welt-Blatt erschien am selben Tag neben der oben abgebildeten Zeichnung folgendes Gedicht zum Untergang des alten und zum Aufbau des neuen Staates:

"Rasch ist's gegangen mit Alt-Oesterreich,
Nun ist das Haus fast dem Erdboden gleich,
Flink ging's mit dem Demolieren!
Ja, bei dem Abtragen, da geht es schnell,
Da sind gar zahlreiche Kräfte zur Stell',
Die mit viel Eifer hantieren.

Aber damit ist es noch nicht gemacht.
Daß man uns um das Haus hat gebracht.
Man möchte doch wo logieren!
Drum schaffet schleunig das Material,
Bauet ein neues Heim genial,
Nur keine Zeit jetzt verlieren.

Aber das Bauen, das ist nicht so leicht.
Oft eine sehr lange Zeit da verstreicht
Bis man sich kann etablieren!
Doch steht das Haus dann im Sonnenschein,
Zieht erst der Friede wiederum ein,
Wollen wir uns gratulieren."

Links:
Österreich-Ungarns Schicksalstage (Das interessante Blatt vom 7. November 1918)
Demoliert – aber wann wird der Neubau fertig sein? (Neuigkeits-Welt-Blatt vom 7. November 1918 )